Kid Congo auf Dauertournee: "It's the weather, it's the war"
Der Musiker Kid Congo steckt in vielen Projekten, die Linien seines Lebens weiterzeichnen. Wer außer ihm kann das schon: mondän getextete Garagenpunksongs.
Im Mai dieses Jahres wird Kid Congo 50. Und ist damit eindeutig ein bisschen aus dem Kidalter heraus. Doch so einen Bühnennamen jetzt noch abzugeben wäre auch Quatsch. Immerhin erinnert er an die Zeit, als Brian Tristan, so hieß Kid dereinst, in Kalifornien lebte und mit zarten 15 Jahren Erster Vorsitzender des Ramones-Fanclubs wurde. Als solcher lernte er mit 18 in New York den Ersten Vorsitzenden des Blondie-Fanclubs kennen, der ihm irgendwann eine Gitarre umhing und mit ihm eine Band gründete.
Der Blondie-Fan hieß Jeffrey Lee Pierce, die Band The Gun Club. Danach spielte Kid Congo bei den Punk-Rockabilly-Garage-HeldInnen The Cramps, bei Nick Caves Begleitband The Bad Seeds, auch mal bei Die Haut und The Fall und trat immer wieder mit verschiedenen Soloprojekten auf. Congo ist bis heute prima im Geschäft. "Habe einfach nicht aufgehört zu spielen", sagt er. "Nur Jammen war nie mein Ding."
"Momentan denke ich viel über die Vergangenheit nach", erzählt Brian/Kid heute, immer noch schlank, feingliedrig, neuerdings fern der Bühne mit Bestagerbrille ausgestattet, in der gleichen lächelnden Tonlage, in der er singt, und unterstreicht seine Sätze mit den Gesten einer spitzbärtigen, mexikanischen Elfe. Er ist zum Proben ein paar Tage in Berlin und sitzt in einem Neuköllner Café in der Nähe von Khans Wohnung, dem Elektromusiker, mit dem er bei Kid & Khan spielt.
Sie unterlegen Elektrobeats mit Gitarre und haben die "Twin Peaks"-Titelsonghaucherin Julee Cruise begleitet. Die aktuelle Tour mit Khan und Julee Cruise, Alex Hacke, Danielle de Piciotto und Chris Hughes geht bis zum Abschiedsgig am Sonntag in Berlin, zwei Tage später beginnt Kid mit seinem aktuellen Soloprojekt, den Pink Monkey Birds, in der Hauptstadt die nächste Tournee.
Freunde, Verluste
Dann fährt er zurück nach Washington. Sein Freund hat da einen Job ergattert, "im Museum. Aber ich vermisse New York", sagt er. Und erzählt, wie er sich früher zusammen mit Jeffrey Lee Pierce ausmalte, als senile Alkoholiker auf dem Balkon einer heruntergekommenen Wohnung in der Bowery zu sitzen und sich in den Erinnerungen an die wilden Zeiten in die ausgehenden Haare zu kriegen. Jeffrey Lee Pierce starb mit 37 an einer Hirnblutung. Lux Interior, der Sänger der Cramps, erlag vor zwei Jahren einer Herzerkrankung.
Congo, der eine Zeit lang den Künstlerdoppelnamen Congo-Powers trug, weil er aus Greencardgründen eine Freundin heiratete, bestellt Tee und ein kleines Obstfrühstück. Er schreibe an seinen Memoiren, sagt er, und klingt eher sympathisch beschämt als eingebildet, schon eine ganze Weile, es gebe auch einen interessierten Verlag. Geschichten über die Geburtsstunde des Punks in den USA, über Los Angeles und das New Yorker CBGBs, Drogen und Präqueerness liest man eben gern. Seit seinem vom Rock n Roll früh beendeten Journalistikstudium hat Kid Congo immer wieder geschrieben. Bei der Arbeit an den Memoiren sei ihm "noch mal bewusst geworden, was es heißt, in den USA Chicano zu sein".
Congo entstammt einer second generation-Einwandererfamilie aus Mexiko, mit nur noch wenig aktivem Spanisch, aber viel aktiver Benachteiligung. "Unsere Eltern haben nur Englisch mit uns gesprochen, damit wir es leichter als sie haben." Doch fühle er sich mit zunehmendem Alter "immer mehr wie ein Fremdkörper im weißen Amerika. Komischerweise wird mir erst jetzt stärker bewusst, dass ich eine andere Hautfarbe habe. Außerdem bin ich ja gleich Mitglied bei mehreren Minderheiten, Chicano, schwul, Punkmusiker." Aufgewachsen sei er dennoch mit "einem diffusen Stolz auf die mexikanische Kultur, die man eigentlich gar nicht richtig kannte. Weil man immer irgendwie dazwischenhing". Und weil die Helden der Kindheit eher "die Chicano-Beatles" Thee Midniters waren als die weißen Liverpooler.
Eine viel zu ernste Sache
Mit den alten Bandmitgliedern, sofern sie noch leben, pflegt er wieder Kontakt. "Es gab eine Zeit, in der Musikmachen für mich eine viel zu ernste Sache wurde. Eigentlich fing ich mit Jeffrey ganz spielerisch an, aber irgendwann viel später ging es nur noch um Politik, um Statements. Meine Bands waren kompliziert, meine Wohnsituation in New York war kompliziert." Die Bands waren unter anderem die Knoxville Girls mit Mitgliedern von Sonic Youth, Pussy Galore und Boss Hog, oder Congo Norvell, ein morbides Duo mit einer Sängerin, die zu verlorenen Gitarrensounds mit tiefer Stimme Balladen intonierte.
2006 hatte er "eine Art Erleuchtung", als er nach Jahren mal wieder die Cramps live in Los Angeles erlebte: "Lux Interior und Poison Ivy schienen so verliebt beim Konzert - er schrie wie immer herum, turnte über die Bühne, und sie lächelte ihn über ihre Gitarre hinweg an, nach ungefähr 30 Jahren Ehe und gemeinsamem Musikmachen. Ich dachte: Das ist hier die eigentliche Show!" Congo erzählt, dass er auch jetzt, nach Lux Interiors Tod, häufig Poison Ivy besucht, die in einer Art privatem Rock-n-Roll-Museum in der Nähe von Los Angeles lebt. "Erstaunlicherweise geht es ihr ganz gut. Als Pärchen sind die beiden privat ja ziemlich unter sich geblieben, aber jetzt geht sie wieder unter Leute und hat ansonsten mit der Verwaltung des Cramps-Nachlasses zu tun."
Aktuell, in Washington, hat Kid Congo mit komplizierten Bands nicht mehr so viel am Hut: "Ich lege manchmal in irgendwelchen Clubs meine alten Singles auf und versuche ansonsten, mich aufs Schreiben zu konzentrieren." Ablenkung finde er in Washington kaum, nachts führen alle Regierungsbeamten nach Hause in ihren Speckgürtel, und die Stadt werde leer. "Man muss nicht wie in New York ständig kämpfen und sich anstrengen, um zu leben."
Mit seiner zurückhaltenden, vorsichtigen Art und dem brachial-harmonischen Trashgitarrensound, der sich enorm von der Angeberei eines landläufigen Sologitarristen unterscheidet, hat sich Congo über die Jahre gerettet. Ohne an Drogen, der Liebe, der Armut oder dem Ego zugrunde zu gehen. Und ohne seinen Namen mehr als den leidenschaftlichen Fans dieser Musik bekannt zu machen: Mit Frontsäuen und attention suckers wie Lux Interior oder Jeffrey Lee Pierce in einer Band zu spielen geht auch an den MitmusikerInnen nicht spurlos vorüber.
Schöne Entschuldigungen
Bei der aktuellen Tour mit den Pink Monkey Birds wird er mit seinem eigenwilligen Gitarrenstil eventuell auch Gun-Club- und The-Cramps-Lieder in Ehren halten. Und selbstredend seine eigenen, mondän getexteten Garagenpunksongs wie "The Weather, the War" vom Album "Philosophy and Underwear", ein charmantes Stück über das Ende einer Beziehung nach 9/11, bei dem Entschuldigungen für den schwindenden Sexdrive herausgekramt werden: "Its the weather, its the war, Im confused, Im a whore." Es muss eben nicht immer alles am Alter liegen.
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