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„Kinder fragen oft wie Philosophen“

In Mecklenburg-Vorpommern können Grundschüler Philosophie statt Religion belegen. Der Unterricht baue Vorbehalte gegen Religion ab, meint Silke Pfeiffer, Koordinatorin des Faches an der Uni Rostock. Kindern hilft es bei der Suche nach Orientierung

Interview DOMINIK FEHRMANN

Kinder sind Philosophen – kann man diese Behauptung ernst nehmen?

Für mich klingt das zu euphorisch. Nicht alle Kinder haben eine ausgeprägte Neigung zum Philosophieren. Wenn man es im Unterricht mit 30 Pappenheimern zu tun hat, dann lässt sich vielleicht die Hälfte davon gerne auf ein philosophisches Gespräch ein – die anderen tauchen ab oder hören bestenfalls zu.

Und die andere Hälfte der Klasse philosophiert mit Ihnen?

Jüngere Kinder haben ein starkes Bedürfnis, ihre ganz subjektiven Weltsichten aufzufinden. Ihr Denken und Tun ist spielerischer, assoziativer, weniger festgelegt. Insofern ist der Verlauf eines philosophischen Gesprächs mit Kindern anders als etwa eines mit Abiturienten. Viele Fragen der Kinder im Unterricht aber ähneln tatsächlich Fragen, die die großen Philosophen gestellt haben. Allerdings muss man auch hier kritisch bleiben. Viele Fragen entspringen eher einem Sachinteresse – das zu philosophischen Fragen führen kann. Von vornherein jede Frage der Grundschüler in philosophischer Dimension zu deuten, halte ich für bedenklich. Der Lehrer muss zuallererst herausfinden, was das Kind wirklich wissen will.

Welchen Sinn macht es dann, in der Grundschule mit Kindern zu philosphieren?

Kinder leben in einer Welt, die ihnen sehr viel weniger selbstverständlich ist als uns. Trotzdem müssen sie die Welt ja verstehen. Dabei hilft das Philosophieren, denn es unterstützt das Suchen nach Sinn, das Ordnen und Deuten von Wirklichkeit.

Was halten die Eltern von dem neuen Fach?

Die sind froh, dass sie überhaupt eine Wahlmöglichkeit vorfinden. Nach der Wende gab es ja sehr große Vorbehalte gegen den Religionsunterricht. Die Einführung des Philosophieunterrichts hat nun interessanterweise dazu beigetragen, diese Vorbehalte abzubauen: Philosophie wirbt für Toleranz, für ein freies Umgehen mit Visionen und Deutungsvorstellungen. Noch schicken mehr Eltern in Mecklenburg-Vorpommern ihre Kinder zum Philosophieren. Aber Religion wird heute viel stärker akzeptiert.

Das heißt also, Philosophie steht zu Religion weniger in Konkurrenz als erwartet?

Es gibt inzwischen in vielen Schulen eine gute und entspannte Zusammenarbeit zwischen den Lehrern beider Fächer. Der größte Unterschied ist wohl der, dass Religionsunterricht stärkere Deutungsangebote macht als das Philosophieren mit Kindern.

Ist es denn Aufgabe des Philosophieunterrichts in der Grundschule, Deutungsangebote zu machen?

Die herkömmlichen Deutungsmuster für die Wirklichkeit – nennen wir sie „vorläufige Wahrheiten“ – sollten die Kinder schon selbst entdecken. Es kann nicht Aufgabe des Philosophielehrers sein, die Kinder auf ein schon feststehendes Ziel hinzuführen. Er kann nur durch geschicktes Rückfragen die Antwortsuche befördern.

Wo bleiben da die Werte, die derzeit allen so wichtig sind?

Der Philosophieunterricht hat wie jeder andere Unterricht auch Werte zu vermitteln. Im Vordergrund stehen dabei die drei Maximen: selbst denken, sich auf die Gedanken anderer einlassen und eigene Urteile gegebenenfalls revidieren.

Das sind nicht gerade die Werte, auf die sich viele Hoffnungen richten. Die lauten doch eher: Disziplin, Ordentlichkeit, Fleiß.

Vieles davon steckt in den drei Maximen drin. Es erfordert ein Höchstmaß an Disziplin, und Sorgfalt, wenn man sein eigenes Denken konsequent verfolgen will. Wenn man in einem Gespräch erlebt hat, dass es sehr wichtig ist dem anderen zuzuhören, um zu verstehen, was er meint, dann hat man sicher mehr gelernt als wenn man von der Lehrerin gesagt bekommt: Hört euch stets zu und lasst euch ausreden.

Kann man eigentlich unter dem Druck von Pausengong, Lehrplan und Zensuren über den Sinn des Lebens nachdenken?

Ein starrer 45-Minuten Rhythmus bedeutet für jeden Unterricht eine Belastung. Ich wünschte mir auch, wir müssten das Philosophieren der Kinder nicht benoten. Trotzdem halte ich den Unterricht in der jetzigen Form für wichtig, weil er Auswirkungen auf den Unterricht in anderen Fächern hat. Meine Lehrerkollegen berichten immer wieder, dass sie ein schlechtes Gewissen haben, weil sie auf viele Fragen der Kinder nicht richtig eingehen können. Sie wissen oft überhaupt nicht, wie sie damit umgehen sollen. Wer im Philosophieren mit Kindern geschult ist, besitzt die notwendige Erfahrung, um in jedem anderen Fach an philosophische Fragen der Kinder anzuknüpfen.

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