: Kino für die Nase
■ Neu im Kino: „The Five Senses“ von Jeremy Podeswa
Robert ist extrem geruchssensibel und sucht den Duft der Liebe. Richard verliert langsam sein Gehör und sammelt deshalb die ihm liebsten Töne. Ruth ist Massage-Therapeutin, hat aber Angst zu „fühlen“. Rachel will alles sehen und wird dadurch schuldig. Rona ist Tortendesignerin, aber wie die edlen Kuchen schmecken, ist ihr egal. So wie David Fincher seinen Film „Seven“ an den Totsünden entlangstrickte, hat sich der kanadische Regisseur Jeremy Podeska für seinen programmatisch betitelten Film die fünf Sinne vorgenommen. Fünf Parallelhandlungen mit jeweils exemplarischen Protagonis-ten, als dramaturgisches Zugpferd die Geschichte vom Verschwinden eines kleinen Mädchens, die alle Erzählstränge verbindet und dem Film die nötige Spannung gibt.
Das Drehbuch muss sich wie eine ambitionierte Abschlussarbeit aus einem Filmscript-Kursus für Fortgeschrittene lesen. Trotz all der Sinne klingt all das sehr nach Kopfgeburt, aber beim Film zählt ja zum Glück letztlich nur das, was auf der Leinwand zu sehen ist. Und hier entpuppt sich Podeswa als ein sehr sinnlicher Filmemacher, der mehr mit den Bildern als mit den Plots erzählt, so dass die raffiniert konzipierte Struktur des Films nie zum Selbstzweck wird und der Zuschauer nur in die Augen der Filmfiguren sehen muss, um intensiv zu spüren, worum es geht.
Podeswa ist einer von den Regisseuren, die Gesichter lieben, und so gibt es in „The Five Senses“ viele wunderschön fotografierte Nahaufnahmen. Wenn Robert an einer Wange riecht, wenn Richard verzückt in einer Kirche einen Choral hört, wenn Rachel sich selber verzweifelt im Spiegel ansieht und hässlich findet, dann vermittelt der Film diese Momente so intensiv , dass man jeweils von den Empfindungen mitgerissen wird.
Alle fünf Protagonisten treffen im Laufe des Films auf einen Wahlverwandten: einen Menschen, mit dem sie zumindest die Chance haben, ihre emotionalen Blockaden aufzubrechen. Der Film erzählt also gleich fünf Liebesgeschichten auf einen Streich. Und damit er nicht unter dem melodramatischen Eigengewicht dieser durchweg melancholischen Romanzen zusammenbricht, hat Podeswa ihn mit einigen eher distanziert-ironischen Kontrapunkten ausgestattet.
Die Tortendesignerin Rona wird z.B. als eine oberflächliche, nervöse und etwas begriffstutzige Frau fast schon satirisch überzeichnet, und es ist sicher kein Zufall, dass sie von der einzigen US-Schauspielerin Mary-Louise Parker verkörpert wird (man kommt nie ganz dahinter, ob sie nun gekonnt oder unfreiwillig komisch ist). Auch sonst beweist Podeswa eine glückliche Hand bei der Besetzung.
Die kanadischen, französischen und italienischen Schauspieler sind jeweils ideal für die Rollen, und sie werden von Podeswa so liebevoll und sinnlich in Szene gesetzt, dass man sich etwa in eine Pascale Bussiéres vom Fleck weg vergucken kann, auch wenn sie im Grunde als Nebenfigur kaum viel mehr tut, als Philippe Volter (in der Rolle des taub werdenden Richard) ein paar Mal tief in die Augen zu blicken. Der Trick mit dem verschwundenen Mädchen ist zwar simpel, aber effektiv. Die Suche nach ihr, die Verzweiflung der Mutter, die diversen Beziehungen der Protagonisten zu ihr wirken wie ein Katalysator, durch den alle Hauptpersonen zu Entwicklungen gezwungen werden, die sie am Ende menschlicher miteinander umgehen lässt. Ein warmer, kluger, sinnlicher Film, bei dem man in den gelungensten Momenten glaubt, nicht nur mitsehen und -hören, sondern auch -riechen, -fühlen, und -schmecken zu können. Wilfried Hippen
Cinema, tägl. 19 Uhr
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