: Keiner will mehr Parteichinesisch lesen
■ Weil Chinas Presse jetzt auch Geld verdienen muß, werden die Spielräume der Journalisten ein kleines bißchen größer
„Die Kommunistische Partei ist nicht mehr in der Lage, alles zu kontrollieren.“ Der chinesische Dissident Wei Jingsheng, der derzeit in Deutschland unterwegs ist, ist sich sicher: „Nicht mal mehr die großen Druckereien“ stünden durchgängig unter der Kontrolle der Partei. Kleine, unabhängigere Blätter seien zur Konkurrenz der Parteiverlautbarungsorgane geworden, bei Büchern machten genehmigte Werke gar nur noch die Hälfte des Angebots aus.
Daß ihre eintönige Propagandapresse zunehmend ignoriert wird, können die KP-Funktionäre ganz einfach an den Zahlen ablesen: 1997 ging die Auflage des Parteiorgans Renmin Ribao (Volkszeitung) von drei auf 2,5 Millionen zurück, nachdem es in den Jahren zuvor schon drei Millionen Leser verloren hatte. Da rief der Vizepropagandachef der KP öffentlich dazu auf, die Auflage des Blattes zu stabilisieren. Um die Tahlfahrt zu bremsen, wurde die KP-Zeitung mit einer Wirtschaftsseite und einer Gesellschaftsbeilage angereichert, und plötzlich tauchten Graphiken im Blatt auf.
KP-Blätter wie Renmin Ribao haben es mit vermehrter Konkurrenz zu tun, seit Deng Xiaoping 1978 die Wirtschaftsreformen einleitete und sich die Zahl der Tageszeitungen in China mehr als verzehnfachte – heute sind es rund 2.200. Eine andere Entscheidung beeinflußte die Presseentwicklung mindestens ebenso: Von 1993 an wurden Subventionen für Zeitungen radikal gekürzt. Seither wandern die Medien auf einem schmalen Grat zwischen wirtschaftlichem Druck und Zensur: Um für Werbekunden attraktiv zu sein, brauchen sie hohe Auflagen, doch die sind mit geschönten Berichten und Propaganda nicht zu erreichen. Daher wuchs der Druck, an die Grenzen der Zensur zu gehen.
„Die Journalisten sind mutiger geworden“, sagt Wei Jingsheng. Statt ihre Seiten mit Meldungen der Nachrichtenagentur Xinhua (Neues China) zu tapezieren, die der KP untersteht, werden Berichte öfter selbst recherchiert und dann lesefreundlicher präsentiert. „Den Journalisten bleibt nichts anderes übrig, als die Freiräume geschickt auszunutzen. Wir beschreiben das mit einem Ausdruck aus dem Tischtennis: den Ball an die Kante spielen“, erklärt Wei.
Wenn jemand mit einem Buch die Zensur gegen sich aufbringt, kann er dadurch gar den Verkauf ankurbeln. „Es gibt Autoren, die kaum zu Ende geschrieben haben, da laufen sie schon zur Propagandaabteilung, damit ihr Buch kritisiert wird“, berichtet Wei, „manche legen es sogar auf eine Verhaftung an, um den Absatz zu fördern.“ Der Dissident wurde 1979 für Wandzeitungen mit Demokratieforderungen zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Die Entwicklung der Presse von reinen Propagandaorganen zum Geschäft hin hat noch ganz andere Blüten getrieben. Manche Journalisten lassen sich inzwischen mit einem Geldgeschenk zu Pressekonferenzen einladen oder für Jubelberichte bestechen. Vor rund einem Jahr forderte gar die Regierung die Journalisten auf, die Herrschaft des Geldes über ihren Beruf zu beenden. Kritische Berichte über Firmen führen andererseits zu Beschwerden bei den Zensurbehörden. So wurde der Chefredakteur einer Pekinger Jugendzeitung gefeuert. Das Blatt hatte darüber berichtet, daß Kinder gestorben waren, die ein Getränk der staatseigenen Wahaha-Gruppe getrunken hatten.
Über Fehler von Parteibonzen dürfen Journalisten gleich gar nichts schreiben. Im vergangenen Jahr wurde ein Bestseller über einen Korruptionsermittler verboten, der bei hohen Parteikadern recherchierte. Artikel, die angeblich die soziale Stabilität, staatliche Einheit oder wirtschaftliche Entwicklung gefährden, gelten nach wie vor als Straftat. Zwar sei mehr erlaubt, sagt Wei: „Aber wer ganz offen Demokratie fordert, wird sofort verhaftet.“ Sven Hansen
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