Katastrophen in Archiven: Biblische Heimsuchung

Dresden, Weimar, Köln: Nach drei großen Katastrophen fordern Experten einen besseren Schutz des Kulturerbes in Deutschlands Archiven.

Aktuellste Katastrophe: Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Bild: dpa

BERLIN taz Der Anruf kam noch am Dienstagnachmittag. Wenige Stunden nach den Einsturz des Stadtarchivs meldete sich ein Mitglied des Kölner Krisenstabs bei Michael Knoche in Weimar. Vom Direktor der dortigen Anna-Amalia-Bibliothek wollte er wissen, was in einem solchen Katastrophenfall zu tun sei. Der Griff zum Telefon lag nahe, schließlich war Knoches historischer Buchbestand bei einem Großbrand vor knapp fünf Jahren stark dezimiert worden.

Das Archiv beherbergte Originaldokumente aus mehr als 1.000 Jahren Stadtgeschichte und der Geschichte des Rheinlands. Die älteste Urkunde des Archivs datiert aus dem Jahr 922. Unter den Dokumenten sind Testamente, kaiserliche Privilegien und rund 65.000 Urkunden. Auch 104.000 Karten und Pläne, 50.000 Plakate und rund eine halbe Million Fotos liegen nun unter den Trümmern. Im Bestand waren auch zahlreiche Nachlässe und Unterlagen bedeutender Persönlichkeiten, darunter Jan von Werth, Gottfried Böhm und Ferdinand Franz Wallraf. Das Jacques-Offenbach-Archiv war das größte der Welt. Herausragend war der Nachlass des in Köln geborenen Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll (1917-1985). In dem Gebäude wurden auch Briefe von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Handschriften von Karl Marx und Friedrich Engels sowie von Napoleon und Ludwig XIV. unterzeichnete Verfügungen und Edikte aufbewahrt. (AP, EPD)

Schon zum dritten Mal innerhalb eines Jahrzehnts fällt ein bedeutender Teil der historischen Überlieferung einer Katastrophe zum Opfer. Erst überschwemmte das Elbe-Hochwasser 2002 die Depots der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Dann ging 2004 die Weimarer Bibliothek in Flammen auf. Nun wurde das bedeutendste mittelalterliche Archiv Deutschlands durch einen Einsturz zerstört.

Wasser, Feuer, Stein: Es klingt geradezu nach einer biblischen Heimsuchung, was in den letzten Jahren über Gemälde, Bücher und Urkunden hereinbrach. Stets waren es aber auch menschengemachte Katastrophen. Die Überschwemmungsgefahr für die Dresdener Depots war ebenso bekannt wie die Brandgefahr in Weimar. Auch in Köln hat es an Warnungen eines Archivars offenbar nicht gefehlt, und bei den für den U-Bahn-Bau Verantwortlichen fehlte anscheinend jedes Bewusstsein für die Schätze, die sich in dem unscheinbaren Archivgebäude aus den Siebzigerjahren verbargen.

Köln war im Spätmittelalter die größte deutsche Stadt, und dank Auslagerung im Krieg sind die Dokumente der Epoche in der ansonsten schwer zerstörten Stadt so geschlossen erhalten wie nirgendwo sonst (siehe Kasten). Ob es nun der "Verbundbrief" von 1396 ist, in dem sich die 22 Zünfte auf eine städtische Verfassung einigten und damit der Klüngelwirtschaft den Weg bereiteten, ob es die zahlreichen Urkunden sind, in denen die römisch-deutschen Kaiser stets aufs Neue die Privilegien der Stadt bestätigten, bis hin zur vollen Reichsfreiheit 1475 - es ist das unvergleichlich plastische Bild einer ganzen Epoche, das jetzt unter den Trümmern an der Severinstraße begraben liegt.

Dennoch ist es oft schwer, für die Rettung von Schriftstücken auf Papier oder Pergament öffentliche Unterstützung zu mobilisieren. So wurden nach der Wende in Weimar zunächst die Wohnhäuser Goethes und Schillers für den Tourismus aufpoliert, obwohl sie aus DDR-Zeiten noch einigermaßen in Schuss waren. Die völlig marode Bibliothek dagegen hatte in der Investitionsplanung keine Priorität.

Für den Weimarer Bibliotheksdirektor Knoche ist der Einsturz des Kölner Archivs ein neuerlicher Anlass, an die Versäumnisse zu erinnern. "Es fehlen die finanziellen Mittel, um in großem Stil die kulturelle Substanz zu sichern", sagte er am Mittwoch der taz. "Die Experten vor Ort finden zu wenig Unterstützung, und wir haben zu wenig nationale Strukturen. Es gibt 16 Bundesländer, die alle ihr Süppchen selber kochen."

Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben 14 große Bibliotheken und Archive nach dem Weimarer Bibliotheksbrand eine "Allianz zur Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes" gegründet. Im April wollen sie eine Denkschrift mit Forderungen an die Politik vorstellen. Wieder einmal ist ihnen eine Katastrophe zuvorgekommen.

Mehr Geld fordert auch der Verbandsvorsitzende der deutschen ArchivarInnen, Robert Kretzschmar. "Die Kollegen drängen überall auf Unterbringungen, die dem heutigen Standard entsprechen", sagte der Chef des Stuttgarter Landesarchivs der taz. "Das kostet natürlich Geld." Kretzschmar appellierte an Länder und Kommunen, die Gelder aus dem Konjunkturpaket für den Um- und Ausbau von Archivgebäuden zu nutzen.

Ob der Schaden am historischen Kulturgut in Köln oder in Weimar größer war, hängt nach den Worten des Bibliothekars Knoche vom Blickwinkel des Betrachters ab. "Wenn man das Kriterium der Unikate anlegt, wird man Köln den größeren Verlust zubilligen müssen", sagte er. "In Weimar war dagegen eine zentrale Epoche der Kulturgeschichte betroffen, die für Literatur und Philosophie extrem wichtig war."

Zudem steht in Köln noch gar nicht fest, wie viele der historischen Dokumente zu retten sind. Nach dem Brand von Weimar erwiesen sich am Ende zwei Drittel der geschädigten Buchbestände als restaurierbar.

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