Kein Kommentar! : Unmoralische Tomaten
Mit einer „innovativen Marketing-Kooperation“ für sein Kochheft „viva!“ reißt Gruner+Jahr die Mauern zwischen Werbung und redaktionellen Inhalten ein
„Oft kommt es ja leider nicht vor, dass das Gute und das Vergnügliche gemeinsam auftreten“, räsoniert Chefredakteur Peter Ploog mit verhaltener Lebensfreude, aber viel Weisheit im Editorial der neuen Ausgabe des Kochmagazins viva!. „Unmoralische Tomaten?“, lautet sein Thema, und fast könnte man darüber etwas länger nachsinnen wollen. Interessanter aber ist, dass nicht mehr jede „regelmäßige Leserin oder auch Leser“ (Ploog) der Zeitschrift wie bisher gleich das Editorial aufschlägt. Einige stoßen nach dem Umblättern der Titelseite, aktuell von italienisch inspirierten Schweinefleischspießen geziert, zunächst auf Fernseh-Showmaster Kai Pflaume, der auf seiner Handfläche vergnügt lächelnd einen „Grillspieß für Vitalschlemmer“ balanciert. Das widerfährt LeserInnen, die das Heft in „Plus“-Supermärkten erworben haben.
Seit Montag läuft die „innovative Marketing-Kooperation“ zwischen dem Discounter und dem Verlag Gruner+Jahr. Die Juli-Ausgabe von viva! ist die einzige Zeitschrift, die in „Plus“-Geschäften verkauft wird. Im Gegenzug enthalten die dort offerierten Hefte sechs vorangeheftete Seiten, die es nur bei „Plus“ gibt. Auf ihnen steht, was auch sonst in viva! steht: Informationen und Rezepte – allerdings nur zur Marke „Viva Vital“. Das ist die Marke, für die Pflaume wirbt; die gibt es auch nur bei „Plus“.
Der exklusive Inhalt der „Plus“-viva! bewegt sich textlich auf gewohnt hohem Gruner+Jahr’schem Niveau. „So ein Käse, denken Sie jetzt. Und was können sich Vegetarier grillen?“, wird etwa elegant zum Ziegenkäse mit Edelschimmel übergeleitet, der der „Plus“-viva! zufolge bei „Plus“ 1,79 Euro kostet. Die viva!-LeserInnen, die Gruner+Jahr zufolge „eindeutig überdurchschnittlich gebildet“ sind, werden Anzeigen schon erkennen, auch wenn das nicht dabeisteht. Der Preis der „Plus“-viva! ist mit 2,50 Euro indes keineswegs kleiner als der einer ordinären viva!.
All das ist also nicht schlimm, für die nächste G+J-Quartalsbilanz dürfte diese Kooperation nur ein kleiner Schritt sein – und vor allem verdienen die Marketing-Experten Lob, dass sie der Versuchung widerstanden haben, die Kooperation auf den Fernsehsender „Viva plus“ auszudehnen. Beim Überwinden der Mauern zwischen redaktionellen Inhalten und Werbung allerdings könnte es, wenn ein renommierter Verlag zusätzliche, äh: werbenahe Inhalte produziert, bloß um ein Heft, das überall zu haben ist, in 2.800 zusätzlichen Verkaufsstellen anbieten zu dürfen, ein größerer Schritt sein. CH. BARTELS