Katholiken: Der Karfreitags-Trick
Wirbel um Papst Benedikt: Die lateinische Messe soll wieder zugelassen werden. Droht damit eine Spaltung der katholischen Kirche - Reaktionäre gegen Liberale?
Es ist so gut wie nichts zu verstehen. Vorne steht ein schwarzhaariger Priester im beigen Talar am Altar, die Gemeinde sieht während der Messe die meiste Zeit nur seinen Rücken. Man hört von seinen Gebeten, die er in Richtung Altar spricht, lediglich ab und zu ein "Dominus". Nur beim "Oremus", dem Aufruf zum Gebet, wendet sich der Geistliche mit ausgebreiteten Armen kurz den etwa zwanzig Katholiken in einem Seitenschiff der Kirche St. Afra in Berlin-Wedding zu - um sich sofort wieder umzudrehen und den Gläubigen erneut den Rücken zu zeigen. Nach einer halben Stunde ist alles erledigt, der Priester rauscht in die Sakristei: Ist das die Zukunft der Kirche?
Die tridentinische Messe geht auf die Liturgiereform des Konzils von Trient (1545-1563) zurück. Erst das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) beschloss eine neue Form des Gottesdienstes. Sie ist seit 1970 in Kraft. Die tridentinische Messe wurde verboten. Papst Johannes Paul II. gab 1984 dem Drängen von Traditionalisten nach und gestattete Sonderregelungen. Mit Zustimmung des jeweiligen Ortsbischofs darf seitdem in streng geregelten Einzelfällen auch wieder die tridentinische Messe gefeiert werden. Sie wird auf Latein gelesen. Die Rückkehr zu ihr fordern vor allem Anhänger des erzkonservativen französischen Bischofs Marcel Lefebvre (1905-1991), der 1988 exkommuniziert wurde. Papst Benedikt XVI. hatte sich schon als Präfekt der Glaubenskongregation kritisch zur Liturgiereform von 1970 geäußert.
Ja, zumindest zum Teil. Am Samstag will der Vatikan ein in Kirchenkreisen mit Spannung erwartetes Dokument veröffentlichen, das eine (kleine) Revolution in der römisch-katholischen Kirche verursachen wird, das den Keim einer Kirchenspaltung in sich birgt und das den christlich-jüdischen Dialog um Jahrzehnte zurückwirft. Papst Benedikt XVI. wird kurz vor seinem Urlaub ein sogenanntes Motu proprio veröffentlichen. Diese Anordnung "aus eigenem Willen" ist in ihren Grundzügen schon seit gut einer Woche bekannt und bedeutet eine klassische Rolle rückwärts für die Gesamtkirche: Der Deutsche auf dem Stuhl Petri will die uralte tridentinische, die lateinische Messe wieder zulassen.
Zwischen 1970 und 1984 war dieser Messritus für die rund eine Milliarde katholische Christen weltweit ganz verboten, seitdem ist er nur in Ausnahmefällen geduldet. Das heißt, wer ihn feiern wollte, brauchte bisher eine Extraerlaubnis ("Indult") von seinem Bischof. Nach dem heutigen Motu proprio, so viel ist bisher durchgesickert, wird die fast 450 Jahre alte Messe in Latein nun auch ohne das ausdrückliche Okay des Oberhirten möglich sein. Der bisherige Gottesdienst in der jeweiligen Landessprache, eine der großen Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65), wird zurückgedrängt. Und die Reaktionäre in der Kirche, denen das Reformkonzil schon immer ein Dorn im Auge war, jubeln.
Wohlgemerkt: Die Sache ist keine liturgische Petitesse, die nur theologische Freaks erregen kann - auch geht es nicht nur ums Latein. Lateinische Gebete oder Lieder können schon jetzt ohne Probleme im Gottesdienst verwendet werden. Insofern ist es auch keine Sache der Ästhetik, die Intellektuellen wie dem neuen Büchnerpreisträger Martin Mosebach dabei so wichtig ist.
Es geht um mehr. Die tridentinische Messe ist ein Symbol für die Konservativen in der Weltkirche. Der Ritus atmet den Geist der Gegenreformation, der Rückkehr ins Mittelalter - das Gegenprogramm zu Martin Luther. Betonte die Reformation, dass der Priester im Gottesdienst nur Primus inter Pares sei, dass die Gemeinschaft hier entscheidend sei und möglichst alles auf Deutsch abzulaufen habe, schrieb das Konzil von Trient (1545-63) mit seiner tridentinischen Messe genau das Gegenteil fest: Sie ist priester- und opferzentriert - und ohne großes Latinum versteht man gar nichts. Der deutsche Liturgiewissenschaftler Martin Klöckener urteilt spitz: "Ob außer dem Priester noch Gläubige anwesend sind, ist unerheblich."
So etwas gefällt natürlich all denen, die denken, dass die Laien seit dem Konzil eh viel zu viel in der Kirche zu sagen haben - obwohl schon dieses Wenige kaum der Rede wert ist. Und ein Wunder ist es auch nicht, dass der Papst stets ein Fan dieser tridentinischen Messe war. Schon 1996, vor seiner Zeit als Pontifex maximus, sagte Joseph Kardinal Ratzinger als Chef der Glaubenskongregation über die lateinische Messe: "Eine Gemeinschaft, die das, was ihr bisher das Heiligste und Höchste war, plötzlich als strikt verboten erklärt und das Verlangen danach geradezu als unanständig erscheinen lässt, stellt sich selbst in Frage. Denn was soll man ihr eigentlich noch glauben?" Deshalb feierte der heutige Papst auch immer wieder die alte Messe - etwa 1999 in Weimar. Etliche Jubelbilder der Messetraditionalisten sind im Internet zu bewundern.
So ist die Wiederzulassung der alten Messe ein Frontalangriff auf alle, die die Früchte des Konzils hochhalten. Wenn man etwa Christian Weisner, einen der Sprecher der progressiven Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche", auf das Motu proprio anspricht, hört man zuerst nur: "Schlimm!" Es drohe eine Spaltung der Kirche: Hier die konservativen Gemeinden und Priester, die nun einfach nur noch die tridentinische Messe in Latein feiern - dort die liberalen, die an der landessprachlichen Messe des Reformkonzils festhalten. Selbst die sonst meist stramm romtreue Welt fragt: "Droht die liturgische Anarchie?"
Die "bedingungslose Freigabe des tridentinischen Ritus", so Weisner, füge sich zudem ein in eine Reihe von reaktionären Entscheidungen und Erklärungen des Papstes seit Beginn seines Pontifikats vor zwei Jahren - etwa in Sachen Homosexualität, Abtreibung, Zölibat, Stellung der Frau in der Kirche und Ökumene. Deshalb ist die alte Messe vor allem ein reaktionärer Hebel: "Die Eucharistie wird instrumentalisiert, um eine andere Kirchenpolitik zu machen." Der kurze Honeymoon des Kirchenvolks mit seinem Papst ist vorbei. Die Reaktion marschiert.
Das Ganze hat natürlich seinen kirchenpolitischen Hintergrund: Mit dieser Entscheidung für die alte Messe versucht Papst Benedikt, die Ultratraditionalisten der "Priesterbruderschaft St. Pius X." wieder ins Boot zu holen. Diese Vereinigung, gegründet von Monsignore Marcel Lefebvre, hasst die Reformen des Konzils und hält auch an der tridentinischen Messe fest. Lefebvre wurde, nachdem er eigene Bischöfe geweiht hatte, 1988 exkommuniziert. Mit der Wiedereinführung der alten Messe soll diese Spaltung, dieses Schisma, der Kirche aufgehoben werden - mit der Gefahr, dass ein neues entsteht.
Und es gibt noch eine andere brisante Konsequenz der heutigen Entscheidung. Die tridentinische Messe hat eine antijüdische Schlagseite: In einer Fürbitte, die im alten Karfreitagsgottesdienst vorgeschrieben ist, müssen Priester und Gemeinde "für die Bekehrung der Juden (Pro conversione Iudaeorum) beten, die in "Verblendung" (obcaecatio) und in "Finsternis" (tenebrae) leben.
Der Reformpapst Johannes XXIII. (1958-63) strich zwar schon vor dem Konzil 1959 bei dieser Fürbitte die ursprüngliche antijüdische Bezeichnung der Juden als "treulos" (perfidus) - sie war ein Grund für die unselige, jahrhundertealte Judenfeindschaft der Kirche. In dem nun von Papst Benedikt XVI. offiziell wieder akzeptierten tridentinischen Ritus nach dem Messbuch von 1962 wird aber weiter für die Bekehrung der Juden gebetet.
Das widerspricht eklatant dem Geist des Konzils und einer seiner wichtigsten Dokumente, "Nostra aetate". Das Papier, das vorletztes Jahr zum 40-jährigen Jubiläum mit katholischer und jüdischer Prominenz groß gefeiert wurde, stellt fest, dass die Juden eben nicht mehr bekehrt werden müssen, weil sie bereits durch den Alten Bund seit Abraham das volle Heil haben - sie sind die "älteren Brüder" der Christen, wie es Papst Johannes Paul II. selig einmal gesagt hat. Seit dem Konzil hat die katholische Kirche immer wieder betont, sie werde angesichts des Holocaust und des früheren christlichen Antijudaismus keine Judenmission mehr betreiben. Und den Juden ist dies sehr wichtig. Dabei wird, was selbst Insidern der Kirche kaum bekannt ist, zumindest in "Indult"-Messen seit 1984 genau für ihre Bekehrung wieder gebetet.
Angesichts dieser Lage hat der jüdisch-christliche Gesprächskreis beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken den Vatikan schon vor Monaten eindringlich gewarnt, die tridentinische Messe wieder einzuführen. Die deutschen Bischöfe erklärten wohl nicht ganz zufällig bei ihrer Herbstversammlung 2006, eigentlich gebe es keinen Bedarf, die "Indult"-Lösung aufzugeben.
Einiges spricht nun dafür, dass der Papst den zu erwartenden Rückschlag im christlich-jüdischen Dialog wegen der neu-alten Messe mit einem Trick verhindern will: Voraussichtlich bestimmt er heute zugleich eine Regel, wonach die Karfreitags- und Ostergottesdienste nicht nach dem tridentinischen Ritus gefeiert werden sollten. Nach der hinterfotzigen Logik: Wo kein alter Karfreitagsgottesdienst, da auch keine Karfreitagsfürbitte.
Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschlands, Stephan Kramer, ist schon jetzt entsetzt über das, was da droht - ob mit Karfreitagstrick oder ohne, denn das sei "im Prinzip nur Kosmetik", sagte er der taz. Er erwartet von der Wiedereinführung der lateinischen Messe eine "nachhaltige Störung des katholisch-jüdischen Dialogs". Es wäre eine "schallende Ohrfeige" für alle, die sich seit Jahrzehnten für diesen Dialog einsetzen, und eine "schwere Belastung" der katholisch-jüdischen Beziehungen.
In der Sakristei von St. Afra freut man sich dagegen schon jetzt riesig über das Motu proprio. Das Papier werde so bedeutend für die Kirche sein wie der Fall der Berliner Mauer für Deutschland, meint Diakon Thomas Achatz, der bald nach altem Ritus zum Priester geweiht werden soll. Wenn heute das Motu proprio verkündet werde, wolle man mit Sekt anstoßen, meint der Messdiener. Und man werde ein "Te Deum" singen, fügt Achatz strahlend hinzu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?