: Keine Chance ohne die USA
Die zersplitterte irakische Opposition im Londoner Exil plant eine gemeinsame Kampagne. Doch sie weiß: Ohne eine US-Intervention ist sie hilflos
aus London RALF SOTSCHECK
Der Scheich ist schlecht gelaunt. Erst habe ich ihn warten lassen, dann stelle ich die falsche Frage: Ist er für einen US-Angriff auf Irak? „So kann man die Frage nicht stellen“, weist mich Scheich Muhammad Ali zurecht. „Die USA unterstützen das irakische Volk bei der Befreiung ihres Landes, wenn auch aus Eigeninteresse. Saddam hat Massenvernichtungswaffen, er hilft den Terroristen, er bedroht die Stabilität der Region und der ganzen Welt.“ Scheich Muhammad Ali ist für den US-Einsatz gegen Irak.
Der 49-Jährige trägt einen schwarzen Umhang und einen kleinen Turban. Bis 1980 arbeitete er als Ingenieur im Irak. Danach ging er ins Exil nach London, kehrt jedoch regelmäßig in den kurdisch kontrollierten Nordirak zurück, wo der Irakische Nationalkongress (INC), ein Zusammenschluss von über siebzig Gruppen und Grüppchen, ein Büro hat. Ali ist einer von sieben INC-Führern, außerdem ist er Chef des schiitisch-islamischen „Hohen Rats des irakischen Widerstands“.
„Im Irak hat die Zivilisation ihren Ursprung“, sagt er. „Der Islam hat eine lange Tradition in unserem Land.“ Offiziell wirft er sich freilich nicht allzu sehr in die Bresche für eine islamische Revolution im Irak, denn das würde die anderen irakischen Oppositionsparteien verprellen. Die haben sich gerade mühsam zu einer gemeinsamen Taktik zusammengerauft: der „Vote him out campaign“ – der „Stimmt-ihn-nieder-Kampagne“. Vorigen Dienstag fand die Gründungsversammlung im Novotel im Westlondoner Stadtteil Hammersmith statt. Die britische Hauptstadt ist das Zentrum der irakischen Opposition im Exil.
Der kleine Konferenzraum des Hotels ist mit einem handgeschriebenen Plakat geschmückt: „Sagt Nein zu Saddam.“ Das ist der kleinste gemeinsame Nenner. Organisatoren der Kampagne sind parteiunabhängige Irakis. Ihr Sprecher ist Laith Kubba, ein Geschäftsmann. „Saddam veranstaltete 1995 ein Referendum“, sagt Kubba. „Er war der einzige Kandidat; der Nordirak, immerhin 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung, konnte nicht abstimmen. Saddam bekam 99,99 Prozent der Stimmen.“ Nach sieben Jahren, am 14. Oktober, muss ein neues Referendum stattfinden, wenn Saddam seinen eigenen Regeln folgt. Und hier setzt die Kampagne an. „Die europäischen Länder haben eine große Verantwortung“, sagt Kubba. „Sie müssen Wahlbeobachter entsenden, sie müssen dafür sorgen, dass der Nordirak diesmal abstimmen kann.“
„Bei der Debatte um den Irak fehlten bisher die irakischen Stimmen“, sagt Dr. Salah Shaikhly. „Die USA, Europa, der Nahe Osten – alle reden über den Irak, nur die Irakis haben keine Stimme.“ Der 62-jährige Shaikhly ist Mitglied des Politbüros des „Iraqi National Accord“ (INA). In seinem grauen Anzug mit fliederfarbenem Hemd und passender Krawatte, der Goldrandbrille und den gepflegten, grauen Haaren sieht er aus wie ein englischer Geschäftsmann. Shaikhly ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Leeds. Früher war er Direktor der irakischen Zentralbank, doch seit 1994 war er nicht mehr in seinem Heimatland.
„Wir können Saddam nicht aus 3.000 Meilen Entfernung stürzen“, sagt er. „Wir wollen aber deutlich machen, dass wir ihn loswerden müssen.“ Mit Hilfe der USA? „Das ist nicht unsere Entscheidung“, sagt er. „Natürlich wäre es uns lieber, wenn wir Saddam auf friedlichem Weg loswerden könnten, aber wenn dazu ein Krieg nötig ist, bin ich dafür. Wir wollen das Regime mit möglichst wenig Schaden für das Land loswerden. Angriffe auf die Infrastruktur lehnen wir ab.“
Shaikhly ist jedoch entschieden gegen eine Besetzung des Irak. „Auf gar keinen Fall“, sagt er, und er wird zum ersten Mal während unseres Gesprächs energisch, indem er mit der Faust auf den Tisch schlägt. „Wir brauchen keine Friedenstruppen. Unter den Irakis gibt es keine Probleme, der Konflikt besteht zwischen Diktator und Volk. Wir sind doch nicht auf dem Balkan, wir kämpfen nicht gegeneinander.“
Shaikhly sieht die Referendumskampagne als parallele Strategie zu einem US-Angriff. Für die drei Millionen Iraker im Ausland will man am 14. Oktober Wahlurnen vor allen irakischen Botschaften in der westlichen Welt aufstellen, um eine symbolische Wahl zu ermöglichen. „Das irakische Volk wird sich wieder erheben“, glaubt Shaikhly. „Aber bei dem Aufstand 1991 nahmen 14 von 18 Provinzen teil, dennoch haben sie nichts erreicht. Wir benötigen Hilfe von außen.“
„Nach der ersten US-Kugel rennen die irakischen Soldaten wie die Hasen“, behauptet Scheich Muhammad Ali. „Niemand in der Armee wird Saddam verteidigen. 1991 hatten die USA Angst vor dem Chaos, sie hatten Angst vor dem Konflikt mit den Schiiten, den Kurden im Nordirak und den arabischen Ländern. Heute zahlen sie für den Fehler, Saddam nicht gestürzt zu haben. Und das irakische Volk, die Millionen exilierter Irakis und die gesamte Region zahlen dafür. Saddam steckt hinter dem Terrorangriff vom 11. September.“ Hat er Beweise für Saddams Verbindung zu al-Qaida? Die würden in den kommenden Wochen vorgelegt.
Und was, wenn Saddam weg ist? Zurzeit sind sich die Oppositionsparteien einig: ein föderaler Staat im Stile der USA, in dem Schiiten und Kurden, Turkmenen und andere Minderheiten ihre eigenen Provinzen mit eigenen Wahlen und eigenen Regierungen haben. „Der Irak wäre einiger und stärker und würde Stabilität im Nahen Osten garantieren“, sagt Ali.
Davon sind nicht alle überzeugt. Safia al-Suhail hält die Exilparteien für relativ unbedeutend. „Der INC hat keinen Einfluss im Irak, höchstens einzelne Mitglieder“, sagt die Mittdreißigerin, die ihre Augen, Wimpern und Lippen sorgfältig schwarz geschminkt hat. Sie arbeitet bei der International Alliance for Justice in Paris. Ihr Vater, Taleb al-Suhail, war Patriarch eines schiitischen Stammes von einer halben Million Menschen. 1994 wurde der damals 81-Jährige von zwei Angestellten der irakischen Botschaft in seinem Haus im Beiruter Exil erschossent. Al-Suhail hatte im Jahr zuvor den gescheiterten Staatsstreich gegen Saddam unterstützt. „Keine Partei im Irak hat so viel Einfluss wie die großen Familien, die Stämme. Ohne die läuft nichts“, sagt seine Tochter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen