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KastanienblüteDie Bäume setzen alles auf eine Karte

Es gibt wenig Bäume in unseren Breitengraden, die so auffällig blühen, wie die weiße Rosskastanie. Aber die Miniermotte lauert schon.

Aesculus hippocastanum in voller Pracht Foto: dpa

Berlin taz | Nicht umsonst gilt die Gemeine Rosskastanie Aesculus hippocastanum als einer der schönsten Straßenbäume. Mit einem Anteil von 3 Prozent fällt sie in Berlin zahlenmäßig kaum ins Gewicht. Rund 23.000 stehen in Grünanlagen und öffentlichem Straßenland. Am Landwehrkanal in Tiergarten sind sie zu sehen, in der Pankow­er Heinrich-Mann-Straße und im Grunewald an der Havel. Jeder einzelne ist eine Augenweide. Mit ihren weißen, kerzen­geraden Blütenständen erinnern sie an riesige Kandelaber.

Vermutlich liegt es an dem ungewöhnlich kalten Mai, dass sich die Blütenpracht in diesem Jahr besonders lange hielt. „Die Bäume setzen alles auf eine Karte, um möglichst viele Bestäuber anzulocken“, weiß Birgit Nordt, die im Botanischen Garten als Kustodin für temperate und mediterrane Pflanzen arbeitet.

Erst im Alter von 10 bis 15 Jahren setzen die Rosskastanien Blüten an. Was sich dem staunenden Auge entzieht: In einem einzigen Staubblatt befinden sich circa 26.000 Pollenkörner, in einer Blüte etwa 181.000 und in einem Blütenstand, also einer Kerze, 42.000.000. Nachzulesen in einer wissenschaftlichen Abhandlung zur Systematik und Biologie der Gemeinen Rosskastanie, die Nordt der taz als Recherchehilfe zukommen ließ.

Nicht zu verwechseln übrigens mit der rotblühenden Rosskastanie Aesculus x carnea, die auch wunderschön blüht und immer öfter angepflanzt wird. Der spontan entstandene Hybrid aus der Gemeinen Rosskastanie und der echten Pavie Aesculus pavia sei im Wuchs aber deutlich kleiner, heißt es. Und es gibt noch einen gravierenden Unterschied: Anders als die weißblütige Mutter bleiben rotblühende Rosskastanien von Miniermotten weitestgehend verschont.

Ein klares Signal

Bei aller Freude über die Blütenpracht: Das Ende deutet sich schon an. Die letzte Faltergeneration der Miniermotte überwintert im Laub und ruht als Puppe im Boden. Das ist auch der Grund, warum das Laub der Gemeinen Rosskastanie im Herbst vollständig entsorgt werden sollte, um den Fortpflanzungszyklus der Insekten zumindest stellenweise zu unterbrechen. Die Falter schlüpfen Mitte April, die Larven im Mai. Und dann fangen sie an, Gänge in das frische Blattgrün zu fressen. Also jetzt.

„Die Miniermotte hat in der Stadt kaum Feinde, das ist das Problem“, weiß Botanikerin Nordt. Und so werde sich das traurige Schauspiel der vergangenen Jahre wiederholen. Schon im August werden Rosskastanienblätter an den Bäumen verwelken und abfallen. Ein geschwächter Aesculus hippocastanum bilde auch weniger Früchte aus.

Das Pflanzenschutzamt hat deshalb empfohlen, auf die Neupflanzung von weißblütigen Rosskastanien nach Möglichkeit zu verzichten.

Ein Frühling ohne die weiße Kerzenpracht? Kaum vorstellbar. „Es gibt wenig Bäume in unseren Breitengraden, die so auffällig blühen“, sagt Nordt. Auch jetzt, wo die Blütezeit zur Neige geht und die Rispen wie abgenagte Fischgräten in die Höhe ragen, beeindruckt die Gemeine Rosskastanie ein weiteres Mal. Der Boden unter den an sich weißblühenden Bäumen ist von rosa- und rotfarbenen Blütenblättern übersät.

Das Geheimnis: Wenn eine Blüte bestäubt ist, verfärben sich die Blütenblätter. Für die Bienen ist das das klare Signal: Den Weg kann ich mir sparen und mich auf die anderen Blüten konzentrieren.

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