piwik no script img

Kein Nagellack im Ramadan

■ Ein neuer Gesetzentwurf schließt Iranerinnen, die gegen die islamischen Kleidervorschriften verstoßen, vom öffentlichen Leben aus / Patrouillen fahnden auf Teherans Straßen nach Missetäterinnen

Aus Teheran Bibi Jenkins

Pünktlich zu Sommeranfang, der dieses Jahr mit dem moslemischen Fastenmonat Ramadan zusammenfällt, hat die iranische Regierung ihren Ton gegenüber Frauen und Mädchen verschärft. Zielscheibe eines neuen Gesetzesprojekts sind diejenigen, die sich nicht gemäß der von oben verordneten islamischen Norm kleiden. Sie sollen kurzerhand von weiten Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen werden. Ein Gesetzesvorschlag, der jetzt vom Ministerrat gebilligt wurde, sieht vor, daß „unislamisch“ gekleidete Mädchen auf unbestimmte Zeit von Schule und Universität ausgeschlossen werden oder die Gebäude nicht mehr betreten dürfen; Frauen wird der Zugang zu Büros des öffentlichen Dienstes oder staatlichen Fabriken verwehrt; internationale Hotels, Kinos, Parks, Busse, Flughäfen, kurz, alle öffentlichen Orte sollen denjenigen, die in „unislamischer“ Kleidung erwischt werden, künftig versperrt sein. Für die betroffenen Frauen kommt dies einem Ausbildungs– bzw. Arbeitsverbot, ja sogar einer de–facto–Ausgangssperre gleich. Die „Volksstimme“ Diese neueste Maßnahme ersetzt die frauenfeindlichen Methoden der letzten Jahre keineswegs. Denn auch acht Jahre nach dem Sturz des Schahregimes hat die Islamische Republik nach wie vor Probleme mit den Frauen. Die Iranerinnen sind nicht zu vergleichen mit ihren Schwestern etwa in Saudi–Aarabien, die nie kleinere oder größere Freiheiten gekannt haben. Sie lassen sich ihren Spielraum nicht ohne weiteres nehmen und versuchen ihn je nach politischer Konjunktur zu erweitern. Dem soll nun erneut ein Riegel vorgeschoben werden. Der Mechanismus ist dabei all sommerlich der gleiche: Zuerst werden die „Hizballahis“, die Anhänger der „Partei Gottes“, vorgeschickt. Eine Horde von Rowdies auf Motorrädern werden schreiend und brüllend losgelassen. Sie machen die Straßen unsicher, und jede Frau, die ihnen nicht verhüllt genug ist, wird von ihnen angegriffen und verprügelt. Dann vernimmt die Regierung die „Stimme des Volkes“. Sie schreitet ein, weil die moslemische Bevölkerung das Verhalten der „verwestlichten Frauen“ nicht länger „dulden“ kann. Die Stunde der offiziellen Sittenpatrouillen hat damit geschlagen. In diesem Jahr begann sich die Situation im April zu verschärfen. Die Klinik „Iranian“ wurde kurzerhand geschlossen, weil die Frauen, die dort arbeiteten, sich nicht ganz an die strengen Kleidervorschriften hielten. Einige waren etwas geschminkt, andere trugen Jeans unter ihrem weiten Kittel oder ließen den Haaransatz sehen. Die Schließung weiterer privater Institutionen oder Büros folgte. Dabei suchen in Zivil gekleidete Personen die entsprechenden Büros als Kunden auf. Treffen sie auf unislamische Kleidung oder Verhalten - da genügt es, wenn sich ein Mann und eine Frau beim Gruß die Hand geben - , zeigen sie ihre Dienstausweise vor und nehmen das Personal und den oder die Verantwortlichen fest. Ein islamisches Gericht entscheidet dann über die Strafen. Verhaftungen Seit drei Wochen stehen an den wichtigsten Plätzen Teherans und den Hauptstraßen Minibusse bereit, um festgenommene Frauen abzutransportieren. Ein oder mehrere Toyotas mit bewaffneten Mitgliedern der Revolutionskomitees sowie tiefverschleierten Frauen halten sich in der Nähe auf. Sie machen Jagd auf Fußgänger und Auto–Insassen: Ein mit einem Maschinengewehr bewaffneter Mann hält eines der üblichen Sammeltaxis an und fordert den Fahrer auf auszusteigen. Eine der verschleierten Frauen nähert sich dem Wagen, schaut die weiblichen Insassen an und fordert diejenigen, die nicht gemäß den Vorschriften gekleidet sind, auf, auszusteigen und in den Minibus zu steigen. Dem Taxifahrer wird eingehämmert, keine geschminkten Frauen oder solche mit dünnen Strümpfen oder bunten Kopftüchern mitzunehmen. Andernfalls müsse er sich das nächste Mal auch vor Gericht verantworten. Wenn die Frauen bei der Festnahme Widerstand leisten, helfen die „Brüder“ von den Komitees mit Gewalt nach. Frauen in Begleitung von Männern, die keine nahen Verwandten sind, werden ebenfalls abgeschleppt. Die einkassierten Frauen werden in ein Büro der Revolutionskomitees gebracht. Nach stundenlangem Warten prüft ein „Islamisches Gericht“ ihr „Vergehen“ und setzt eine Strafe fest. Das Sehenlassen des Haaransatzes unter dem Kopftuch gilt als leichterer Fall, der mit einer Verwarnung bestraft wird. Die Frauen müssen sich gleichzeitig schriftlich verpflichten, daß sie sich keiner „Prostitution“ mehr schuldig machen. „Ernstere“ Fälle, zu denen Schminken zählt, werden mit Auspeitschung geahndet. Die Anzahl der Hiebe ist von der Schwere der „Tat“ abhängig. Das Tragen von Nagellack oder gar ein fehlendes Kopftuch bei der Festnahme beispielsweise in einem privaten Büro kann mit Peitschenhieben und Gefängnis bestraft werden. Wie zu hören ist, können sich Frauen von der Strafe des Auspeitschens freikaufen. Die Höhe der Auslösung scheint vom Geldbeutel der Angeklagten und ihrer Verwandten abzuhängen. Genannt werden Summen zwischen umgerechnet 300 und 70.000 DM. Die Zeitung Islamische Republik vom 16. April berichtete, daß 165 Frauen allein in der vorangegangenen Woche wegen Nichteinhaltens der islamischen Kleidervorschriften zu Auspeitschungen und Gefängnisstrafen bis zu 25 Monaten verurteilt worden seien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen