Katharina Andresen hat sich eine noch geruchsneutrale Pflanze angesehen: Die Ruhe vor dem Stunk
Noch drei Tage, dann stinkt es nach Aas“, brüllt ein etwa siebenjähriger Junge durch das große Tropenhaus des Botanischen Gartens. Kein Satz, der mit so gigantischer Vorfreude verkündet werden sollte, dass sich dabei die eigene Stimme überschlägt. Doch er hat damit wohl recht. Nur noch wenige Tage dauert es, bis hier der sogenannte Titanenwurz (Wortspiel mit Gestank bitte selber ausdenken) seine Blüten öffnet.
Dabei entsteht ein bestialischer Aasgeruch, der in der Natur Fliegen anlocken soll, die ihre Eierlarven in den Kelch der Blüte legen. Meistens bevorzugen Fliegen dafür nämlich Tierkadaver. Doch der Gestank ist keine Todesfalle: Die Pflanze frisst die Fliegen nicht, sondern benutzt sie stattdessen als Pollentaxi zur Bestäubung anderer Pflanzen.
Der Titanwurz trägt am Donnerstagvormittag noch vollständig geschlossene Blüten. Mit ihren drei Metern Höhe und dem spitz zulaufenden grünen Blütenkelch ähnelt die Pflanze eher einem Einrichtungsgegenstand aus dem Designersegment der Ikea-für-Yuppies-Kette Manufactum, als einer Stinkbombe, die in naher Zukunft platzen wird.
Drei Tage vor dem geplanten Stinke-Start herrscht im Botanischen Garten noch ein fast konspiratives Informationsvakuum. Keiner der anwesenden Gärtner:innen ist gewillt, eine Einschätzung zur großen Verwesungsvorfreude abzugeben. Auch der Parkdirektor, auf den alle Befragten pflichtbewusst verweisen, schiebt einen „wichtigen Termin“ vor.
Unter den Besucher:innen ist dagegen schon am Donnerstag eine freudige Erwartung vorherrschend: „Look! Its gonna smell like shit!“, freut sich ein amerikanischer Tourist mit seiner Begleitung über die Infotafel neben dem Titanwurz.
Die ist geheimnisvoll unpräzise: „Gärtner des Botanischen Gartens nehmen an, dass sich der attraktive Blütenstart vielleicht in der ersten Juliwoche öffnen wird – oder früher oder später“, steht da. Weiterhin lässt sich dem Begleittext entnehmen, dass das Leben der Titanwurz-Blume fast ausschließlich aus Stinken und Pausemachen besteht: „Nachdem das große Laubblatt wieder eingezogen wird, macht die Knolle des Titanwurz eine Ruhepause“.
Auch die Teilnehmerinnen eines botanischen Zeichenkurses umringen den riesigen Blumentopf und pinseln eifrig den Blütenverlauf ab. Normalerweise hätten sie immer jemanden „pflanzenkundigen“ dabei, sagt eine der Hobbyzeichnerinnen. Heute aber nicht. Dennoch quittieren sie die Frage, ob die Pflanze sich mit ihrem Aasgeruch nicht auch zur Zielscheibe für Geier mache, mit einem selbstbewussten „Das ist totaler Quatsch!“ Für besseren Bildungsinput sorgt da eine weitere Besucherin, die lautstark den Wikipedia-Artikel des Titanwurz vorliest. „In Essen soll es ja letzte Woche schon gestunken haben“, verkündet sie.
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