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Katharina Wagners "Meistersinger"Zweifel am Kult

Eine(r) wird gewinnen: Katharina Wagner inszeniert in ihrem zweiten Bayreuther Jahr die "Meistersinger" und wagt ein Public-Viewing-Experiment.

Probenfoto aus den "Meistersingern" der Wagner-Erbin und zukünftigen Festspiel-Chefin Katharina. Bild: dpa

Immer wenn der Promiauftrieb der Eröffnungspremiere überstanden ist und die Produktionen eines Jahrgangs einmal durchgelaufen sind, kehrt selbst bei den Bayreuther Festspielen im August so etwas wie Alltag ein. Dann fällt auch ein Hügel-Besucher wie der etwas obskure Kärntner "Bin weg, bin wieder da"- Landeshauptmann Jörg Haider nicht weiter auf, weil kein Offizieller einen Anstandsbogen um ihn machen muss.

Ob der Altersdurchschnitt der Wagnerianer dann wirklich etwas sinkt und die Sprachenvielfalt etwas größer wird im Vergleich mit dem Auftaktspektakel, kann man nicht ganz sicher sagen. Mag sein, dass da vielleicht der Erneuerungswunsch der Vater der Wahrnehmung ist. Die Rituale und das Drumherum freilich gleichen sich. Von den Pausenfanfaren über das unbequeme Sitzen im nichtklimatisierten Haus bis hin zum Anstehen nach den Weißwürsten in der Pause.

Neben Stefan Herheims neuem, spektakulär politischem "Parsifal" stehen aktuell Christoph Marthalers "Tristan" und Tankred Dorsts "Ring" auf dem Programm. Weil ausgerechnet der aber szenisch unrettbar schwächelt, fällt der Musik und Christian Thielemann dabei ein Aufmerksamkeitsbonus zu, der schon wieder übertrieben ist. Immerhin sollte es ja bei Wagner ums Gesamtkunstwerk gehen.

Und doch zeichnet sich die vielbeschworene Erneuerung nicht nur hinter den Kulissen ab, seit Wolfgang Wagner Ende April hochoffiziell seinen Rücktritt zum Ende dieser Festspiele angekündigt hat. Vorausgegangen war diesem Durchbruch nach jahrelanger Erstarrung im November der Tod von Wolfgangs mitregierender Ehefrau Gudrun und die ministerielle Aufforderung kurz darauf, die Halbschwestern Katharina, 30, und Eva Wagner-Pasquier, 63, möchten ein gemeinsames Konzept für eine Doppelspitze vorlegen.

Dass der greise Patriarch nun wohl tatsächlich davon ausgehen darf, dass diese Wunschkonstellation beim offiziellen Verfahren des Stiftungsrates im September auch zum Zuge kommt, ist mittlerweile für die meisten Beobachter ausgemachte Sache. Trotz der immer noch mit eigenen Ambitionen querschießenden Orakelsprüche von Wieland-Tochter Nike, 63. Auch die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kolportierten Bayreuth-Visionen aller von Amtswegen oder aus eigener Ambition Berufenen, die nicht durch Abstammung vom Komponisten bevorzugt (oder geschlagenen) sind, läuft ins Leere.

In der Praxis der Festspiele wirkt unterdessen die Macht des Faktischen. Und da hat Katharina einen Heimvorteil. Ganz künftige Chefin, hat sie mit ihren "Meistersingern" denn auch das erste Public-Viewing-Experiment der Festspielgeschichte riskiert. Gerechnet habe sie mit ein paar tausend, am Ende waren es, wenn man jeden mitrechnet, der mal vorbeigeschaut hat, weit über 30.000. Kommerziell bringe das zwar den Festspielen nichts ein, aber für die Oper als Kunstform schon, meinte Katharina Wagner in der "Meistersinger"-Pause. Als sie dann am Ende der Aufführung vor den Vorhang trat, kassierte sie einen erstaunlichen kräftigen Buhsturm. Offenbar entfaltet vor allem die politische Dimension des dritten Aufzugs beim normalen Festspielpublikum noch immer provokative Sprengkraft: Wenn der zum wahren Künstler erwachte Beckmesser auf der Bühne der einzige Zweifler am kanonisierten und obendrein politisch kontaminierten Kunstkult eines Hans Sachs wird. Der wiederum ist gänzlich zum Reaktionär mutiert und jede militante Nuance seiner Schlussansprache, die ja gemeinhin immer ins politisch Korrekte uminterpretiert wird, meint er hier aufs Wort so, wie sie klingt. Dieses Selbstreferentielle, die Rezeption des Werkes Spiegelnde gehört zum Besten an dieser Inszenierung. Wirklich problematisch ist die musikalische Seite.

Zwar ist mit Michaela Kaune jetzt eine passable Eva im Spiel, doch leider ist Franz Hawlatas Sachs durchweg überfordert. Auch was Sebastian Weigele aus dem Graben aufsteigen ließ, zerfaserte oft und ließ Wünsche nach mehr transparenter Spannung und Präzision aufkommen.

Obwohl Katharina Wagner ihren Meistersingern ein düsteres Ende verpasst hat und der Sieger im Wettsingen vor der Preisverleihung einfach geht, um (mit oder ohne Eva) Karriere zu machen, - die Besucher können im Festspielhaus dann doch noch zwei wirklich herausragende, festspielwürdige Stars bejubeln: den grandiosen Beckmesser Michael Volle und den hinreißenden Strahlemann Stolzing Klaus Florian Vogt. Mit erleichterter Wucht geht der Jubel denn auch über den beiden hernieder.

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1 Kommentar

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  • MA
    Michael Aselmann

    Danke für die Rezension der Meistersinger aus Bayreuth.

    Die Aufführung wirft die Frage auf: was ist die kulturelle Bedeutung Wagners, welche die der Festspiele? Wen interessiert eigentlich die Intergration der Adligen in die bürgerliche Gesellschaft, wie sie Hans Sachs von Stolzing fordert, heute noch? Oder ist es einfach nur der Unangepasste, den Klaus Florian Vogt sehr gut gab, auch wenn Hans Sachs durch das viele Gepaffe nicht nur gegen Ende die Stimme verlor, sondern dem Stolzing in der Ablehnung der Magnifizenzen mit dem Muff von tausend Jahren unter den Talaren so ähnlich war?

    Die Aufführung hatte viele schöne Elemente, die einem Theatergänger in Bochum oder anderswo geläufig ist, in Bayreuth jedoch zu sofortigen lautstarken Buhrufen führen, sobald der Vorhang gefallen war.

    Die nächste Wagneroper schaue ich mir in Essen oder sonst einem bequemen Theater an, und dann darf es ruhig etwas mehr Dramatik sein.