Kiel will Geflüchteten Adresse vorschreiben: Wohnort-Diktat steht vor der Tür

Anerkannte Geflüchtete müssen sich wohl bald vorschreiben lassen, wo sie wohnen: Schleswig-Holstein und die Kommunen verhandeln über Wohnsitzauflage

Schleswig-Holstein will Geflüchteten wohl bald diktieren, an welcher Klingel ihr Name steht Foto: Lukas Schulze/dpa

KIEL taz | In Schleswig-Holstein berät das Innenministerium mit den Kommunen darüber, die Wohnsitzauflage für Geflüchtete wieder einzuführen. Anerkannte AsylbewerberInnen könnten dann ihren Wohnsitz nicht mehr frei wählen, sondern müssten für drei Jahre in der ihnen zugeteilten Stadt oder Gemeinde leben. Der Sprecher des Schleswig-Holsteinischen Innenministeriums, Patrick Tiede, bestätigte auf Anfrage der taz, dass aktuell Gespräche mit den VertreterInnen der kommunalen Landesverbände über eine Umsetzung der Auflage liefen. Soweit zu sagen, die Auflage komme, wollte er allerdings nicht gehen. Man diskutiere lediglich die Umsetzung der Bundesvorgabe.

Das Vorschreiben des Wohnsitzes ist Teil des Anfang August in Kraft getretenen Integrationsgesetzes der Bundesregierung, die Umsetzung dieses Gesetzes ist allerdings Ländersache. Bisher wird die Regelung nur in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen umgesetzt: Geflüchteten, die sich nicht an die Vorschrift halten, werden die Sozialleistungen gestrichen. Ausgenommen davon sind nur MigrantInnen, die mindesten 15 Stunden pro Woche arbeiten und mehr als den Sozialhilfesatz von 712 Euro verdienen.

Die Bundesregierung behauptet, auf diese Weise Gettobildung vermeiden zu wollen, und die Auflage sei daher sogar als Beitrag zur Integration zu verstehen. Nur wenn die Auflage tatsächlich zu einer besseren Integration führt, ist sie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und EU-Recht vereinbar, denn nach diesem gilt eigentlich die Wahl des freien Wohnorts.

Stark gemacht für die Umsetzung dieser Auflage in Schleswig-Holstein hatte sich erst am Dienstag der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Der private Interessenverband, der norddeutschlandweit 320 Wohnungsgenossenschaften und -gesellschaften vertritt, nannte die Auflage ein „wirksames Instrument für eine gerechte Verteilung geflüchteter Menschen“.

Verbandsdirektor Andreas Breitner, der von 2012 bis 2014 Innenminister in Schleswig-Holstein war, äußert sich auf seinem aktuellen Posten eigentlich nicht zu Flüchtlingsthemen. Allerdings ist das Land Schleswig-Holstein für ihn ein wichtiger Geschäftspartner: 3.600 Geflüchtete seien derzeit in 1.600 Wohnungen Schleswig-Holsteinischer Mitgliedsunternehmen des Verbandes untergebracht, gab Breitner an. Da sieht er offenbar noch Luft nach oben: Die investierte Zeit und Mühe sei verloren, wenn die Neuankömmlinge bereits nach kurzer Zeit in die großen Städte zögen, argumentierte der Verbandsvorsitzende.

Die Wohnsitzauflage gebe allen Akteuren mehr Planungssicherheit. Den Vorwurf, wirtschaftliche Interessen auf dem Rücken von Flüchtlingen auszutragen, indem er versuche, Leerstand an den Mann oder die Frau zu bringen, die dafür in entlegenen Gegenden wohnen müssten, wies Breitner zurück. „Das wäre viel zu kurz gedacht, für alle Beteiligten kontraproduktiv und entspricht nicht den Wertvorstellungen der Wohnungsunternehmen im Verband.“ Innenministeriumssprecher Tiede gab an, die Überlegungen zur Umsetzung der Wohnsitzauflage hätten nichts mit der Forderung des VNW zu tun.

„Ich bin davon überzeugt, dass die Zwangszuweisung einer Wohnung erfolgreiche Integration behindert“, sagte Marianne Kolter, Linken-Landessprecherin. „Wer sich nicht frei bewegen darf, wird sich schwerer damit tun, sich positiv auf die hiesige Gesellschaft zu beziehen.“ Wenn die Landesregierung die Auflage beschließe, verstoße sie damit gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Auch die Grünenfraktionschefin Eka von Kalben hält die Auflage für integrationsfeindlich. „Geflüchtete und diejenigen, die sie betreuen, müssen sich bereits durch ein Dickicht von Vorschriften schlagen.“ Der Wegzug aus ländlichen Bereichen in die Stadt könne nur durch gute Angebote auf dem Land verhindert werden.

Im ebenfalls rot-grün regierten Niedersachsen war erst vor Kurzem bekannt geworden, dass das Land auf die Umsetzung der Auflage verzichtet. Dem Entschluss war jedoch ein uneiniges Hin und Her innerhalb der Koalition vorangegangen. Noch im Mai hatte SPD-Ministerpräsident Stephan Weil der taz bestätigt, er halte eine Wohnsitzsteuerung „grundsätzlich für sinnvoll“. Ende September verkündete er den Verzicht.

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