: Kasse trotzt Seehofers Reform
■ Bremer Handelskrankenkasse will weiterhin Vorsorgekurse bezahlen / Vertrag mit Ärzten
Rückenschule, Anti-Streß-Seminare und Nichtraucher-Kurse kranken an der Gesundheitsreform. Seit dem 1. Januar dürfen die Krankenkassen diese Gesundheitsvorsorge nicht mehr bezahlen. Die Handelskrankenkasse Bremen (hkk) schickt ihre Mitglieder trotzdem in die Rückenschule – und zwar, ohne daß sie einen Pfennig dazubezahlen müssen. Die regionale Krankenkasse, die in Bremen und Niedersachsen nach eigenen Angaben 160.000 Mitglieder zählt, hat jetzt einen Kooperationsvertrag mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen geschlossen. Dieser erlaubt es Bremer Ärzten auch künftig, Kurse zu verschreiben, die der Gesundheitsvorsorge dienen.
„Damit erweitert die hkk ihr medizinisches Leistungsangebot für Kranke“, jubelte Heinzpeter Mühl, Vorstandsmitglied der hkk, gestern. „Wir dürften die erste Kasse bundesweit sein.“ „Das ist nicht im Sinne des Gesetzgebers – schließlich sollen wir sparen“, entgegnet Frank Milis, Pressesprecher der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK). „Die Kassen machen auf diese Weise neue Töpfe auf, indem sie sich Schlupflöcher suchen.“
Das „Schlupfloch“, durch das die hkk ihre Mitglieder auch weiterhin zu kostenlosen Kursen schickt, steht im Sozialgesetzbuch unter Paragraph 43 und regelt die „ergänzenden Maßnahmen zur Rehabilitation“. „Wenn eines unserer Mitglieder z.B. eine Ehescheidung hinter sich hat und unter Schlafstörungen und Kopfschmerzen leidet, kann der Arzt ihm aufgrund dieser pschosomatischen Beschwerden anstelle von Beruhigungspillen ein Streßbewältigungsseminar verschreiben“, erklärt Mühl. Die hkk zahlt. Das ärztliche Attest für diese Rehabilitationsmaßnahme ist unerläßlich. Der Patient muß tatsächlich unter den Krankheitssymptomen leiden. „Wer die Rückenschule besuchen will, um vorzubeugen, obwohl er keine Schmerzen hat, muß den Kurs selbst bezahlen“, erläutert Mühl den Unterschied. Daß sich der Beitragssatz von derzeit 12,8 Prozent erhöhen wird, glaubt er nicht. „Im Gegenteil. Durch die Kurse, die ja auch vorbeugende Wirkung haben, werden wir im Bereich Arzneimittelvergabe und bei den Behandlungskosten sparen.“ Darüber hinaus habe die hkk aufgrund der Gesundheitsreform viele der früher angebotenen Kurse gestrichen. Die jetzt angebotenen Rehabilitationsmaßnahmen seien differenzierter auf die Krankheitsbilder abgestimmt.
Auch die AOK (Beitragssatz 1995: 13,9) ist dabei, „entsprechende Konzepte zu erarbeiten, die den gesetzlichen Rahmen voll ausschöpfen“, sagt Manfred Müller, Vorstandsvorsitzender der AOK Bremen. Die Barmer (13,4 %) bietet „eine Fülle“ von Seminaren, die allerdings von den Mitgliedern voll bezahlt werden müssen – wie der Gesetzestext es verlangt. Ein Kurs in der Rückenschule kostet beispielsweise 120 Mark für acht Abende. „Das Konzept der hkk ist interessant“, räumt Pressesprecher Hans-Günther Kellner ein. „Ich bin mir aber nicht sicher, ob das rechtlich Bestand hat.“ Das sieht auch Martina Kunze, Sprecherin der Techniker-Krankenkasse (12,8 %) so. „Im Grunde genommen werden die Vorsorge-Maßnahmen nur anders benannt. Wir haben ein solches Konzept in Erwägung gezogen und davon Abstand genommen. Es ist fraglich, ob das rechtlich zulässig ist.“ Karl Biehusen, Sprecher der hkk, nimmt die Anwürfe der Konkurrenz gelassen. „Wir tun nichts, was nicht auch im Sozialgesetzbuch steht.“ kes
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