: Kind an der Macht
110.000 Schweden, ein Regierungschef und sein eigener Sohn wollen Henrik Larsson noch einmal stürmen sehen
ESTORIL taz ■ Es trifft sich gut, dass die Farben des Fußballklubs von Estoril, dem eleganten Badeort zwanzig Kilometer westlich von Lissabon, Gelb und Blau sind. Denn für die Europameisterschaft hat die Nationalmannschaft Schwedens seine kleine Arena als Übungsplatz gebucht. Die Stadionmauer wurde extra noch einmal frisch blau gestrichen, und dahinter leuchten die gelben Sitze in der stechenden Sonne.
Die Fans der Skandinavier haben dort keinen Zutritt, aber schauen trotzdem zu. Vom anliegenden Hügel genießt man ohnehin die bessere Aussicht, und die Pinien spenden wohltuenden Schatten. Unten auf dem Rasen werden die Angreifer gerade mit Flanken gefüttert, und jedes Mal wenn einer ins Tor köpfelt oder schießt, wird oben gejubelt. Besonders groß ist die Begeisterung, wenn der Mann mit dem kahl rasierten Kopf trifft.
Seit Henrik Larsson wieder mitmacht, trauen die schwedischen Anhänger ihrem Team, das am heutigen Montagabend gegen Bulgarien ins Turnier startet, alles zu. Eigentlich war der Sohn einer schwedischen Arbeiterin und eines Seemanns von den kapverdischen Inseln nach der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren zurückgetreten, um sich ganz seinem Klub Celtic Glasgow und der Familie zu widmen, aber das ganze Land hat ihn zum Comeback überredet. Die Zeitung Aftonbladet sammelte in wenigen Tagen über 110.000 Unterschriften, darunter die des fußballbegeisterten Regierungschefs Goran Persson. Uefa-Präsident Lennart Johansson schickte einen Brief an den Routinier, und Lars Lagerbäck, einer der beiden Nationaltrainer, reiste wiederholt nach Glasgow, um Schottlands Torschützenkönig der vergangenen fünf Jahre zu erweichen. Ende April verkündete der 32-Jährige endlich, exklusiv im Helsingborg Dagblad, der kleinen Tageszeitung seiner Heimatstadt, die Rückkehr. Er ist sichtlich glücklich, wieder dabei zu sein. Während sich die anderen nach dem Training längst mit nassen gelben Handtüchern die Köpfe kühlen, schießt er immer noch Bälle ins Tor. „Ich wollte später nichts bereuen“, begründet er seinen Rücktritt vom Rücktritt, „ich habe gefühlt, dass ich noch etwas drauf habe.“
Larsson sagt das nach dem Training bei der Pressekonferenz. An einer Wand in dem viel zu engen Raum hängt ein Plakat mit der Briefmarke, die ihm Schweden gewidmet hat. Neben Larsson sitzt Zlatan Ibrahimovic, der gegen Bulgarien an seiner Seite stürmen dürfte, doch von ihm will kaum einer etwas wissen. Am ehesten noch, was Larssons Rückkehr für die Mannschaft bedeute. Vor allem seine Erfahrung sei bereichernd, antwortet der zehn Jahre jüngere Kollege. Es ist Larssons viertes großes Turnier, was bisher nur ein Landsmann, Roland Nilsson, schaffte. Und bei jeder Endrunde zählte Larsson zu den Torschützen, bei der WM in Asien sogar dreimal. Die Skandinavier scheiterten trotzdem im Achtelfinale aufgrund eines goldenen Tores an Senegal. „Die Mannschaft hat sich gesteigert“, meint Larsson, „wir könnten diesmal durchaus etwas reißen.“
Durch Tore in Portugal will er sich auch renommierten Vereinen anbieten, denn in Glasgow hat er nach sieben Jahren und 242 Toren in 315 Spielen jüngst seinen Abschied gefeiert, um eine neue Herausforderung zu suchen oder, wenn sie sich ihm nicht bietet, nach Schweden zurückzukehren. Bei Celtic bekommen Profis eigentlich erst nach zehn Jahren ein Abschiedsspiel, bei ihm machte man eine Ausnahme. Eine gute Viertelstunde währten die standing ovations, als der Held schluchzend abtrat.
Für die Tränen war bei Larsson und seiner Familie eigentlich bisher ein anderer zuständig, einer, der bei der Entscheidung für das Comeback mindestens genauso viel Gewicht hatte wie der Regierungschef, der Uefaboss oder die Landsleute. „Mein Sohn Jordan weinte immer, als er mich zu den großen Turnieren abreisen sah. Da war er noch klein. Zuletzt aber fragte er: Warum machst du eigentlich nicht mehr mit? Geh doch!“ RALF ITZEL