Kinofilm „Le Weekend“: Erektion versus Eiffelturm
Späte Flitterwochen, erstaunlich unsentimental: Ein Paar aus Birmingham will nach 30 Jahren in Paris die Überreste seiner Liebe besichtigen.
Paris. Natürlich Paris. Immer noch die unangefochtene Honeymoon-Kulisse schlechthin, und zwar für alle Altersgruppen. Und wer wie das britische Ehepaar Nick (Jim Broadbent) und Meg (Lindsay Duncan) auf den Treppen Montmartres steht, zwischen Ballartisten, Taschendieben und Busladungen japanischer Touristen, kann trotz allem gar nicht anders als seufzend über die Dächer aus Licht und Dunst schauen.
Dann ist es vorbei mit der eigenen Abgeklärtheit über die Manipulationen der Tourismusbranche und all der abgespeicherten Filmbilder, in denen Frauen mit kurzen Haaren in gestreiften T-Shirts und Männer in hübschen Hochwasserhosen durch Paris rennen. Dann wird endlich die Klappe gehalten, glücklich geschwiegen und sich gesehnt.
Das funktioniert auch jenseits der 20 noch, wie es uns „Le Weekend“ von Roger Michell nach einem Drehbuch von Hanif Kureishi glaubhaft und erstaunlich unsentimental versichert. Das Paar aus Birmingham – er Professor an einer mittelprächtigen Uni, sie Biologielehrerin, beide um die 60 – will in den zum 30. Hochzeitstag wiederholten Flitterwochen die Überreste seiner Liebe besichtigen. Es will wissen, was überhaupt bleibt, wenn die Kinder aus dem Haus sind und längst an den eigenen Karriereknicks leiden, an den eigenen Lebenslügen häkeln. Ob noch etwas anderes kommen kann als Rentenbezüge und Hüftoperationen, Leidenschaft sogar, und wenn ja, mit wem.
Die nach „The Buddha of Suburbia“ jüngste Zusammenarbeit von Michell und Kureishi bildet ein klares Gegenkonzept zu Richard Linklaters Paris-Mehrteiler („Before Sunrise“, „Before Sunset“, „Before Midnight“), in dem die Gelegenheitsgeliebten, Jesse und Céline, nach sieben Jahren tatsächlich im Paaralltag ankommen und bei allen Krisen doch immer recht ansehnlich und geschmeidig aussehen.
Kurs auf das kleine graue Leben
Es ist vor allem Lindsay Duncan und dem kompromisslosen Punch in Kureishis Textzeilen für seine Protagonistin zu verdanken, dass „Le Weekend“ bei aller Paris-Romantik doch konsequent Kurs auf das kleine graue Leben nimmt und nicht auf eine gepuderte, altersmilde Seniorenkomödie vor bewährter Kulisse.
„Le Weekend“. Regie: Roger Michell. Mit Jim Broadbent, Lindsay Duncan u. a. Großbritannien 2013, 93 Min.
Duncans Meg schillert in allen lebendigen Widersprüchen, die immun gegen kauzige Festlegungen und charakterliche Erstarrungen des Alters zu sein scheinen. Von aasig bis sexy, von resigniert bis abenteuerlustig. Ihr Spiel rettet den Film auch über manches zu dünne, zu maue und erzählerisch schlicht Durchhängende hinweg.
Die Stagnation des Paares, die konstante Abwesenheit von beidseitigem Begehren, die Lüge von erneuerbarer Neugier aufeinander, das ganze spröde Konstrukt des Zusammenseins wird in Megs Sprache jedoch plastisch. Da weigert sie sich beispielsweise in scharfkantigen Worten, Nicks schrumpelige Erektion zu bestaunen, wenn vor dem Hotelfenster doch der Eiffelturm auf sie wartet. Ein paar Szenen später ist sie es jedoch auch, die im zutiefst romantischen Anflug die Zeche in einem viel zu teuren Restaurant prellt und mit Nick an der Hand davonrennt oder sich auf einer Party von einem jungen Intellektuellen anschmachten lässt.
Angst, allein zu sterben
Beziehung als ökonomischer Kompromiss zwischen dem Ersehnten, dem Möglichen und der puren, hässlichen Angst, allein zu leben. Was in diesem Lebensabschnitt auch immer allein zu sterben meint.
Jeff Goldblum als Nicks großspuriger US-Studienkollege Morgan, der das Paar zufällig auf der Straße trifft und zu einer Party einlädt, sorgt dann mit seinen akademischen Alphatier-Posen für die dramaturgisch finale und entscheidende Reibung. Betrunken und bekifft bekennt Nick vor den Fremden und seiner Frau eine vorerst letzte Lüge, aber auch eine konstante Wahrheit. Schwer zu sagen, was Meg am Ende peinlicher ist. Nicks Liebe zu ihr oder sein berufliches Versagen. Dass das eine wie das andere zu diesem Paar gehört, darin liegt die schlichte Wahrheit, aber auch die große Zärtlichkeit von „Le Weekend“.
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