: Keine Gutmenschen
Hinz & Kunzt hat sich in 100 Ausgaben zu einem Teil Hamburgs gemacht ■ Von Sandra Wilsdorf
Woanders heißen Strassenmagazine „Motz“ oder „Platte“, sind grau, trübsinnig, und wer in ihnen liest, fühlt sich irgendwie schuldig und nach der letzten Seite ratlos, als hätte einem jemand die ganze soziale Not auf den Rücken geladen. Hinz & Kunzt ist anders. 100 Ausgaben sind von dem Hamburger Strassenmagazin erschienen, und in den acht Jahren seines Erscheinens hat es sich einen Platz in dieser Stadt erobert. Hinz & Kunzt gehört zu Hamburg wie Hagenbeck, Hol-ten und der Hafen: Es ist inhaltlich wie äußerlich bunt und kein Frontalangriff auf das eigene Wohlergehen, sondern eine dezente Horizonterweiterung. Man erfährt etwas darüber, was Schicksal sein kann, man erfährt etwas über Obdachlose, aber auch über Kunst und Kultur in dieser Stadt.
Und das ist kein Zufall, sondern eine bewusste Entscheidung. „Wir wollen nicht aus Mitleid gekauft werden“, erzählt Hinz & Kunzt-Redakteur Uli Jonas, was auch für die Verkäufer von Anfang an wichtig gewesen sei. Sie wollten mit ihren Lesern ins Gespräch kommen. Und so war es nie ein gutgemeintes Jammer-Blatt, sondern eine Zeitung von Profis. Uli Jonas kam vor sechs Jahren zu dem Straßenmagazin, hat hier erst volontiert und nun eine halbe Stelle als Redakteur: „Ich wollte das journalistische Arbeiten mit sozialem Engagement verknüpfen.“ Er beschreibt seine Arbeit als „ganz nah dran an den Menschen“. Denn durch die obdachlosen Verkäufer erfahre er beispielsweise, wie schwer es sein kann, ein Konto zu eröffnen, wie lange ein Besuch beim Sozialamt dauert oder welche Hürden vor einem Besuch im Gefängnis aufgebaut sind.
Sybille Arendt kam, weil sie ungern Sachen tut, deren Sinn sie nicht einsieht. Deshalb hatte sie nach einigen Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit einer großen Bank keine Lust mehr, ihre ganze Kraft in Bilanzen zu stecken. Jetzt ist sie seit eineinhalb Jahren für Anzeigen und Öffentlichkeitsarbeit bei Hinz & Kunzt zuständig und zufrieden. Sie hat einen „Mini-Etat“ und Bitten und Betteln ist ihr tägliches Geschäft. Das läuft ganz gut, wenngleich, „man natürlich bei den Agenturen nicht gerade Priorität genießt“, wenn man nichts bezahlen kann und will.
Stephan Reimers, damals Chef der Hamburger Diakonie, hatte die Idee zu Hinz & Kunzt. Er und Ivo Banek, der heute Pressesprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion ist, stellten ihr Konzept im Herbst 1993 der Obdachlosen-Selbsthilfegruppe Oase vor. „Wir machen das“, sagte damals Dieter Redenz, der später Hinz & Kunzt-Vertriebschef wurde und es viele Jahre blieb. Die Diakonie gab damals einen Kredit. Der ist längst zurück gezahlt, und heute finanziert sich das Projekt ganz allein. Zu 50 Prozent aus Verkaufserlösen und zur anderen Hälfte aus Spenden. Damit deren Fluss nie versiegt, kümmert sich eine Mitarbeiterin ausschließlich um das professionelle Betteln, das „Fund Raising“.
Die anfängliche Auflage von 100.000 war die der Anfangseuphorie, inzwischen hat sie sich bei etwa 70.000 stabilisiert. Insgesamt 15 Menschen sind inzwischen bei dem Straßenmagazin mit Sitz in der Innenstadt angestellt. „Keine Gutmenschen, sondern Individualis-ten“, betont Sybille Arendt: drei von ihnen arbeiten in der Redaktion, fünf im Vertrieb, einer ist für die Computer zuständig, zwei machen hier ihren Zivildienst, einer macht Sozialarbeit und betreut den Wohnungspool. Der kam 1995 zu dem Magazin hinzu und hat seitdem 350 Menschen von der Straße vermittelt. Allerdings ist es mit einer Wohnung oft nicht getan. „Viele kommen mit der Einsamkeit nicht klar“, erzählt Uli Jonas. Deshalb dürfen sie auch dann weiter Hinz & Kunzt verkaufen, wenn sie nicht mehr obdachlos sind.
Das Strassenmagazin versteht sich auch als Vermittler, als Lobby der Schwachen, „wir versuchen Brücken zu schlagen zwischen Geschäftsleuten und Obdachlosen“, sagt Jonas. Und vielleicht liegt es an einer solchen Brücke, dass sich heute kaum noch jemand traut zu fordern, Bettler aus der Innenstadt zu verbannen.
Trotzdem ist längst nicht allen Leuten der Umgang mit armen Menschen so selbstverständlich wie den Hinz & Künztlern. Das beobachtet Verkäufer Thomas Merkel immer wieder: „Viele Leute gucken erstmal, ob ihre Handtasche noch da ist, wenn ich sie anspreche.“ Er macht das erst seit einigen Monaten, „Hinz & Kunzt ist für mich ein Anfang, langsam wieder Fuß zu fassen“. Früher habe er in der Gastronomie gearbeitet als Fahrer und Gebäudereiniger. Aber seit drei Jahren ist der 33-Jährige arbeits- und obdachlos. Das Ende einer Talfahrt, die mit einer Schlägerei vor sieben Jahren begann: „Ich bin dazwischen gegangen, als ein ausländisches Ehepaar von Skins angegriffen wurde“, erzählt er. Anschließend habe er sieben Wochen im Krankenhaus gelegen, sei wegen einer Kopfverletzung zwei Jahre arbeitsunfähig gewesen. Er begann, Drogen zu nehmen und die waren bald wichtiger als eine Wohnung. Für beides reichte das Geld nicht. „Jetzt nehme ich nur noch selten Drogen“, sagt er, lebt aber immer noch auf der Straße. „Ich muss noch ein paar Dinge regeln.“
Dabei soll ihm Hinz & Kunzt helfen. Mit dem Verdienst, aber auch mit einem Gerüst für die langen Tage. „Ich bin den ganzen Tag unterwegs. Sonst komme ich nur auf dumme Gedanken.“ Wenn es so richtig gut läuft, will Thomas Merkel irgendwann eine Umschulung zum Maler machen. Und mal wieder in einer Wohnung wohnen. Und Geld verdienen, denn „Schnorren ist nie richtig mein Ding gewesen“.
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