piwik no script img

Kein Anschluss ohne Seilschaften

von TONI KEPPELER

Die Idee hat eine gewisse Logik: Wenn arme Länder ihre staatlichen Telefongesellschaften privatisieren und den Telekommunikationsmarkt liberalisieren, kann das eigentlich nur positive Folgen haben. Mit privatem Gewinnstreben und ebensolcher Konkurrenz sinken die Gebühren, der Service wird verbessert. So etwas kommt der Infrastruktur eines Landes zugute, macht es attraktiver für Auslandsinvestitionen. Geld kommt ins Land. Der Aufschwung beginnt.

So weit die Theorie. Und weil die Theorie so schön ist, steht die Privatisierung staatlicher Telefongesellschaften immer ganz oben auf der Liste der Bedingungen, mit der Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) das Versprechen neuer Kredite für arme Länder verknüpfen. Und noch etwas hat die Theorie für sich: Telefongesellschaften müssten eigentlich leicht unter den Hammer zu bringen sein. Schließlich ist die Telekommunikation der Markt der Zukunft, in dem Global Player längst die Milliarden hin und her schieben.

In Abhörskandal verwickelt

Doch die Wirklichkeit will nicht immer so schön sein. In Zentralamerika scheiterten allein in der letzten Woche zwei Privatisierungsversuche staatlicher Telefongesellschaften. In Honduras wollte schon zum vierten Mal kein Bieter zur Versteigerung von 51 Prozent der Hondutel-Aktien kommen. Die spanische Telefónica, France Télécom und Telmex aus Mexiko zeigen sich zwar interessiert. Aber niemand schickte ein konkretes Angebot. Jetzt wollen es die Honduraner Mitte Oktober zum fünften Mal versuchen.

In Nicaragua misslang der Versuch, 40 Prozent von Enitel an den Mann zu bringen. Einzig die France Télécom hatte ein Angebot eingereicht. Doch der Konzern wollte gerade einmal 63 Millionen Dollar auf den Tisch legen. Als Mindestpreis waren 79 Millionen veranschlagt worden. Und selbst das wäre noch ein Schnäppchen gewesen. Jorge Solis, Ex-Geschäftsführer von Enitel, schätzt den Wert des Aktienpakets auf 180 bis 240 Millionen US-Dollar.

Der jetzige Präsident von Enitel, Salvador Quintanilla, ist trotzdem zufrieden: „Wir haben die Bedingungen der internationalen Finanzorganisationen erfüllt.“ Die Regierung hat es immerhin versucht, ihre Telefongesellschaft loszuschlagen. Ihr kann von IWF und Weltbank kein Vorwurf gemacht werden.

In Guatemala ist Telguat seit zwei Jahren in privater Hand. Doch die Besitzer sind derzeit alles andere als glücklich. Präsident Alfonso Portillo hat ein Anwaltsbüro damit beauftragt, von Telguat Zahlungen in mehrstelliger Millionenhöhe einzuklagen. Ein solcher Schaden sei dem Staat bei der Privatisierung der Firma entstanden.

Es spricht einiges dafür, dass Portillo gar nicht so falsch liegt. Sein Amtsvorgänger Alvaro Arzu, ein Repräsentant des großen Handels- und Finanzkapitals seines Landes, hatte einen Gutteil der Aktien damals unter dubiosen Umständen zu Schleuderpreisen seinen Freunden zuschustern lassen. Heute ist Arzus „Partei des Nationalen Fortschritts“ (PAN) in der Opposition. Der Rechtspopulist Portillo von der „Republikanisch-guatemaltekischen Front“ (FRG) schlägt zurück.

Auch in El Salvador kann sich die France Télécom an der 51-Prozent-Mehrheit nicht richtig freuen, die sie vor gut zwei Jahren an der ehemals staatlichen Telefongesellschaft Antel erworben hat. Seit Monaten ist die heute unter dem Namen CTE-Telecom firmierende Gesellschaft in einen Abhörskandal verwickelt. Mindestens 114 Anschlüsse von Politikern und Journalisten sollen rund um die Uhr angezapft worden sein. Ganz offenbar haben die Franzosen gemeinsam mit ihrem Aktienpaket auch die Abhörgruppe des militärischen Geheimdienstes eingekauft. Nach dieser Erfahrung wollte der örtliche Telecom-Chef Dominique Saint Jean in Nicaragua lieber nicht so hoch einsteigen.

Man kann der Regierung von El Salvador beileibe nicht vorwerfen, sie lasse die Franzosen mit der nun privaten Telefongesellschaft alleine. Im Gegenteil. Sie versucht heftig, den Skandal zu vertuschen. Zwar hat die staatliche Aufsichtsbehörde für Strom und Telekommunikation die Telecom zunächst mit einem Bußgeld von umgerechnet 100.000 Mark belegt. Der Bescheid aber wurde Anfang September wieder zurückgenommen. Begründung: Dem Strafbefehl sei eine „falsche Interpretation gewisser technischer Begriffe“ zu Grunde gelegt worden.

Trotzdem läuft ein Strafverfahren gegen die Telecom. Staatsanwalt Oscar Genovés: „Die Rücknahme des Bußgeld-Bescheids der Aufsichtsbehörde hat keinerlei Einfluss auf unsere Ermittlungen.“ Narcisco Castillo, Direktor des Nachrichtensenders Canal 33 und einer der Abgehörten, kommentiert den Rückzieher der staatlichen Aufsichtsbehörde so: „Da hat ein technisches Gremium eine politische Entscheidung getroffen, um es sich leichter zu machen.“

Anders herum gesagt: Wer sich in El Salvador mit der Telecom anlegt, hat kein leichtes Leben mehr. Denn er legt sich nicht nur mit der zentralamerikanischen Niederlassung eines französischen Konzerns an, sondern vor allem mit dessen salvadorianischen Partnern. Wie bei fast allen Privatisierungen staatlicher Telefongesellschaften gingen auch in El Salvador nur 51 Prozent der Anteile an einen internationalen Bieter. Der Rest der Aktien musste im Land bleiben. Und wie in Guatemala die Freunde von Präsident Arzu bedient wurden, bedachte man in El Salvador den Finanzkapital-Zirkel um den Expräsidenten Alfredo Cristiani. Mit solchen Leuten ist nicht zu spaßen.

Ob Guatemala oder El Salvador: Beide Länder werden von einem sehr überschaubaren Kreis von Oligarchen beherrscht, deren Macht ursprünglich auf Landbesitz beruhte. Ein Teil dieser Oligarchie begriff die Zeichen der Zeit, als die Weltmarktpreise für Kaffee und Zucker zu sinken begannen. Sie sattelten rechtzeitig ins Handels- und Bankengeschäft um. Das kontrollieren sie heute so sicher wie früher Grund und Boden.

Ihre Methoden haben sich kaum geändert. Zu Bürgerkriegszeiten finanzierten sie die Todesschwadronen und deren Hintermänner. Heute werden Meinungsverschiedenheiten zwischen Oligarchen-Familien mit Entführungen und Bombenanschlägen ausgetragen.

Auch im Abhörskandal in El Salvador gab es eine Entführung: Jorge Zedán, Vorstandsvorsitzender des regierungskritischen Fernsehsenders TV12 und selbst einer der Bespitzelten, hatte die Geschichte öffentlich gemacht. Sechs Wochen später wurde er entführt und nach fünf Tagen gegen Zahlung eines Lösegelds wieder freigelassen. Er selbst will darüber nicht reden. Enge Freunde versichern aber, die Entführung sei ein Warnschuss wegen der Veröffentlichung des Abhörskandals gewesen. Das vertrackte an der Geschichte: Internationale Konzerne, die in solchen Ländern ins Telefongeschäft einsteigen wollen, haben keine Wahl. Ob sie wollen oder nicht, sie müssen solche Figuren mit ins Boot nehmen. Niemand außer ihnen verfügt über genügend Kapital.

Ein Neuanschluss für 700 Mark

Die hehren Ziele der Privatisierung – besserer Service bei niedrigeren Gebühren – bleiben bei solchen Partnern leicht auf der Strecke. Denn der zentralamerikanischen Oligarchie geht es traditionell nur um eines: um die Ausbeutung des jeweiligen Landes. In El Salvador sind mit der Privatisierung die Gebühren nicht gesunken, sondern gestiegen.

Sicher, für internationale Gespräche gibt es inzwischen Konkurrenz. Auslandstarife sind deshalb je nach Land zum Teil um mehr als die Hälfte gesunken. Parallel dazu aber wurden die Gebühren für nationale Gespräche, bei denen die Telecom immer noch konkurrenzlos ist, um 900 Prozent erhöht. Selbst bei Anschlüssen mit einem hohen Anteil an Auslandsgesprächen gleichen die Gebührensenkungen auf der einen Seite die Erhöhungen auf der anderen bei weitem nicht aus.

Und was die Verbesserung des Service angeht: Auf einen Neuanschluss muss man heute in El Salvador nicht mehr zwölf Jahre warten oder ein hohes Schmiergeld bezahlen, wie dies vor der Privatisierung der Fall war. Der Telecom-Mann kommt innerhalb von ein paar Tagen. Dafür kostet ein Neuanschluss umgerechnet rund 700 Mark – fast das Dreifache des durchschnittlichen Monatslohns eines Fabrikarbeiters.

Statt staatlicher Korruption also private Bereicherung. Und weil die nationalen Teilhaber der Telefongesellschaften direkt oder indirekt auch die staatlichen Institutionen kontrollieren, gibt es noch immer gewisse Synergieeffekte. Der Abhörskandal in El Salvador dürfte da keine Ausnahme sein. Denn nicht nur hier, sondern auch in Guatemala und Honduras wurden die Telefongesellschaften jahrzehntelang von Militärs geführt. Ihre Geheimdienste hatten aus verständlichen Gründen ein besonderes Interesse an diesem Gewerbe.

Techniker mit Armeevergangenheit

Hondutel etwa war seit seiner Gründung Mitte der Siebzigerjahre bis 1994 direkt der Armee unterstellt. Seither ist die Gesellschaft zwar offiziell zivil. Aber es gibt bis heute kaum einen Telefontechniker in Honduras, der keine militärische Vergangenheit hat. Egal, welcher internationale Konzern einsteigt – um diese Erbschaft kommt er nicht herum.

Auch ehemalige salvadorianischen Geheimdienstoffiziere sagen heute unumwunden, dass die alte staatliche Antel alles und jeden abhörte. Selbst den Präsidenten des Landes. Der heutige Telecom-Chef Saint Jean gibt zumindest zu, dass „die derzeit angewandte Technik das Abhören von Telefonen leider zulässt“. Er selbst oder die France Telecom aber seien dafür nicht verantwortlich zu machen. „Das ist ein Problem, das wir von Antel geerbt haben.“

Trotz dieser Erfahrung wird Saint Jean wohl zum nächsten Versteigerungsversuch von Enitel nach Nicaragua fahren. Auch an Hondutel hat die France Telecom weiterhin Interesse. Für einen Weltkonzern ist der Kleinstaat El Salvador alleine relativ uninteressant. Doch mit den Nachbarn Honduras und Nicaragua wird daraus ein Stück.

Irgendwann wird es schon klappen. Denn IWF und Weltbank werden weiter auf die Privatisierung drängen. Wenn noch ein paar Versteigerungsversuche scheitern sollten, senkt das nur den Einstiegspreis. Den Bietern kann das recht sein. Doch im Sinne der Erfinder der Privatisierungsprogramme ist das nicht. Schließlich sollen die verarmten Länder mit den Versteigerungserlösen ihre Schulden begleichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen