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Kein Ruck, nicht einmal ein Hüpfer

In der Hauptstadt-SPD setzt sich die Restvernunft durch: Parteichef Strieder siegte über zwei Gegenkandidaten. Doch er hat keine Strategie, wie die Partei 2004 aus der Großen Koalition herausfinden kann. Sie kann nur mit Erfolgen im Bund werben

von DOROTHEE WINDEN

„Mundwinkel rauf und Ärmel hochkrempeln.“ SPD-Generalsekretär Franz Müntefering versucht, den verzagten Berliner Genossen zu Beginn ihres Landesparteitages Mut zu machen. Doch sein Appell fruchtet nicht. Die Stimmung in der Partei ist neun Monate nach der Wahlschlappe vom vergangenen Oktober desolat. Der Frust über die dritte Auflage der Großen Koalition, in der die SPD mit 22,4 Prozent zum Juniorpartner degradiert wurde, sitzt tief. Das hat zwei Gegenkandidaten für den Parteivorsitz auf den Plan gerufen. Zwei Monate lang hat sich die Partei in einer Personaldebatte aufgerieben, die Parteichef Peter Strieder beschädigte.

„Was ist das für eine Partei, die ihre Spitzenpolitiker so verschleißt und die sich immer wieder neue Sündenböcke sucht?“, mahnt Bundestagspräsident Wolfgang Thierse in seiner Rede.

Es steht viel auf dem Spiel: Soll man die Partei etwa dem Salonlinken Stefan Grönebaum überlassen, einem 38-jährigen Neuberliner? Oder einem Traditionalisten, dem 53-jährigen Gewerkschafter Hermann Borghorst, das Ruder überlassen? Wird Strieder seinen Modernisierungskurs fortsetzen können?

Die Partei steht am Abgrund, aber es liegt kein Funken von Spannung in der Luft. Lethargisch sitzen die 320 Delegierten in dem viel zu großen Saal des Internationalen Kongresszentrums. „Das ist kein Saal, in dem man einen Parteichef abwählt oder einen neuen auf den Schild hebt“, sagt ein Delegierter.

Es gibt nicht einmal ein Parteitagsmotto. Auf der dunkelblauen Hintergrunddekoration, die über dem Präsidium hängt, steht nur ein Wort: „Landesparteitag“. Was hätte man auch stattdessen schreiben sollen? Etwa „Erneuerung jetzt“ oder „Aufbruch jetzt“? Das hätte als Kritik am Landesvorsitzenden missverstanden werden können. Doch nicht einmal für ein unverfängliches Motto reichte die Fantasie. Eine viel sagende Leerstelle.

Der Parteitag, der im Wesentlichen einen neuen Landesvorstand wählen soll, gerät zur Selbsterfahrungsgruppe. Die Basis hat sich immer noch nicht mit der Großen Koalition abgefunden und jammert. „Wo sind denn die Inhalte? Ich kann die nur noch schwer erkennen. Damit habe ich ein Problem“, sagt ein Delegierter. Selbst der frühere Spitzenkandidat, Walter Momper, der sich für Strieders Wiederwahl einsetzt, räumt ein: „Es ist eine große Schwäche unserer Partei, dass es keine klare Kante zur CDU gibt. Aber das ist nicht allein Aufgabe des Landesvorsitzenden.“

Ein Ruck müsste durch diese Partei gehen. Aber selbst der Hoffnungsträger der Parteibasis, Stefan Grönebaum, ruft die Delegierten nur dazu auf, einen „kleinen Hüpfer“ zu machen. Der bestünde darin, ihn zu wählen. Deutlicher noch als der Parteilinke weist der rechte Flügelmann Hermann Borghorst den Weg aus dem Jammertal: „15 Jahre Große Koalition sind genug und finden mit dem Auslaufen dieser Wahlperiode 2004 ihr Ende“, sagt er ein wenig hölzern. „In meinem Denken kommt eine Neuauflage der Großen Koalition nicht vor.“ Strieder, der dem Senat als Stadtentwicklungssenator angehört, verliert keine Silbe darüber, wie er die Partei aus der verhassten Zweckehe führen will. Das ist sein unauflösbares Dilemma.

Dennoch sprechen sich alle, die in der Berliner SPD Rang und Namen haben, für ihn aus. Weniger aus Begeisterung über den agilen Parteichef, sondern aus Gründen der Kontinuität. Erst anderthalb Jahre ist Strieder im Amt, er soll eine Chance bekommen, die Partei wieder aufzurichten. Und er soll den Modernisierungskurs fortsetzen, den die Berliner SPD unter der früheren Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing einschlug. Sie zeigt bei diesem Parteitag Führungswillen. Sie schlägt vor, dass die Partei die Frage der Spitzenkandidatur erst diskutieren soll, wenn der Parteichef dafür das Signal gibt. „Bis er sich äußert, sind alle Spekulationen ohne Autorität.“ Der Vorschlag stützt nicht nur den Parteichef, der Ambitionen auf die Spitzenkandidatur hegt, sondern nützt auch ihr selbst. Sie spricht nie darüber, aber allen im Saale ist klar, dass sie eine aussichtsreiche Kandidatin wäre. Überraschend ist allenfalls, dass sich die Sympathien zu ihren Gunsten verschoben haben. Jetzt, da sie nicht mehr als strenge Sparkommissarin vor dem Parteitag steht, genießt sie eine Unterstützung, von der sie als Finanzsenatorin nur träumen konnte.

Derzeit sieht es ganz nach einem Rennen Strieder gegen Fugmann-Heesing aus. Der Parteichef, der sein Amt im zweiten Wahlgang klar verteidigen kann, hat damit auch seine Startposition für die Spitzenkandidatur halten können. Er hat nun zwei weitere Jahre Zeit, die Partei zu konsolidieren. „Lotta continua. Die Berliner SPD ist eine dauernde Kampfaufgabe“, sagt er in seiner flapsigen Art. Der Wiederaufbau der SPD sei kein Kurzstreckenlauf. Doch eine Strategie, wie er die Partei wieder zu Wahlergebnissen über 30 Prozent führen kann, hat er nicht.

Die Gratwanderung, sich in der Großen Koalition zu profilieren, ist der SPD schon bislang nicht geglückt. Ob sie den Konflikt mit der CDU suchte oder seit den Wahlen eine harmonische Linie sucht, die SPD-Anhänger haben dies nicht goutiert. Die Hauptstadt-SPD liegt in der Gunst der Wähler mit 25 Prozent weit hinter der Bundespartei. Bei einer Bundestagswahl hätten im April diesen Jahres 37 Prozent der Berliner SPD gewählt, so eine Forsa-Umfrage. Die 16 Prozent Differenz sind offensichtlich hausgemacht. Selbst Strieder räumt ein: „Die Erfolge (in der Großen Koalition) sind nicht so groß, dass man damit die Partei zusammenschweißen könnte.“

Womit dann? Die SPD wird vor allem durch ihre Regierungsmitglieder wahrgenommen, sagt Müntefering. Doch die Hoffnung, mit den drei SPD-Ressorts an Profil zu gewinnen, hat sich bislang nicht erfüllt. Schulsenator Klaus Böger hat mit seinem Vorstoß für Religionsunterricht und der unpopulären Mehrarbeit für Lehrer allen Kredit bei SPD-Anhängern verspielt. Sozialsenatorin Gabriele Schöttler, die Quotenfrau aus dem Osten, erweist sich als Totalausfall. Einziger Aktivposten ist derzeit Strieder mit seinem Großressort Bau, Wohnen, Verkehr und Umwelt.

Mangels eigener Erfolge versucht sich die Landes-SPD in Anleihen bei der Bundesregierung: Die Steuerreform sei auch ein Erfolg der Berliner SPD. Die Zustimmung Berlins im Bundesrat sei auch auf Druck der Berliner Genossen zustande gekommen. Doch geliehene Erfolge tragen nicht weit.

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