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Kinostart des Thrillers „Wind River“Ein vergletscherter Spätwestern

Die indigenen Nebendarsteller geben den Ton an: Taylor Sheridans „Wind River“ ist trotz eines fragwürdigen Frauenbilds ein guter Film.

Cory Lambert (Jeremy Renner) und sein Freund Martin Hanson (Gil Birmingham) Foto: Wild Bunch

In US-amerikanischen Indianerreservaten verschwinden immer wieder junge einheimische Frauen. Manchmal werden sie gefunden: vergewaltigt und hingerichtet. Die Hintergründe bleiben meist ungeklärt, die Dunkelziffer der Fälle dürfte noch höher sein. Denn für die Gruppe indigener Frauen wird offiziell kein eigener Eintrag im US-amerikanischen Vermisstenregister geführt, obwohl Schätzungen zeigen, dass diese signifikant häufiger Opfer von Gewalt werden.

Die desolate Situation der Natives in den Reservaten kommt hinzu: Die offiziell propagierte Politik der Vereinzelung von Clanstrukturen hat soziale Netze vielerorts nachhaltig zerstört und ermöglicht rechtsfreie Räume. Ein brennendes Thema, das bisher abseits weniger Internetblogs und lokaler Aktivistengruppen nicht beachtet wurde.

Dass nun mit „Wind River“ ein großkalibrig produzierter Kinofilm darauf aufmerksam macht, darf als ein echtes Zeichen verstanden werden. Zumal viele indigene Schauspieler mit ihren echten Namen in den Credits des Films auftauchen, welche sie sonst eher verstecken, um in der Hollywood-Maschinerie eine Chance zu haben.

Am Set soll sogar eine Gruppe von Clanführern Regisseur Taylor Sheridan einen Besuch abgestattet haben, um den Finger darauf zu legen, dass hier ein real existierendes Problem verfilmt wird und sich die Menschen in den Reservaten von der Regierung und dem Justizsystem im Stich gelassen fühlen. Trotzdem ist „Wind River“ zunächst ein fiktionaler Film und Thriller, der – wie sich noch zeigen wird – auch in einige Fallen des Kino-Konformismus tappt.

Der Film

„Wind River“. Regie: Taylor Sheridan. Mit Jeremy Renner, Elizabeth Olsen u. a. USA 2017, 107 Min.

Bei einer seiner Touren durch den Schnee entdeckt der Wildhüter Cory Lambert (Jeremy Renner) die vergewaltigte Leiche einer jungen, indigenen Frau – mitten in der Wildnis, abseits jeglicher Zivilisation. Corys eigene Tochter verschwand vor vielen Jahren und wurde bis heute nicht gefunden.

Die aus Las Vegas abgeordnete FBI-Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) übernimmt zunächst die Ermittlungen, zusammen mit dem resignierten Reservats-Sheriff Ben (Graham Greene). Weder Cory noch Ben glauben wirklich daran, dass Aufklärung oder gar Gerechtigkeit im verwahrlosten Wind River möglich ist. Das Verschwinden junger Frauen scheint so etwas wie das kollektive Trauma dieses Orts zu sein, ein unaussprechlicher Schleier, der sich über die schneebedeckten Weiten legt.

Das Puzzle aus Trauerstudie, Thriller und Tätersuche fügt sich dann aber überraschend schnörkellos zusammen, als eine Ölbohranlage des Energieministeriums in den Blick gerät, die sich unweit des Tatorts befindet. „Wind River“ ist allerdings weit mehr als die Suche nach dem Täter: Es entsteht ein Milieu, man kann sich die Orte der Handlung fast kartografisch vorstellen. Sie sind deckungsgleich mit dem Reservat der Indigenen. So entsteht eine unheilvolle Geometrie, die den Film prägt und trägt. Es sind klassische Motive des späten Westerns, die Regisseur Taylor Sheridan gewissermaßen vergletschert.

So entsteht eine unheilvolle Geometrie, die den Film prägt und trägt

Im Mittelpunkt steht Cory als Fährtenleser und traumatisierter Familienvater. „Wind River“ bildet dabei den Abschluss von Sheridans „American Frontier“-Trilogie, in der nach „Sicario“ mit „Hell Or High Water“ bereits ein Western vertreten ist. „Wind River“ ist das Regie­debüt des Drehbuchautors Sheridan, dessen Scripts für simple, scheinbar aus dem Stegreif erdachte Prämissen bei zugleich ausgereifter Figurenentwicklung bekannt sind.

Diesmal ist die Prämisse nicht besonders einfach, aber ­Sheridan gelingt es, die Thematik zu einem konzertierten Script zu verarbeiten. In Kombination mit den unbestreitbar schönen Landschaftsaufnahmen, die in der klirrenden Kälte des winterlichen Utah gedreht worden sind, ergibt das eine frische Szenerie, die dem Film ein absolut unverbrauchtes Setting gibt. Genau wie die Filmmusik, die eigens von Nick Cave und Warren Ellis komponiert wurde und mit ihrer kratertiefen, sehnsuchtsvollen Düsternis einen elegischen Bogen um die Handlung spannt. Sie steht zu Recht auf der Shortlist für die kommende Oscar-Verleihung.

Komplettiert wird diese Aura von einem großartigen Cast, in dem vor allem die indigenen Nebendarsteller hervorstechen. Ihr persönlicher Bezug zur Thematik wird deutlich. Sie spielen eben nicht nur jene standardisierte und rassifizierte Rolle des „Indianers“, für die sie sonst meistens gecastet werden. Das schaffen nur wenige Produktionen. Man könnte fast sagen, dass „Wind River“ am meisten von seinen Nebendarstellern lebt.

Der wortkarge Mann

Denn man kann daran zweifeln, dass die Hauptrolle mit Jeremy Renner wirklich gut besetzt ist. Dieser ist so etwas wie der prominente Archetyp des wortkargen Manns mit Waffe, seine Filmografie beweist es. Hier hätte mehr Mut nicht geschadet, gerade weil „Wind River“ ein brennendes Thema anpackt, es dann aber nicht ganz konsequent angeht: Elizabeth Olsen als FBI-Agentin Jane Banner muss sich stets von den Männern belehren lassen, wie die Dinge am „Wind River“ zugehen. Trotz ihrer resoluten Art wird sie nicht ernst genommen, es sei denn, sie hat ihre Waffe im Anschlag. Wer am Ende wen rettet, sei hier nicht ausgesprochen, aber es passt eben auch ins Bild.

So wird das Hollywoodkino von seinen eigenen Dämonen eingeholt. Und die scheinbar eisernen Gesetzen des gut vermarktbaren Filmemachens überlagern die gesellschaftlich relevante Thematik. Das ist schade, weil „Wind River“ in allen anderen Belangen ein tadelloser, ja sehr guter Film ist. Nur versucht er ein wenig, sein klischiertes Frauenbild zu vertuschen.

Man kann es allerdings auch so sehen, wie es Starregisseur Denis Villeneuve – der mit „Sicario“ ein Script Sheridans verfilmte – formuliert hat: Die Benachteiligung von Frauen sei eben ein real existierendes Problem und daher sei es doch nicht falsch, wenn Filme dies auch genauso abbilden würden. Heiß diskutiert wird momentan, dass diese Benachteiligung auch finanzielle Folgen hat, denn wie sich herausgestellt hat, ist der sogenannte „gender pay gap“ in Hollywood ganz besonders eklatant. Danach gefragt, antwortete Hauptdarsteller Jeremy Renner jedenfalls in cowboyhafter Abwehrhaltung mit: „That’s not my job.“

Leider passt es da allzu sehr ins Bild, dass Renner ein Liebling der Weinstein Company ist – und kein Geringerer als Mogul Harvey Weinstein „Wind River“ mitproduziert hat. Aus der Sicht des Marketings ist das natürlich mehr als ein Geschmäckle in einem Film über die Rechtlosigkeit der indigenen Bevölkerung und die Vergewaltigung von Frauen. Kurzerhand ließ man das Logo der Weinstein Company aus den Credits entfernen, der Kinostart in der USA fand allerdings wenige Wochen vor Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Weinstein statt. Bei 11 Millionen Dollar Produktionskosten, spielte „Wind River“ allein in die USA um die 40 Millionen Dollar ein. Ein beeindruckendes Ergebnis. Fragt sich also, wer letzten Endes von dem Geld an der Kinokasse profitiert?

„Wind River“ ist dennoch ein sehr guter und wichtiger Film mit langem Nachhall. Er leistet ohne Zweifel einen Beitrag zu einer aktuellen Debatte und zwar – denn das ist das eigentlich Spannende und Vielversprechende – aus dem System eines US-amerikanischen Studiofilms heraus.

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5 Kommentare

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  • ...ein Glück, dass Cowboy mit seinem langen Gewehr für Gerechtigkeit sorgt! Ach so, und dann kriegt man kurz vor Schluss noch die Vergewaltigung des wunderschönen Indianermädchens zu sehen. Von hinten in den Popo. Gesicht in Nahaufnahme. Bäm bäm bäm. Dabei hatte diese doch gerade ihrem muskulösen Navyboy die Treue geschworen, nachdem er sie aus dem Reservat nach California in den Paradiesgarten zu retten gelobte. Rape culture + Exotisierung. Eine Pseudo-Gesellschafts- und Gewaltkritik gedreht und geschrieben von weißen Männern, finanziert von der Hollywood-Vergewaltigungindustrie. Ich sagte es schon, dieser Film ist ein echtes Problem und alle Kritiker (inklusive Bert Rebhandl, FAZ, Christoph Schröder, zeit online), die das nicht kapieren, ebenso.

  • Au weia. Ich schließe mich BIGRED an. Ich würde sogar sagen: Dieser Film ist ein echtes Problem. Und Ihre “Kritik” ebenso, Herr Bluth, denn Sie scheinen dies nur wage erahnt zu haben. Müdigkeit, Schneeblindheit, Ignoranz - was genau ist da schief gelaufen? Bis kurz vor Ende habe ich es ausgehalten, dann musste ich den Kinosaal verlassen. Dieser Film besteht aus nichts anderem als rassistischen, sexistischen, paternalistischen Klischees der übelsten Sorte. Wo soll ich anfangen? Ok, ein weißer Mann macht einen Film, der scheinbar gesellschaftskritisch die Behandlung der “native Americans”, vor allem die Gewalt an indigenen Frauen, thematisieren soll. Und er zeigt: einen weißen Trapper-Coyboy-Lone Wolf-Verschnitt, der den ganzen Film über nichts anderes tut, als Frauen, Indigene oder seinem Kind die Welt zu erklären. Dem Arapahoe-Vater des Opfers, wie man trauert (das hat er vom Pfarrer!), dem drogensüchtigen Bruder, dass er die Uni hätte besuchen sollen, der FBI-Agentin, wie man Waffen richtig bedient und Mörder jagt. Übrigens gehören Töchter von Vätern ordentlich beschützt, am besten gleich weggesperrt. Sonst werden sie nämlich sofort zu Opfer, vergewaltigt und ermordet. Wenn Lonley Wolf nicht lecturet, sieht man ihn in schnittigen Einstellungen seinen röhrenden Schneescooter fahren; oder Munition zusammenschrauben (“what are you doing, daddy? Work, son”); oder wilde Tiere jagen oder, ach ja - Frauen und Indianer retten, weil diese das nicht selber können. Die blonde FBI-Agentin, dargestellt als abwechselnd frierend, überfordert oder kurz vorm Heulen, hat nämlich leider gar nichts unter Kontrolle, weder ihre permanent entgeisterten Gesichtszüge noch ihre Waffe. Daher ist sie auch ständig auf Hilfe, Ratschläge und das Geballere des weißen Jäger-Cowboys angewiesen. Dieser ist es dann auch, der den Täter schnappt. Was folgt ist eine triefende Szene, in der New Old Shatterhand als selbstgerechter Richter auftretend pathetisch Rache übt. Selbstjustiz als Heldentat...

  • Wait, what?

     

    Es ist ja nicht nur das "fragwürdige" Frauenbild, sondern z.B. auch, dass die Rettung/Rache für die indigene Gemeinde in Form einer weissen Frau daherkommt (auch wenn die eher gerettet wird, als rettet) und eines weissen Mannes (der in grandioser Symbolik auch noch ganz in Racheengelweiss gekleidet ist). Weiter als "weisser Messias für unterdrückte Indigene" sollten wir im nicht mehr so frühen 21. Jahrhundert eigentlich sein.

     

    Dazu kommt, dass das grössere Thema der ignorierten Gewalttaten an indigenen Frauen im Film gar nicht behandelt wird, sondern nur am Ende kurz als Text eingeblendet. Bis dahin ist das ein whodunnit mit Feigenblattsozialkritik. Der mittelbare Grund für den Tod der jungen Frau ist ja, dass sie einen weissen Boyfriend hatte, dessen Kollegen das bedrohliche Element darstellen - die Gefahr kommt nicht, wie in Realität, in die Siedlung, sondern *sie* begibt sich im Film in Gefahr.

     

    Dann hätten wir den Mangel an logischer Struktur, denn was genau ist denn der Plan der Ölarbeiter, als sie mit automatischen Waffen die lokalen Ordnungshüter abschlachten (die weisse Frau hat natürlich Glück) - dass der Tod einer junge Indigenen nicht untersucht wird (vor allem, das es kein Mord war) ist ja realistisch, aber das niemand nachschaut, wenn ein halbes Dutzend Polizisten verschwinden?

     

    Und rein cinematisch? Die Erklärung für die viel zu lange Sequenz, in der SUVs die Strasse langrasen, aus immer neuen Winkeln gefilmt, erschliesst sich mir immer noch nicht.

     

    Und um noch mal zum Frauenbild zurückzukommen: dass Olsens Charakter ständig bevormundet wird, ist realistisch. Aber dass die beiden indigenen Frauen mit ein bisschen screen (Renners Exfrau und die Ermordete) time trotz Armut und Drogenmissbrauch in der Reservation absolut umwerfend aussehen, legt nahe, dass Exotisierung durchaus erwünscht war.

     

    To summarize: dieser Film ist weder gut noch wichtig.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @BigRed:

      ...sehr gute Kritik zum Film, danke.

      Zur Filmkritik der taz sag'/schreib' ich jetzt besser nichts.

    • @BigRed:

      Nachtrag: die spannendste Szene ist die, in der Olsen und Renner in die Behausung der indigenen Kleinkriminellen eindringen, mit "Indians have always killed cowboys" an der Wand und einer Mischung aus moderner Armut und indigener Symbolik.

      Daraus hätte man was machen können. Stattdessen: einen erschossen, die anderen in die Zelle und zurück zu den Eingeborenen, die ihre Armut mit Würde ertragen.