Kasachische Modemacherin in Berlin: Inspiriert von der Vielfalt der Transsib
"Eine Kollektion ist wie eine Reise", sagt die Modedesignerin Helena Ruff. Sie selbst kam mit 17 von Kasachstan nach Deutschland, studierte an der Kunsthochschule Weißensee. Ein Porträt zur am Donnerstag beginnenden Fashion Week
Bei der Sommerausgabe der "Berlin Fashion Week" werden von heute bis Sonntag Modetrends vor historischer Kulisse gezeigt. Insgesamt werden rund 30 Modenschauen mit internationalen und nationalen Designern auf dem Bebelplatz präsentiert. Zu sehen sind unter anderem neue Kollektionen von Joop!, Michalsky und Vivienne Westwood.
Ganz in der Nähe, in der sogenannten Showroom-Meile "Unter den Linden", stellen zahlreiche Jungdesigner und Modestudenten ihre Entwürfe in Galerien, Museen und anderen Räumlichkeiten der Öffentlichkeit vor. Zeitgleich finden die Modemessen Premium in Kreuzberg, die Projekt Galerie auf der Torstraße in Mitte und das Modefest Wedding Dress in Wedding statt. Am Samstag ist Blitzlichtgewitter gewiss. Bei der Gala "Elle Fashion Star" bekommt Modeschöpfer Lagerfeld von seiner Muse Claudia Schiffer einen Ehrenpreis für sein Lebenswerk überreicht.
Viele Veranstaltungen stehen nicht nur Fachbesuchern, sondern allen Interessierten offen. Während der Berlin Fashion Week kann man sich außerdem im Internet unter fashion-week-berlin.com über den Veranstaltungskalender informieren.
Mitten durch Helena Ruffs Wohnzimmer fährt die Transsibirische Eisenbahn. Aus dem Parkettboden ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg wächst ein Ständer, der mit vielen Schichten Stoff behängt ist: luftige Seide unter schwerem Leinen, dicke Daunen mit filigranen Stickereien, grobmaschig gestrickte Wolle. "Die Kollektion ist selbst wie eine Reise", erklärt die Modedesignerin Helena Ruff ihr Diplom-Projekt, das von ihrer Begeisterung für die Transsibirische Eisenbahn inspiriert ist: Entlang dem Kleiderständer berühren und überlagern sich Schichten, Materialien und Muster, so wie sich zwischen Moskau, Sibirien und der Mongolei die Kulturen überlagern.
Ruff nimmt vorsichtig einen dunkelblauen Uniformmantel mit Silberknöpfen vom Haken und drapiert ihn auf einer Schneiderpuppe. Unter der Außenhülle fächert sich ein schwingendes Innenleben aus Streifen und Punkten auf. Zum Mantel gehört auch ein Kleid, wenn es mal wärmer wird. Aber vom Ausziehen hält die 32-Jährige, die trotz sommerlicher Temperaturen Jeans und Rollkragenpulli trägt, wenig. "Ich habe gerne was an", sagt die zierliche Brünette, die sich selbst als "Wintertyp" bezeichnet.
Mit ihrer transsibirischen Damenkollektion hat die Modedesign-Absolventin der Kunsthochschule Weißensee den "Innovationspreis textil + mode" des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie gewonnen. Kaufhof-Besucher in Düsseldorf kürten sie zur kreativsten Newcomerin. Nun ist sie auch für den Baltic Fashion Award im Oktober nominiert.
Zwar stammt Helena Ruff nicht aus dem Baltikum, sondern aus Kasachstan. Und nördlicher als Sankt Petersburg ist sie noch nie gereist - schon gar nicht mit der Transsib. Aber in der Mode geht es ja nicht um Exaktheit, es geht um Inspiration. Und hier konnte sich Ruff großzügig aus ihrer eigenen Kindheit bedienen: 17-jährig kam sie mit ihrer Familie aus Kasachstan nach Deutschland. Mit ihrer Kollektion thematisiert die Tochter eines deutschstämmigen Kasachen und einer Griechin auch ihre eigene Identität, die vielschichtig ist wie ihre Kleider. "Ich lebe seit fast 15 Jahren in Deutschland und habe einen deutschen Pass", sagt sie. "Aber ich bin noch immer anders: Ich habe einen Akzent und ich trage meine Kindheit mit mir. "
Wider Willen wurde Ruff damals aus der südkasachischen Stadt Taras ins oberfränkische Coburg verpflanzt. "Ein Kulturschock. Es hat lange gedauert, bis ich wirklich ankam", sagt Ruff mit ihrer leisen, klaren Stimme. In Coburg wusste niemand, wo Kasachstan liegt, meistens hielt man sie für eine Russin. "Diskriminiert hat man mich als Aussiedlerkind nicht", sagt sie. "Aber ich musste hart für meine Ziele kämpfen."
Ihr Ziel hatte Helena Ruff aus der Heimat mitgebracht. Für sie stand fest: Sie wollte Modedesignerin werden, am besten in Berlin. Nach dem Realschulabschluss empfahl ihr ein Berufsberater, doch einmal in der örtlichen Textilfabrik vorzusprechen. Helena Ruff ignorierte ihn. Sie machte das Abitur und bewarb sich anschließend bei Modeschulen in ganz Deutschland. Weißensee antwortete am schnellsten, Helena Ruff setzte sich in den Zug nach Berlin, wo sie noch nie zuvor gewesen war, machte die Prüfung und wurde angenommen. Ziel erreicht.
"Angst vor Schwierigkeiten hatte ich noch nie", sagt Ruff, und man kann sich vorstellen, dass ihre grünen Augen auch sehr kampfeslustig funkeln können. Eine weitere Herausforderung war das Kind, das sie während des Studiums bekam und seit acht Jahren allein aufzieht. "Es war schwerer als gedacht, aber die richtige Entscheidung", sagt sie. Ihr Sohn ist auch ein Grund, warum die Absolventin zu Hause näht und nicht wie viele ihrer JahrgangskollegInnen eine eigene Boutique aufgemacht hat. Finanzielle Risiken kann sie sich nicht erlauben, deshalb verzichtet sie auch auf die Teilnahme an Branchenmessen wie der heute beginnenden Fashion Week. "Für eine kleine Modenschau kommen schnell mal 5.000 Euro an Kosten zusammen, aber die Wirkung ist meist gering."
Ruff setzt lieber auf die Teilnahme an Wettbewerben, um ihre Karriere ins Rollen zu bringen. In der prekären Modestadt Berlin gibt es zu wenig finanzkräftige Käufer für ausgefallene und hochwertige Kleidung wie ihre. "In Berlin entsteht viel kreative Mode", sagt sie. "Aber eingekauft wird immer noch in Paris." Weil Paris noch in der Ferne liegt, fertigt Helena Ruff in ihrem Nähzimmer auf Anfrage Abend- und Hochzeitskleider. Nur so viele, wie sie alleine bewältigen kann. Ihre Auftragsarbeiten sind schlicht und elegant und haben mit der verspielten Extravaganz ihrer Kollektion wenig zu tun.
Doch die avantgardistischen Stücke im Wohnzimmer sind ihr Traum, davon möchte sie einmal leben. Auch mit der Transsibirischen Eisenbahn will sie eines Tages reisen, Sibirien sehen und die Mongolei. Und Kasachstan, das sie seit ihrem Wegzug nicht wieder betreten hat. "Lange war eine Rückkehr dorthin für mich kein Thema. Aber jetzt, wo ich mich in Berlin heimisch fühle, habe ich wieder Lust hinzufahren." Zu Freundinnen aus der Kindheit hat sie noch Kontakt. Dort, sagt sie, scheint das Leben schneller zu gehen: Eine gleichaltrige Freundin hatte ihr Diplom binnen einem Monat geschrieben und hat bereits zwei Kinder. Helena Ruff schüttelt den Kopf und ordnet die Falten eines mit russischen Mustern bestickten Leinenrocks: viel zu schnell. "Hier in Deutschland geht man die Dinge etwas gründlicher an", sagt sie. Es klingt zufrieden.
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