Kein olympisches Doping: "Die Athleten waren weise genug"
Bis auf eine Verwarnung wegen eines unerlaubten Nasensprays gab es bisher keine Doping-Vorfälle. Der Grundstein für den Erfolg wurde schon vorher gelegt.
VANCOUVER taz | Jeden Morgen findet das gleiche Ritual statt. Die Organisatoren der Winterspiele geben eine Pressekonferenz. Und manchmal müssen sie Fragen zum Themenkomplex Doping beantworten. Gibt es den ersten Fall, ist jemand erwischt worden? Nein, sagen die Herren auf dem Podium dann, nichts Neues.
Sie geben schließlich die Zahlen der bis dato durchgeführten Blut- und Urintests durch, bestätigen beispielsweise, dass auch nach dem Wachstumshormon HGH in den Proben gesucht werde und gehen zur Tagesordnung über. "Das Antidopingprogramm läuft hier ziemlich glatt", hat Arne Ljungqvist gestern gesagt. Er ist der Chef der medizinischen Kommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).
Man wundert sich schon ein bisschen, dass niemand geschnappt wird, wo doch die besten Wintersportler in Vancouver und Whistler gewesen sind, also die hochgezüchtete Weltelite. Ein deutscher Trainer hat der taz neulich verraten, dass er davon ausgehe, dass "vor Olympia alle alles machen" – seine Athleten ausgenommen. Er hat nicht gesagt: "Während der Spiele machen alle alles." Aber heißt das, dass hier nicht mit pharmakologischen Mitteln nachgeholfen wird?
Das IOC hat bis zum Ende der Spiele über 2000 Tests in Auftrag gegeben. Sie werden in einem Labor an der Eisschnelllaufhalle in Richmond ausgewertet. Dort werden die Körpersäfte durchleuchtet, aber man findet anscheinend nichts. Nur die russische Eishockey-Spielerin Swetlana Terentewa wurde wegen eines leichten Dopingverstoßes gemaßregelt. In ihrem Nasenspray war eine Substanz, die nur im Wettkampf, nicht aber im Training verboten ist. Das IOC verwarnte sie und genehmigte ihre Teilnahme an den Spielen.
Haben wir es also, abgesehen von diesem kleinen Fall, mit sauberen Spielen zu tun, ist das Antidopingsystem so gut, wie IOC-Vize Thomas Bach behauptet? Der Chef der amerikanischen Antidoping-Agentur (Usada), Travis Tygart, würde die Frage verneinen. Nach dem ersten positiven Test eines Athleten auf HGH – der englische Rugbyspieler Terry Newton war kürzlich betroffen – sagt Tygart nun: "Dieser Fall ist der Aufruf an die Sportwelt, mehr Blutkontrollen durchzuführen, vor allem in Trainingsphasen."
Das im Blut nachweisbare Hormon HGH hätte bei den Winterspielen nur bei 22 Prozent der bisher 1741 getesteten Athleten entdeckt werden können, hat Tygart errechnet, denn 1358 Tests bezogen sich nur auf Urin, lediglich 383 waren Bluttests. Das Nachweisverfahren wurde vom deutschen Endokrinologen Christian Strasburger entwickelt. Da ein HGH-Nachweis im Blut aufwendig ist, arbeiten inzwischen verschiedene Teams an einem Verfahren, HGH-Doping auch über Urinproben nachzuweisen; ein Team forscht mit Unterstützung der Usada in Virginia an dieser Methode.
Das IOC hatte bereits vor Olympia 2004 in Athen angekündigt, es könne das seit 1989 verbotene HGH nachweisen. Doch das darf bezweifelt werden, denn selbst in Peking konnte noch munter mit HGH gedopt werden. Ein chinesischer Analytiker, der damals von der taz auf die angeblichen HGH-Tests angesprochen wurde, verneinte die Anwendung dieser Untersuchungen während der Sommerspiele 2008.
IOC-Chef Jacques Rogge hat jetzt alle Athleten noch einmal vor Nachtests gewarnt. Die Proben bleiben ja acht Jahre im Kühlschrank. Die Hauptarbeit hätte das IOC und die internationale Antidoping-Agentur Wada eh schon vor den Spielen in Vancouver erledigt. Das ist richtig: Vor Olympia wurden über 30 Athleten erwischt, darunter die russischen Langlauf-Olympiasiegern Jewgeni Dementjew und Julia Tschepalowa. "Die Betrüger werden vor den Spielen aussortiert", sagte Ljungqvist am Donnerstag, "es überrascht mich nicht, dass es jetzt so ruhig ist." Auch in Turin habe es, abgesehen vom Rummel um die österreichischen Biathleten, nur einen Positivtest gegeben – von der Biathletin Olga Pylewa aus Russland.
Der Schwede fordert dennoch mehr Tests: "Es gibt pro Jahr zwischen 250.000 und 300.000 Tests. Das ist mir zu wenig, die Zahl könnte höher sein." IOC-Chef Rogge hofft, dass es bis zu seiner Abreise am Montag "keine positiven Fälle gibt", die Athleten hätten bei den Spielen in Kanada keine Mittel benutzt, die auf der verbotenen Liste stehen würden, mutmaßte er. "Aber ich bin nicht naiv. Klar gibt es Mittel, die wir heute noch nicht finden, die Athleten waren weise genug, nicht die herkömmlichen Mittel zu benutzen." So kann man's freilich auch sehen: Die Weisheit respektive Unverfrorenheit der olympischen Athleten hat das IOC vor einer Blamage bewahrt.
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