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Keine Erlösung für Lillian

Lustig und subversiv – im neuen Buch des niederländischen Autors Arnon Grünberg, „Die Datei“, steht die Menschheit vor einem Neustart und die Mitarbeiter der Firma basteln am Projekt „Neuer Mensch“

Arnon

Grünberg: "Die Datei". Novelle. Aus dem Nieder-ländischen von Rainer Kersten. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 203 Seiten, 8,99 Euro

Von Shirin Sojitrawalla

Das liest sich gut an: Die 24 Jahre alte ­Lillian wohnt noch bei ihren Eltern und hängt den ganzen Tag, Paprikachips in sich hineinschaufelnd, vor dem Rechner. Sie ist überzeugte Vegetarierin, Zwangsneurotikerin, Synästhetikerin, Autistin, Digital Native, „mehr Nager als Mensch“. Kurz: Ein weiblicher Nerd wie aus dem Lexikon. „Sie braucht einen Bildschirm, Kontakt ohne Bildschirm ist nichts für sie, Kontakt ohne Bildschirm ist unmenschlich.“ Das Internet erscheint ihr längst wirklicher als die Wirklichkeit und auf Menschen reagiert sie zunehmend allergisch.

Lillian heißt die Hauptfigur im neuen Buch des niederländischen Autors Arnon Grünberg: „Die Datei“. Das ist nur folgerichtig, ist Lillian doch wie geschaffen für seinen durchgeknallten Figurenkosmos, der seit jeher Sonderlinge aller Art versammelt. Eine Novelle nennt sich der vergleichsweise schmale Band im Untertitel, was hier wohl eher andeuten soll, dass es sich um ein Nebenwerk Grünbergs handelt, eine herausragend unerhörte Begebenheit bietet das Buch zumindest nicht. Lillian wartet einfach darauf, dass es endlich beginnt, ihr Leben, und als sie einen Job in der dubiosen Firma BClever angeboten bekommt, sagt sie schnell ja.

Die Firma ist spezialisiert auf die Abwehr von Hackerangriffen, arbeitet für Unternehmen wie für Regierungen. Dabei basteln die Mitarbeiter eifrig am Projekt „Neuer Mensch“, ist man dort doch fest davon überzeugt, dass die Gesellschaft, ach was, die ganze Menschheit vor einem Systemneustart steht. Das ist ein hübsches Spiel mit den Zukunftsvisionen von gestern, wobei alles, was Lillian in der Firma widerfährt, entfernt an Maes Erlebnisse in ­David Eggers’„The Circle“ erinnert.

Grünbergs Version gebärdet sich schmalspuriger, wenn auch lustiger und subversiver, was in diesem Falle leider auch nicht hilft. Denn um als wirkliche Dystopie durchzugehen, gestaltet er seine Novelle zu halbherzig, ja ­geradezu lasch. Sie wirkt pflichtschuldig abgehakt und obendrein auf unaufregende Art unfertig. Dabei liest sich das alles wunderbar weg, was auch an der Unmittelbarkeit und Gegenwärtigkeit des von Grünberg gewählten Präsens liegt.

Was Lillian in der Firma widerfährt, erinnert entfernt an David Eggers’„The Circle“

Vor allem Lillian dabei zuzuschauen, wie sie versucht, „normales Verhalten zu produzieren“, bereitet beim Lesen durchaus Vergnügen. Die einzelnen Kapitelüberschriften ergeben sich aus vermeintlich goldenen Internetregeln: „There will always be even more fucked up shit than what you just saw.“ Oh ja.

Gegliedert ist das Buch in zwei ungleiche Teile, zwei Dateien, deren Ursprung sich nicht von selbst erklärt. Ob am Ende die Apokalypse bevorsteht oder Lillian sich in einer Psychose windet? Erlösung ist jedenfalls nicht zu erwarten. Doch das ist einem am Ende egal.

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