Katholiken-Initiative "Wir sind Kirche": "Das Schiff droht zu sinken"
Christian Weisner von der katholischen Initiative "Wir sind Kirche" sieht angesichts des Missbrauchsskandals dringenden Reformbedarf - und die Gefahr von Rückschlägen.
taz: Herr Weisner, ist es Zeit für ein neues Konzil?
Christian Weisner: Nein, denn zunächst einmal müsste es darum gehen, die Beschlüsse des letzten Konzils konsequent umzusetzen. Denn nach dem Reformkonzil hat es leider viele Rückschläge gegeben. Zudem gibt es die berechtigte Befürchtung, dass es mit den derzeitigen Bischöfen und Kardinälen eine sehr viel konservativere Ausrichtung geben könnte. Ein neues Konzil würde einen noch größeren Rückschlag bedeuten.
Das heißt: Sie trauen der Spitze der römisch-katholischen Kirche derzeit keine Reformbereitschaft zu?
Dieser Text ist Teil der aktuellen sonntaz - am 27. und 28. Februar gemeinsam mit der taz am Kiosk erhältlich.
Nur wenn beim nächsten Konzil auch Laien, vor allem auch Frauen, also das gesamte Kirchenvolk, beteiligt sind, könnte es in der katholischen Kirche zu den Veränderungen kommen, die notwendig sind. Doch dafür kann ich momentan keine Bereitschaft erkennen.
Nach den jüngsten Missbrauchsskandalen steht der Vatikan unter Druck. Wird das nicht dazu führen, dass die Kirchenspitze zumindest beim Thema Sexualmoral umdenken wird?
Es wäre schön, wenn ich diese Hoffnung hätte. Doch die Realität ist eine andere. Als wir vor 15 Jahren das Kirchenvolksbegehren initiierten und eine Erneuerung der römisch-katholischen Kirche forderten, war der Auslöser ebenfalls der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs. Damals ging es um den Wiener Kardinal Hermann Groër. Seit acht Jahren haben wir die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz vorliegen. Trotzdem werden immer wieder Fälle bekannt, in denen die Kirchenspitze zu vertuschen versuchte.
Wie erklären Sie sich das?
Ich sehe darin ganz klar ein strukturelles Problem der römisch-katholischen Kirche, das sie aber nicht erkennen mag. Wenn ein Priester der Täter ist, ist das schlimm genug. Wenn dahinter aber eine Institution steckt, die die Täter - bewusst oder unbewusst - schützt, dann ist das ein Skandal. Der Kirchenspitze muss klar werden: Sexueller Missbrauch ist kein Kavaliersdelikt. Und es handelt sich auch in der katholischen Kirche nicht um Einzelfälle.
Immerhin gab es nun bei der Deutschen Bischofskonferenz Worte des Bedauerns.
Die abgelesene Entschuldigung von Erzbischof Robert Zollitsch wird den Opfern wohl nicht ausreichen. Besser wäre es gewesen, wenn er um Vergebung gebeten und deutlich gemacht hätte, was an Umkehr vonseiten der Kirche auch tatsächlich getan wird. Ich befürchte, dass manche Bischöfe die Dramatik der ganzen Angelegenheit noch nicht ausreichend erfasst haben. Und sie erkennen auch nicht, was für ein Vertrauensschaden entstanden ist.
Was befürchten Sie?
Der Leiter des Canisius-Kollegs in Berlin, Jesuitenpater Klaus Mertes, sagt, dass wir erst die Spitze des Eisbergs sehen. Ich fürchte, er hat recht, und kann nur hoffen, um im Bild zu bleiben, dass nicht das ganze Kirchenschiff sinkt. In den USA sind ganze Diözesen und jetzt auch Jesuitenprovinzen pleitegegangen aufgrund der Entschädigungsforderungen. In Irland ist die Kirche aufgrund der jahrelangen Missbrauchsfälle völlig am Boden. Ähnliches befürchte ich auch für Deutschland, wenn nicht die tieferen Ursachen angegangen werden.
Was konkret müsste von der Kirche kommen?
Das Erste ist: den Opfern zuhören, ihnen Glauben schenken und sie um Vergebung bitten. Dann ist natürlich therapeutische Hilfe notwendig, sowohl für die Opfer als auch für die Täter. Wenn Opfer auch eine finanzielle Entschädigung erwarten, dann sollte auch das geklärt werden. Im Fall der missbrauchten Heimkinder hat es einen runden Tisch gegeben, an dem Lösungen gefunden wurden. Ein solcher runder Tisch wäre auch hier ein guter Weg. Auch die Prävention bei Priestern wie bei potenziellen Opfern muss intensiviert werden. Letztlich muss unsere Kirche aber auch eine neue Einstellung zur Sexualität gewinnen.
Was kann die Kirchenbasis beitragen?
Sehr viel. Und viele tun das ja bereits. Die Kirchenvolksbewegung betreibt seit 2002 ein Nottelefon, wo sich seitdem um die 300 Opfer gemeldet haben. Dann gibt es viele gute Priester und ReligionslehrerInnen, die die Botschaft Jesu ernst nehmen und den römischen Katechismus nicht als allein selig machende Botschaft verkünden, sondern sich den wirklichen Fragen der Menschen zuwenden und auch Tabus ansprechen.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel Homosexualität. Der Katechismus verbietet es, homosexuell zu leben. Doch wir wissen, dass viele katholische Priester schwul sind. In den USA sollen es 30 bis 50 Prozent sein. Für Seelsorger ist es aber keine gute Voraussetzung, wenn sie ihre eigene Persönlichkeit verstecken müssen. Die Kirchenleitung wäre gut beraten, mehr auf die Humanwissenschaften zu hören. Die Basis ist da sehr viel weiter.
Wie ist denn momentan die Stimmung an der Basis?
Viele sind enttäuscht, dass der Vorsitzende der Bischofskonferenz fast vier Wochen lang geschwiegen hat. Seine Entschuldigung kam zu spät und war blass.
Treten mehr Menschen aus?
Wie bei der evangelischen Kirche gibt es auch bei den Katholiken seit vielen Jahren einen permanenten Aderlass. Und das hat gar nicht nur mit den aktuellen Dingen zu tun. Es ist die Entfremdung der Kirchenspitze vom Kirchenvolk insgesamt, weswegen viele einen Austritt erwägen.
Leser*innenkommentare
tonsurundkullerbauch
Gast
Warum kommt die taz immer wieder darauf die Vertreter "WIR SIND KIRCHE" zu befragen. Klüger wäre es die zukünftigen Priester, also die kath Theologiestudenten zur Zukunft und zum Umgang mit ihrer Sexualtität zu befragen.
Die klein Gruppe "WIR SIND KIRCHE" sind teilweise in ihren Zielen so chaotisch und verworren, die sollten weiterhin von der süddeutschen und anderen STaatsträgern interviewt werden.
Rene
Gast
"Ihr" seid Kirche ??? Sagt wer ???
Wolfgang
Gast
Die katholische Kirche ist ein schwarzes Loch, aber ein teuflisches!
marco reinhard
Gast
Was tut "Wir sind Kirche" ganz konkret für die Opfer? Außer Schuldzuweisungen an andere finde ich hier leider nichts...
didi
Gast
Auch ich bin von einem Priester, einem Pater sexuell angegangen worden. Der macht heute trotz seines fortgeschrittenen Alters "Heilungen", schreibt Marienbüchlein liest Messen usw. Mir wird ganz schlecht, wenn ich nur darüber nachdenke und meinen Ärger und meine Wut kann ich kaum loswerden. In meiner Familie, in seinem Orden, beim zuständigen Bischof fühlte ich mich überhaupt nicht ernst genommen. Nach deutschem Recht ist die Sache verjährt. Für mich verjährt dies nie.
dierk schäfer
Gast
"Im Fall der missbrauchten Heimkinder hat es einen runden Tisch gegeben, an dem Lösungen gefunden wurden."
welcher runde tisch ist gemeint? der in berlin wohl nicht. dort wurden bisher keine lösungen gefunden. viele heimkinder befürchten, daß dort auch keine gefunden werden sollen.
Publicola
Gast
Kinderschändung - Zölibat - Keinerlei Zusammenhang ? Hypothese:
Die Ansprüche der katholischen Kirche hinsichtlich des Sexuallebens und Sexualverhaltens insbesondere an ihre Amtsträger sind nicht realistisch und letztlich nicht lebbar. Wie erregt auch immer die Abwehrreaktionen gegen die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Kinderschändung durch Geistliche und genannten Ansprüchen sein mögen, so sind diese Abwehrreaktionen eher ein Indiz für eine der verborgenen Ursachen für nun bekannt gewordenes Fehlverhalten. Die Einrichtung einer kirchlichen Kommission ist erfreulich, doch führt sie lediglich zu einer eher als Oberflächenreparatur sich auswirkenden Maßnahme.
ZÖLIBAT - STATEMENT DER BISCHOFSKONFERENZ
Anders als man es in Deutschland sich angewöhnt hat äußert sich der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz in der Schweiz, Bischof Norbert Brunner deutlichst:
"Ich halte es für möglich, den Pflichtzölibat für Priester abzuschaffen. Denn es gibt keine Wesens-Verbindung zwischen dem Zölibat und dem Priestertum. Als eine mögliche Lebensform für Priester muss der Zölibat zwar bestehen bleiben – als ein besonders starkes Zeichen der Nachfolge Christi. In der Geschichte der Kirche wurde der Zölibat von Beginn weg als die privilegierte Form des priesterlichen Seins betrachtet. Daneben sollte es aber auch die Möglichkeit geben, verheiratete Männer zu Priestern zu weihen. ... Ja, und ich habe es auch mehrmals in Rom vorgebracht. Das Problem ist jedoch, dass ein solcher Schritt nicht für eine Region oder ein Land gesondert vollzogen werden kann. Diese Frage muss für die Gesamtkirche geregelt werden. ... Ich glaube, dass die Bischofskonferenz ziemlich einhellig der Meinung ist, dass es in der Schweiz möglich sein sollte, verheiratete Männer zu Priestern zu weihen. [Gibt es Anzeichen, dass sich auch Rom in dieser Frage bewegen könnte?] Im Moment nicht."
Quelle:
Interview mit dem Präsidenten der Schweizer Bischofskonferenz Norbert Brunner:
«Den Pflichtzölibat abschaffen»
http://www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/den_pflichtzoelibat_abschaffen_1.4078224.html
29. November 2009, NZZ am Sonntag