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„Keine Vollmacht für Krieg“

Ralf Fücks wollte auf dem grünen Parteitag eigentlich eine klarere Unterstützung für Fischer. Fast mit Erfolg. Doch dann zog er zurück: „Ich wollte keine Zuspitzung.“ Nun versichert Fücks: Der Parteitagsbeschluss ist kein Blankoscheck für Militäreinsätze

Wer behauptet, die Grünen seien eine Kriegspartei, hat nicht alle Tassen im Schrank

Interview STEFAN REINECKE

taz: Herr Fücks, Sie haben in Rostock einen Antrag eingebracht, der schärfer als der des Bundesvorstands war ...

Ralf Fücks: Nicht schärfer, klarer.

taz: Hätte Ihr Antrag eine Mehrheit bekommen?

Er hat eine Mehrheit bekommen: Der Antrag des Bundesvorstands hat zunächst 425 Stimmen bekommen, unserer 385, die anderen sieben Anträge wesentlich weniger. 385 – das war die absolute Mehrheit der Versammlung.

Ihr Antrag hätte in der letzten Abstimmung vielleicht gewonnen – gegen den des Bundesvorstandes. Warum haben Sie zurückgezogen?

Ich habe auf die schriftliche Auszählung verzichtet, weil ich keine Zuspitzung des Konflikts wollte. Es war wichtiger, dass wir eine breite Mehrheit für einen Antrag hatten, der in die richtige Richtung geht, als eine knappe Mehrheit für einen pointierteren Antrag.

Welche Rolle spielte bei Ihrem Rückzug die Drohung, dass Rot-Grün in NRW kippen würde – weil grüne Fraktionsmitglieder in NRW in diesem Fall die Partei verlassen hätten?

Es gab diese Gerüchte. Für meine Entscheidung war dies nicht ausschlaggebend. Mir liegt an einem breiten sicherheitspolitischen Konsens.

NRW hat keine Rolle gespielt?

Nein. Aber ich halte es für unsittlich, mit spekulativen Drohungen Druck auf einen Parteitag auszuüben.

Joschka Fischer hat gesagt, dass in Rostock eine Grundsatzentscheidung für weitere Bundeswehreinsätze anstand. Ist dieses Votum also eine Carte blanche für Fischer und weitere Militäreinsätze?

Nein. Das steht auch klar in unserem Antrag. Es gibt keine Generalvollmacht der Grünen für Militäreinsätze rund um den Globus. Es geht darum, die Kriterien zu definieren, unter denen militärische Interventionen als Ultima Ratio für Grüne legitim sind. Dazu gehören das Völkerrecht und die Bindung an die UN. Zentral ist zudem die Einbindung des Militärischen in umfassendere politische Friedenskonzepte. Und wir müssen uns mehr um Kriegsprävention kümmern.

Wir tun uns schwer, zu akzeptieren, dass die Welt seit 1990 nicht friedlicher geworden ist. Die atomare Blockkonfrontation war auch eine perverse Stabilitätsordnung, Es ist ja kein Zufall, dass es seit 1990 zunehmend regionale und ethnische Kriege gibt. Dafür brauchen wir eine neue internationale, kooperative Sicherheitsordnung. Daher können wir auf Militär als befriedendes Instrument nicht verzichten.

Das sieht die grüne Partei nun offenbar auch so. Die überraschend große Mehrheit für den Fischer-Kurs – ist das eine tektonische Verschiebung der innergrünen Gewichte?

Rostock war der – vorläufig – letzte Schritt in einem langen, quälenden politischen Lernprozess der Grünen, der mit dem Golfkrieg und dem Streit um die Lieferung von Patriot-Raketen, also Abwehrwaffen, an Israel begonnen hat. Fortgesetzt hat sich diese Debatte bei den Kriegen auf dem Balkan. Wir – dabei waren Cohn-Bendit, Marieluise Beck und andere – haben 1993 auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Bonn für einen Antrag für eine humanitäre Intervention in Bosnien 27 Stimmen bekommen. Von 27 zu 385 Stimmen – das ist in der Tat ein fundamentaler Wandel. Aber es ist kein Abschied von der Friedenspolitik als grünem Grundmotiv.

Brauchen die verwandelten Grünen noch einen linken Flügel? Und wofür?

Ach, ich halte nichts davon, dem linken Flügel die Rolle des schlechten Gewissens zuzuspielen. Auch wer für Militäreinsätze unter bestimmten Bedingungen votiert, muss dies immer wieder kritisch hinterfragen. Die ganze grüne Partei hat eine restrikitve, militärkritische Grundhaltung. Umgekehrt gilt: Wenn wir uns zu einem Ja zu einem Militäreinsatz durchringen, müssen wir das auch selbstbewusst vertreten. Wir sollten allen, die behaupten, die Grünen seien eine Kriegspartei, sagen: Ihr habt ja nicht mehr alle Tassen im Schrank.

Die grüne Partei ist Fischer gefolgt. Ist damit die Gefahr gewachsen, dass sie als eigene Stimme endgültig verschwindet?

Die Gefahr besteht, seit die Grünen in der Regierung sind – dass alle Energie durch den Regierungspragmatismus geschluckt wird. Gerade deshalb brauchen wir die Fähigkeit, über den Tag hinaus zu denken – sonst erschöpfen sich die Grünen in der Regierungsbeteiligung. Das gilt für soziale Gerechtigkeit, den demografischen Wandel, auch für Ökologie. Die programmatische Erneuerung ist lebensnotwendig – und die muss von der Partei ausgehen.

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