Karstadt am Berliner Hermannplatz: Denkmalschutz unter Druck
Um Bauen zu beschleunigen, will Schwarz-Rot den Denkmalschutz reformieren. Erster Lackmustest könnte Karstadt am Hermannplatz sein.
Trotz wachsender Bedenken, ob Signas an den monumentalen Art-déco-Vorgänger angelehnte Rekonstruktion mit dem Denkmalschutz vereinbar ist, treibt der Senat die Planungen unverändert voran. Das legt zumindest der Bebauungsplan nahe, der seit ein paar Tagen online und in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen (SenStadt) im Rahmen der frühzeitigen Bürgerbeteiligung öffentlich zur Kommentierung ausliegt.
„Das Warenhaus am Hermannplatz [soll] an der Ursprungsgestalt von 1927-29 orientiert werden“, heißt es in der 64-seitigen Begründung des Bebauungsplans. Damit keine Zweifel aufkommen, dass mit der Formulierung womöglich etwas anderes als Signas Wunschvorstellung gemeint sein könnte, hängt die Senatsverwaltung zu Illustrationszwecken gleich noch dieselbe Simulation in den Anhang, mit der das Unternehmen seit Jahren bei Politik und Stadtgesellschaft für sein Projekt wirbt.
Als Baudenkmal eingetragen
Dabei sieht es so aus, als könne der Denkmalschutz Signas ambitionierten Rekonstruktionsplänen einen Strich durch die Rechnung machen. Schon Ende vergangenen Jahres meldete die beim Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg angesiedelte untere Denkmalschutzbehörde Bedenken an.
Der Grund: Auch der in den 1950er Jahren errichtete und später mehrfach erweiterte Nachfolgebau ist in der Denkmalliste als Baudenkmal eingetragen. Signa ging in ihren Planungen ursprünglich davon aus, dass ein kleines Gebäudefragment an der Südseite, das die Sprengung des Vorgängers durch die SS überlebte, unter Denkmalschutz steht.
Auf taz-Anfrage bezeichnet Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) die im Bebauungsplan dargestellte Planung als weiterhin „denkmalrechtlich kritisch“ und schätzt Signas Vorhaben in dieser Form als „nicht umsetzbar“ ein. Zur Klärung offener Fragen kündigte der Bezirk an, ein Gutachten in Auftrag zu geben.
Auch der Landesdenkmalrat, ein beratendes Expertengremium, das dem Senat in Streitfragen Empfehlungen gibt, kritisierte Signas Pläne deutlich. „Der vorgestellte Entwurf […] weist erhebliche Eingriffe in die denkmalgeschützte Substanz […] auf“, heißt es in einem Protokollmitschnitt vom 3. März, der der taz vorliegt.
Zudem bemängelt das Gremium, die Einbindung der Denkmalbehörde sei viel zu spät erfolgt, andere Optionen seien nicht erwogen worden.
Roter Teppich für Investor:innen
Auf taz-Nachfrage, ob und wie die Empfehlungen des Landesdenkmalrats berücksichtigt werden, antwortet die Senatsverwaltung weitaus zurückhaltender: Die Empfehlungen des Landesdenkmalrats fänden „im Zuge des gesetzlichen Abwägungsgebotes eine Berücksichtigung“. Die Antwort lässt sich auch so lesen, dass der Bezirk im Zweifel die Bedenken einfach ignorieren könnte.
Besonders brisant wird der Konflikt zwischen Senatsverwaltung, Bezirk und Signa vor dem Hintergrund der Neuwahlen im Februar. Im Koalitionsvertrag kündigt die frisch gebackene CDU-SPD-Koalition an, den Denkmalschutz „neu ausbalancieren“ zu wollen, um für mehr Tempo beim Klimaschutz, Wohnungs- und Schulneubau zu sorgen.
Kritiker:innen fürchten, dass mit „balancieren“ vor allem eine Schwächung des Denkmalschutzes gemeint ist, mit der für Investor:innen lästige Hürden für Neubauprojekte aus dem Weg geräumt werden sollen. „Der Denkmalschutz gerät zunehmend unter Druck“, schätzt Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung der Linksfraktion, die Pläne der neuen Regierung ein und spricht von einer gezielten „Deregulierung für Investor:innen“.
Während unklar ist, in welcher Form Schwarz-Rot das Denkmalschutzgesetz reformieren will, siedelte der neue Senat bereits wenige Tage nach seiner Konstitution die oberste Denkmalschutzbehörde und das Landesdenkmalamt wieder bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung an. Zuvor war die Behörde seit 2016 der Kultursenatsverwaltung unterstellt. Dieser Schritt im ersten rot-rot-grünen Senat galt als besondere Würdigung des Denkmalschutzes, da sich in Streitfragen die Senatsverwaltungen untereinander abstimmen mussten.
Die Verschiebung der Zuständigkeit ermöglicht es nun Bausenator Christian Gäbler (SPD), in Streitfällen im Zweifel die Denkmalschutzbehörden einfach zu überstimmen. „Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung kann nun Bedenken viel schneller intern wegwischen“, fürchtet auch Julian Schwarze, Stadtentwicklungsexperte der Grünen-Fraktion. Ziel sei ein „schnelleres Durchregieren“.
Beteiligung war eine Farce
Die Senatsverwaltung begründet den Schritt hingegen damit, dass mit der Integration der Denkmalschutzbehörde vor allem Planungs- und Abstimmungsprozesse beschleunigt werden.
Der Karstadt am Hermannplatz scheint also zum ersten Lackmustest für den Stellenwert des Denkmalschutzes in der neuen Koalition zu werden. Bisher hatte der Senat Signa alle Hindernisse aus dem Weg geräumt. Nach dem Veto des Bezirks zog der Senat Ende 2021 auf Druck Signas das Bebauungsplanverfahren an sich; die von Signa versprochene Beteiligung der Zivilgesellschaft stellte sich schnell als Farce heraus.
Der Senat rechtfertigte sein Entgegenkommen bislang mit dem „Letter of Intent“ (LOI) genannten Deal mit Signa vom August 2020. Als der Warenhauskonzern Galeria-Karstadt-Kaufhof, dessen Eigentümer ebenfalls Signa ist, zum ersten Mal Insolvenz anmeldete, bot das Immobilienunternehmen dem Senat an, vier von der Schließung bedrohten Filialen zu retten. Im Gegenzug sicherte die Stadt dem Unternehmen zu, drei ins Stocken geratene Bauprojekte voranzutreiben – eins davon am Hermannplatz.
Mittlerweile hat Signa wesentliche Zusagen der nicht rechtlich bindenden Absichtserklärung gebrochen. Im Zuge der zweiten Insolvenz ist die Schließung zwei der damals geretteten Filialen beschlossen. Ein Grund, den Denkmalschutz beim Karstadt am Hermannplatz hintanzustellen ist der LOI schon lange nicht mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“