Kartellamt bricht Fernwärme-Monopol: Das letzte Energiemonopol fällt
Fernwärme dürfen auch andere Anbieter liefern, das verfügt das Bundeskartellamt. Hamburgs Energiemonopolist Vattenfall muss nun seine Netze öffnen.
HAMBURG taz | Der Energiekonzern Vattenfall muss sein Fernwärmenetz in Hamburg für Mitbewerber öffnen. Das hat das Bundeskartellamt auf Antrag der Verbraucherzentrale Hamburg (VZHH) verfügt. Damit hätte künftig jeder Anbieter von Fernwärme Anspruch darauf, ähnlich wie beim Strom seine Fernwärme in das Netz des Konzerns einzuspeisen. "Dritte können also Abnehmer im Netzgebiet von Vattenfall mit Wärme beliefern", heißt es in dem Beschluss.
"Das ist ein großer Erfolg für die Verbraucher", sagt VZHH-Geschäftsführer Günter Hörmann. Auch in anderen Städten und Landkreisen könnten sich nun Energieunternehmen gegenüber dem örtlichen Netzbetreiber darauf berufen. "Das ist ein Sprengsatz für den verkrusteten Fernwärmemarkt", sagt Hörmann.
Im November 2011 hatten die Verbraucherschützer beim Bundeskartellamt Beschwerde gegen Vattenfall wegen vermuteter Verstöße gegen das Wettbewerbs- und Kartellrecht eingelegt. Anders als bei Strom und Gas bestehe hier ein Monopol. Die Kunden könnten nicht zwischen mehreren Anbietern wählen und seien somit "dem Wärmelieferanten ausgeliefert".
In Hamburg gibt es drei Versorgungsnetze für Strom, Gas und Fernwärme. Sie wurden Ende der 1990er Jahre mit dem Verkauf der Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) an Vattenfall und der Hamburgischen Gaswerke an Eon Hanse privatisiert.
Fernwärmenetz: Es ist 1.200 Kilometer lang, 800 Kilometer davon sind im Besitz von Vattenfall.
Kunden: Der Konzern liefert 80 Prozent der Hamburger Fernwärme an 438.000 private und gewerbliche Einheiten.
Kraftwerke: Das veraltete Heizkraftwerk Wedel soll durch das Kohlekraftwerk Moorburg oder ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in Stellingen ersetzt werden. Außerdem betreibt der Konzern noch das Heizkraftwerk Tiefstack und drei kleinere Anlagen.
Emissionen: Die Fernwärme ist für etwa acht Prozent des Ausstoßes an Kohlendioxid in Hamburg verantwortlich.
Das führe dazu, dass Vattenfall "seine marktbeherrschende Stellung grob missbraucht", zu "überhöhten Preisen" sowie zu "extrem hohen Gewinnmargen", befand die Verbraucherzentrale. Für 2009 wies die Vattenfall-Bilanz für Fernwärme einen Gewinn von 140 Millionen Euro aus.
Vattenfall behält sich eine Gegenklage vor
Die Wettbewerbshüter hätten nun aber ausdrücklich erklärt, "keine Hinweise auf Preismissbrauch" gefunden zu haben, betont Vattenfall-Sprecher Stefan Kleimeier. Im bundesweiten Preisvergleich lägen die Hamburger Tarife im Mittelfeld. "Wir haben den Hinweis des Bundeskartellamts, einen diskriminierungsfreien Zugang zum Fernwärmenetz zu ermöglichen, zur Kenntnis genommen", sagt Kleimeier. Wie das rechtlich zu bewerten sei, "lassen wir offen".
Durchaus erfreut reagiert die Hamburger Firma Lichtblick, größter Ökostromanbieter in Deutschland und auch im Fernwärmemarkt zunehmend aktiv. "Das ist ein Meilenstein für die Liberalisierung", sagt Unternehmenssprecher Ralph Kampwirth. Mit dieser Verfügung der Kartellwächter würde "das letzte Monopol im Energiesektor fallen". Damit würde die Bundesbehörde "einen wichtigen Beitrag zur Energiewende liefern", sagt Kampwirth. Lichtblick werde die neue Rechtslage daraufhin prüfen, ob sich durch "ein Netz für alle eine Zusatzoption" ergebe.
Auf eine Einspeisung in das Fernwärmenetz hofft auch das Kultur-Energie-Bunker-Altona-Projekt (Kebap). "Wenn das technisch und jetzt auch rechtlich möglich ist, sind wir interessiert", sagt Mirco Reisheim vom Verein, der bereits erste Gespräche mit Vattenfall geführt hat. Kebap ist ein Bürgerprojekt, das aus dem Widerstand gegen eine Fernwärmeleitung vom umstrittenen Kohlekraftwerk Moorburg nach Altona entstanden ist.
Der überraschte Senat war am Montag zu keiner Stellungnahme in der Lage. "Wir prüfen das sorgfältig", sagte eine Sprecherin der Wirtschaftsbehörde. Am 29. November hatte die Stadt mit den Konzernen Vattenfall und Eon Hanse Verträge geschlossen, mit denen sie sich mit 25,1 Prozent in drei Betreibergesellschaften für die Strom-, Gas- und Fernwärmenetze einkauft. Der Preis wurde mit 543 Millionen Euro angegeben. Ohne Netzmonopol müsste der Wert der Vattenfallnetze aber sinken.
Die Initiative "Unser Netz", die 2013 einen Volksentscheid zum vollständigen Rückkauf der Energienetze durchführen will, sieht sich durch das Kartellamt gestärkt. "Das ist ein Beleg dafür, dass die Netze zu 100 Prozent in die öffentliche Hand gehören", kommentiert Manfred Braasch, Vertrauensmann der Initiative und Geschäftsführer der Umweltorganisation BUND in Hamburg. "Städtische Anteile an Privatunternehmen garantieren noch keine Energiepolitik im Sinne der Verbraucher."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin