: Kein Beschiss auf dem Klo
Der Vereinigungskampf der konkurrierenden Schachverbände zwischen Wesselin Topalow und Wladimir Kramnik ist zu einem verbalen Scharmützel um die Anzahl der Toilettengänge verkommen
VON HARTMUT METZ
Die versiegelten Toilettenräume werden wieder geöffnet, das steht inzwischen immerhin fest. Die Schach-Weltmeisterschaft bleibt aber dennoch wegen allzu vieler Pinkelpausen eine längere Hängepartie: Die auf Samstag angesetzte sechste von zwölf Partien im kalmückischen Elista wurde verschoben, weil die WM-Titelvereinigung vor dem Abbruch stand. Wladimir Kramnik und Wesselin Topalow beharkten sich lieber verbal und schriftlich über die Zahl der Toilettengänge, anstatt Finten mit ihren jeweils 16 Figuren zu ersinnen.
Topalows Manager Silvio Danailow fürchtete offensichtlich beim Stand von 1:3 die Niederlage des Champions des Schach-Weltverbandes Fide und brach einen Psychokrieg vom Zaun. Kramnik habe während der dritten Partie rund 50-mal die Toilette in seinem Ruheraum aufgesucht, behauptete Danailow. Dies sei „verdächtig“, weil nur der Waschraum nicht per Video überwacht wird. Dass laut seiner „Statistik“ Topalow lediglich vier- bis achtmal pro Partie zu Pinkelpausen verschwinde, sein russischer Widersacher aber ständig, wertete der Bulgare nicht etwa als Blasenschwäche. Dreist unterstellte der Manager Betrugsversuche mit Computern auf dem Klo und forderte die sofortige Sperrung der Waschräume. Der albernen Argumentation folgte das Berufungsgericht zum Teil und beschloss, den Großmeistern ab der fünften Partie nur noch eine gemeinsame Toilette zur Verfügung zu stellen.
Daran änderte auch Kramniks Hinweis nichts, dass „die Räume sogar durch die Polizei kontrolliert wurden“. Und den Waschraum habe er nur so oft betreten, weil der Ruheraum so klein sei und er diesen mit „als Auslauf“ benutze. Überdies müsse er wegen seiner rheumatischen Arthritis viel Wasser trinken. Russische Medien besorgten sich ebenso wie Danailow die Videoaufzeichnungen aus dem Ruhezimmer und stellten dabei fest, dass Kramnik kaum mehr als 20-mal den Toilettenbereich angesteuert hatte.
Für den 31-Jährigen Moskauer war nach der Versiegelung seiner Toilette „das Maß voll“. Er fühlte sich als unfreiwilliger Teilnehmer einer „Reality-Show“, weil die Videobilder vom Berufungsgericht weitergegeben wurden. „Georgios Makropoulos und Surab Asmajparaschwili sind gute Freunde von Danailow. Die tun alles, um Topalow Vorteile zu verschaffen“, wetterte Kramnik auf der Pressekonferenz gegen die zwei Skandalfiguren des Fide-Berufungsgerichts, die einen miserablen Leumund besitzen und „ihren“ Weltmeister Topalow in allerlei Punkten bevorzugten. Der Russe pochte auf Öffnung der vertraglich fixierten Toilette. Ansonsten werde er keinen Zug mehr ausführen.
Konsequent setzte sich der Weltmeister im klassischen Schach deswegen während der fünften Partie in seinen Ruheraum mit versiegeltem Klo, ohne sich ans nur wenige Schritte entfernte Brett zu begeben. Derweil saß Topalow, der bei früheren Turnieren der Computer-Manipulation verdächtigt wurde, hinter seiner schwarzen Figurenreihe. Nachdem Kramniks Schachuhr eine Stunde lang vor sich hin getickt hatte, stoppte sie Schiedsrichter Geurt Geijssen und sprach Topalow den Punkt zum 2:3 zu.
Ob die WM fortgesetzt wird, hängt vom Spielstand ab: Kramnik und sein Dortmunder Manager Carsten Hensel pochen auf die 3:1-Führung und eine Neuansetzung der fünften Partie. Topalow besteht natürlich auf seinem kampflosen Siegpunkt. Ansonsten folgte Fide-Präsident Kirsan Iljumschinow nach zahllosen Verhandlungen bis in die Nacht fast nur den Forderungen Kramniks. Der angesichts der Skandale von einem Treffen mit Wladimir Putin aus Sotschi zurückgeeilte Präsident der autonomen russischen Republik Kalmückien brachte das mit 12.000 Dollar pro Kopf fürstlich entlohnte Berufungsgericht dazu zurückzutreten. Zudem akzeptierte Topalow die Entsiegelung der Toiletten, die aber nun jederzeit vom gegnerischen Team inspiziert werden können. Dass dabei keiner etwas finden wird, steht nicht nur für Iljumschinow außer Frage. Der Fide-Präsident entkräftete Danailows hanebüchenen Beschissvorwürfe auf dem Klo mit dem Hinweis auf die zweite Partie: In dieser war sowohl Topalow als auch Kramnik ein Mattangriff entgangen. „Wenn einer Computer benutzt, hätte er das niemals übersehen.“