Katholische Kirche ganz anders: Priester im Overall
Albert Koolen steht keiner Gemeinde vor. Der 59-Jährige jobbt und versteht sich als Arbeiterpriester – er hilft denen, die ganz unten stehen.
Betriebsräte sind bei großen Arbeitgebern, in der Industrie und im öffentlichen Sektor stark und wichtig. Aber weniger in Teilen des Dienstleistungssektors mit seinen prekären Arbeitsverhältnissen, Mindestlöhnen, harten Arbeitsbedingungen und vielen ausländischen Mitarbeitern.
Albert Koolen, der neu gewählte Betriebsrat, begrüßt die Besucher in seinem Büro. Es fühle sich alles neu und seltsam an, sagt er, zumal er jetzt ganztägig als freigestellter Arbeitnehmervertreter tätig ist. Bis zum Oktober hatte er zehn Jahre lang als einer der Männer gearbeitet, die Mietwagen auf Schäden untersuchen, wenn diese nach dem Urlaub oder einer Geschäftsreise zurückgeben werden.
Eines der ersten Dinge, die man an Albert Koolen bemerkt, einem freundlichen, jugendlich wirkenden 59-Jährigen, ist der verstümmelte Finger an seiner rechten Hand, Ergebnis eines Arbeitsunfalls, wenige Wochen nachdem er Anfang der 1990er Jahre in einer Textilfabrik in Krefeld eine Arbeit aufgenommen hatte. Handarbeit, einschließlich solcher Risiken, ist schon immer sein Leben gewesen.
„Dienst mit normalen Arbeitern“
Eines der letzten Dinge, die man an Koolen bemerkt – wenn man es denn überhaupt bemerkt – ist die Tatsache, dass er ein katholischer Priester ist. Er trägt keinen Priesterrock bei der Arbeit, sondern bevorzugt Overalls und Arbeitsstiefel. Koolen posaunt auch nicht damit herum, dass er schon seit Jahrzehnten ordiniert ist und gelegentlich Gottesdienste gibt.
„Arbeit ist in unserem Leben so wichtig, sie prägt, wer wir sind, und unsere Beziehungen“, sagt er. „Ich habe vor langer Zeit erkannt, dass ich meinen Dienst mit den normalen Arbeitern zusammen machen möchte.“
Albert Koolen bittet Elen Becirevic, ein weiteres Mitglied des Betriebsrats, zu unserem Treffen. Er spielte zusammen mit Becirevic, dem örtlichen Verdi-Gewerkschaftsvertreter, eine Schlüsselrolle, als es darum ging, die Beschäftigten zur Gründung eines Betriebsrats zu ermutigen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Aber Koolen möchte nicht im Mittelpunkt stehen. Es sei schließlich eine Teamleistung gewesen, sagt er.
Albert Koolen ist das, was man einen sogenannten Arbeiterpriester nennt. Dies sind ordinierte Theologen, die ihre Arbeit, oft in manuellen Berufen, als ihre Berufung betrachten. Anstatt eine Gemeinde und eine Kirche zu betreuen, leben sie ihren Glauben, indem sie einen weltlichen Job übernehmen. Sie sind weder Missionare noch Seelsorger am Arbeitsplatz, wie sie in Krankenhäusern und anderswo üblich sind. Sie glauben, dass die Kirche zu bürgerlich und zu engstirnig geworden ist und sich den Realitäten des Lebens öffnen sollte, insbesondere denen armer und abgehängter Menschen.
Sozialwohnung statt katholisches Haus
Albert Koolen, der aus einer mittelständischen Familie in Aachen stammt, lernte während seines Theologiestudiums Ende der 1970er Jahre in einem Auslandssemester in Belgien erstmals einen Arbeiterpriester kennen. Damals hatte Koolen Zweifel beschlichen, ob er als Priester in der konservativ geprägten katholischen Kirche in Deutschland arbeiten könnte. „Nach dieser Erfahrung in Belgien wurde mir klar, dass ich auch ordiniert werden könnte, wenn ich als Arbeiterpriester tätig werde.“
Während seiner Ordinationsausbildung arbeitete er als Priester in einem armen Viertel von Krefeld. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt verhielt er sich ungewöhnlich für einen angehenden Priester. Er lehnte das ihm von der Kirche zugeteilte Haus ab und lebte stattdessen lieber in einer Sozialwohnung unter seinen Gemeindemitgliedern. Damals blätterte er eines Tages durch die Gelben Seiten des Krefelder Telefonbuchs, landete beim Anfangsbuchstaben „T“ für Textilfirmen und versuchte in einer der Firmen einen Job zu bekommen. Ungewöhnlich genug gewann Koolen die Unterstützung des Bischofs seiner Diözese bei seinem Versuch, ein Arbeiterpriester zu werden.
An der Seite der Armen So wie Albert Koolen haben sich viele der heute in ganz Europa tätigen Arbeiterpriester für prekäre Beschäftigungen im Dienstleistungssektor entschieden, damit sie bei ihrer Arbeit an der Seite von Randgruppen mit schlechten Arbeitsbedingungen stehen - Menschen ohne starke Stimme in der Gesellschaft.
Geschichte Die Arbeiterpriester, die vor 80 Jahren in Frankreich die Bewegung ins Leben gerufen hatten, gingen damals ähnlich vor. Sie arbeiteten in der Industrie und auf den Docks. Während des Zweiten Weltkriegs schlossen sich Dutzende französischer Arbeiterpriester heimlich den Hunderttausenden französischer Zwangsarbeiter in deutschen Rüstungsfabriken an und gründeten eine Untergrundkirche, um ihre Landsleute zu unterstützen. Viele dieser Priester wurden von der Gestapo gefangen genommen und in NS-Lagern ermordet.
Der Vatikan schreitet ein Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs im Vatikan die Besorgnis über die Arbeiterpriester, insbesondere über ihre angeblichen Verbindungen zu kommunistischen Gewerkschaften. 1954 wurde die Bewegung verboten. Dieses Verbot wurde erst elf Jahre später wieder aufgehoben. Danach breitete sich die Arbeiterpriester-Bewegung in anderen Ländern aus, darunter Belgien und der Schweiz.
In Großbritannien Inspiriert von ihren katholischen Amtskollegen in Frankreich gründete sich Ende der 1950er Jahre in Großbritannien eine kleine Gruppe anglikanischer Arbeiterpriester. Beteiligt waren auch deren Frauen. Die Eltern des Autors dieser Geschichte zählten zu den Gründungsmitgliedern. Mein Vater, Rev. Tony Williamson, war 30 Jahre lang Arbeiter in einer Autofabrik in Oxford.
Arbeitergeschwister Eine kleine Gruppe von Arbeiterpriestern in Europa ist bis heute aktiv, darunter Frauen und Männer, die als Priester, Mitglieder christlicher Orden oder Laien tätig sind. Sie arbeiten als Reinigungskräfte, Mitarbeiter eines Logistikzentrums, wo Pakete für Onlinehändler gepackt werden, und als Krankenwagenfahrer. Zweimal jährlich trifft sich in Ilbenstadt bei Frankfurt am Main eine deutschsprachige Gruppe von rund 25 Personen, die sich Arbeitsgeschwister nennt. Hugh Williamson
Immer am Morgen und am Nachmittag tourt Albert Koolen heute über den Parkplatz der Mietwagenfirma, schüttelt den Mitarbeitern die Hände und fragt, ob es Probleme gibt. In der Firma finden sich nur wenige deutsche Mitarbeiter, die meisten kommen aus Osteuropa, Griechenland, der Türkei, dem Balkan, Sri Lanka und anderen Ländern. „Es ist ein bisschen wie bei den Vereinten Nationen“, scherzt Koolen.
„Mein Job ist ein bisschen wie Seelsorge“
Im vierten Stock, wo er selbst viele Jahre lang gearbeitet hat, begrüßt er seine ehemaligen Teamkollegen, die sich in einem Baucontainer warm halten, der die Kaffeepausen erträglicher macht. Ein Auto fährt vor. Die Mitarbeiter greifen zu ihren tragbaren Computern. Sie gehen um das Fahrzeug herum und suchen nach Schäden. Die Papiere sind rasch erledigt. Sie müssen schnell arbeiten. Die Teams arbeiten an manchen Tagen während ihrer achtstündigen Schicht 250 Fahrzeuge ab. Die Arbeit ist stressig, die Kunden sind in Eile, und es ist ungemütlich auf dem zugigen Parkdeck. Kollegen nehmen ihn mit ihren Problemen gern beiseite. „Mein Job ist ein bisschen wie Seelsorge“, erzählt Koolen später.
Zurück im Betriebsrat zeigt Albert Koolen Fotos einer anderen Gruppe von Arbeitern am Flughafen Düsseldorf. Er und sein Kollege Elen Becirevic protestieren auf den Bildern solidarisch mit Putzfrauen, die sich für höhere Löhne einsetzen. Nur rund 2.000 der 30.000 Mitarbeiter am Flughafen hätten einen Betriebsrat, sagt Koolen.
Die Nachricht, dass sich bei dem Autovermieter Arwe ein Betriebsrat gebildet hat, machte auf dem Flughafen schnell die Runde. Ist das ein Zeichen des Fortschritts? Koolen ist auf seine unmittelbaren Aufgaben konzentriert, die Verhandlungen mit der Firma über grundlegende Verbesserungen, über Schichtpläne und Lohnsätze. Der Firma müsse man zugute halten, dass sie sich der Zusammenarbeit verpflichtet fühle, auch wenn die Betriebsleitung anfänglich wenig von der Idee eines Betriebsrats begeistert gewesen sei. Arwe mochte entsprechende Fragen nicht beantworten.
Elen Becirevic, der ursprünglich aus Bosnien kommt, berichtet, dass er den Namen von Albert Koolen erst einmal gegoogelt habe, bevor er sich dazu entschloss, mit ihm im Betriebsrat zusammenzuarbeiten. Er fand heraus, dass Albert Erfahrung hat – er war Vorsitzender des Betriebsrats der Textilfirma, in der er früher gearbeitet hatte. Und Becirevic kümmerte sich nicht weiter um das Video, das Koolen bei der Leitung einer Mahnwache in Krefeld für die Opfer der NSU-Morde im Gebet zeigt. „Albert ist Albert. Religion ist hier kein Thema“, sagt Becirevic.
Und Albert Koolen selbst, was ist seine Motivation als Priester am Arbeitsplatz? „Jeder sollte in der Lage sein, seine Arbeit in Würde zu verrichten“, sagt er. „Wenn ich zeigen kann, dass dies möglich ist, reicht das aus.“
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