Kein Sportsgeist beim IOC: Fackel flieht durch San Francisco
Behörden schützten Fackel wie ein Staatsoberhaupt - und schleusten sie auf geheimen Wegen und über leere Straßen zum Flugplatz. Die Abschlußfeier fiel aus.
Ja, wo laufen sie denn?
Diese Frage stellten sich tausende Neugieriger, Tibet-Aktivisten und China-Unterstützer enttäuscht am Mittwoch nachmittag in San Francisco. Die Stadt an der US-Westküste sollte die einzige Station der olympischen Fackel auf nordamerikanischem Boden sein, bevor sie am Mittwoch abend weiter nach Buenos Aires geflogen wurde. Die Szenen aus London und Paris, wo der Durchzug des Olympischen Feuers zuvor heftige anti-chinesische Demonstrationen und Handgemenge ausgelöst hatte, hatte San Franciscos Veranstalter jegliches Risiko scheuen lassen.
Kurzfristig entschied Bürgermeister Gavin Newsom daher, die ursprünglich geplante Route entlang der pittoresken Hafenpromenade komplett zu streichen. Statt dessen spielte er mit den zu tausenden angereisten Demonstranten ein Katz und Maus-Spiel. Schließlich will das Internationale Olympische Komitee (IOC) trotz der Proteste weiter an dem Fackellauf festhalten. Auch wenn er so versteckt wie in San Francisco eigentlich jeden Sinn verliert.
Präsidentschaftskandidat Barack Obama rief US-Präsident George W. Bush am Mittwoch zum Boykott der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking auf.
Von Anfang an ließen die Fackelläufer jeden Sportsgeist vermissen: Nach dem feierlichen Entzünden der Fackel im AT & T-Park nahm ein Läufer die Fackel aus der Halterung, hielt sie in die Höhe - und verschwand damit in ein Hafenlager. 45 Minuten später fuhr daraus die geplante Motorrad-Eskorte los aber ohne den Läufer in ihrer Mitte. Die Läufer wurden unterdessen samt Fackel heimlich per Bus in einen anderen Stadtteil gefahren, wo sie den Lauf mit starkem Polizeiaufgebot in nahezu leeren Straßen absolvierten. Derweil arangierten die Organisatoren weitere Finten, um die Demonstranten abzulenken.
Auch die geplante Abschlussfeier auf dem Justin-Herman-Platz nahe der Golden Gate Brücke wurde gestrichen. Die Fackel wurde schließlich klammheimlich ins Flugzeug Richtung Lateinamerika gesetzt.
Newsom habe die urspünglich geplante 10 Kilometer lange Strecke erst eine Stunde vor Beginn des Laufes halbiert und verlegt, berichteten US-amerikanische Medien. Grund sei die Menge an Demonstranten gewesen, die sich vor dem AT & T-Park versammelt hatte.
Die "außergewöhnliche Maßnahme" sei zum Schutz der Läufer getroffen worden, verteidigte David Perry, Sprecher der Fackellauf-Organisatoren, die Programmänderung. Nach den Vorfällen in London und Paris hätten sich zahlreiche Fackelträger vor gewalttätigen Ausschreitungen gefürchtet, sagte er. Bereits am Dienstag war ein Läufer aus dem Team wegen Sicherheitsbedenken ausgestiegen.
Peter Ueberroth, Vorsitzender des Olympischen Kommittees der USA, gab sich zufrieden mit der sechsten Etappe der Fackelreise. Er finde, die USA habe eine gute Balance gehalten zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Wunsch der chinesischen Veranstalter nach einem störungsfreien Ablauf, sagte er am Mittwoch. Vor allem sei es San Francisco gelungen, die Wiederholung der "chaotischen Szenen" von London und Paris zu verhindern.
Bereits am Montag hatte eine Protestaktion einen Vorgeschmack davon gegeben, mit welcher Entschlossenheit - und athletischer Ausdauer manche Demonstranten in San Francisco gegen die Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung vorgehen wollen. Drei waghalsige Aktivisten hatten auf der zugigen Golden Gate Bridge, San Franciscos Wahrzeichen, in großer Höhe zwei Transparente angebracht auf denen zu lesen war: "Free Tibet 08".
San Francisco war den chinesischen Veranstaltern als natürlicher Ort für den Fackellauf in den USA erschienen. Die Stadt, in der ein Drittel der Bevölkerung, rund 250.000 Einwohner chinesischer Abstammung sind, ist die chinesischste Stadt der Vereinigten Staaten. Gleichzeitig ist die Liberalenhochburg seit den Anti-Vietnamkriegs-Demos und der Hippie-Bewegung freilich bekannt für ihre Liebe zu Demonstrationen.
Die Stadtverwaltung hatte sowohl Tibet-Aktivisten als auch Pro-chinesischen Gruppen gleichermaßen Demoerlaubnis erteilt. Zeitgleich waren die Sicherheitsmaßnahmen drastisch erhöht worden bis hin zum kurzfristigen Flugverbot über der Stadt. Eine Organisatorin hatte am Dienstag, nach geheim gehaltener Ankunft der Fackel in der Stadt erklärt, dass die Flamme "wie ein Staatsoberhaupt behandelt" werde. Zwar kam es unter den Demonstranten zu heftigen Wortgefechten, Pöbeleien und einer Verhaftung, aber gewalttätige Ausschreitungen fanden nicht statt.
Der demokratische Präsidentschaftsbewerber Barack Obama rief unterdessen US-Präsident George W. Bush zum Boykott der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking auf. Seine Konkurrentin, Hillary Clinton, hatte Bush bereits am Dienstag zum Boykott aufgefordert. Bush solle nicht fahren, wenn China seine Politik in Darfur und Tibet nicht ändere, forderte Obama. China solle sich dafür einsetzen, dass die Gewalt in der westsudanesischen Krisenregion Darfur beendet und die Menschenrechte in Tibet besser geschützt werden, sagte Obama. Eine Entscheidung darüber solle jedoch zu einem späteren Zeitpunkt fallen. Bush hat sich zu einem Boykott bislang nicht geäußert.
Das IOC kündigte an, IOC-Präsident Jaques Rogge werde am Freitag mitteilen, ob das Exekutivkommittee die verbleibenden 12 internationalen Stationen des Fackellaufs womöglich absagt. Es sieht allerdings nicht danach aus. Am Mittwoch traf Rogge erneut mit dem chinesischen Premier Wen Jiabao zusammen, um über die Sommerspiele zu sprechen.
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