: Karotte vor die Nase
betr.: „Keine milde Strafe für Mörder“, Interview mit Brigitte Zypries zur Wiedereinführung der Kronzeugenregelung, taz vom 16. 5. 07
Brigitte Zypries bezeichnet es als „nützlichen Nebeneffekt“, dass die Polizei schon in der Vernehmung auf die Kronzeugenregelung hinweisen kann. Nützlich für wen? Nützlich für den Staat, dessen Umgang mit den Bürgerrechten Prof. P. A. Albrecht kürzlich als „organisierte Verfassungskriminalität“ bezeichnete. Der Aufklärungs- und Verfolgungsstaat versucht auf unterschiedlichen Wegen, die Kontrollmöglichkeiten zu erweitern.
Die allgemeine Kronzeugenregelung ist eine besonders perfide Form, denn sie setzt auf die Angst des – inhaftierten – Beschuldigten. Diesem werden – leere – Versprechungen gemacht, die zwar zu Erkenntnissen, aber nicht unbedingt zu Strafmilderungen führen. Dazu einige Beispiele: Bei überlanger Verfahrensdauer muss (!) die Strafe nach der Rechtsprechung des EuGH gemildert und diese Milderung zahlenmäßig im Urteil ausgewiesen werden. Der Bonus ist also viel konkreter als bei der geplanten Kronzeugenregelung. Was passiert in der Praxis? Die Strafe wird heimlich in dem Umfang erhöht, der dann wieder abgezogen werden muss.
Im Betäubungsmittelgesetz gibt es die Kronzeugenregelung des § 31 BtMG schon lange und zwar mit überwiegend unerfreulichen Ergebnissen. Es müssen nämlich „Ermittlungsergebnisse“ vorliegen, um die Kronzeugenregelung anzuwenden. Wenn ein Drogenkurier auspackt, Hinterleute und Verkehrswege nennt, die Ermittlungsbehörden aber nicht (schnell genug) tätig werden, gibt es für diese die Informationen zum Nulltarif.
Wie Frau Zypries sogar selbst zugibt, ist auch für eine angemessene Strafreduzierung – so sie denn wirklich gewollt ist – die neue Regelung gar nicht nötig. Die Strafrahmen sind teilweise so groß – bei Umgang mit Drogen in nicht geringer Menge geht es um Strafen zwischen drei Monaten und 15 Jahren –, dass jedes gewünschte Ergebnis erzielt werden kann. Eine Ausnahme bildet nur der § 211 StGB (Mord), denn der kennt, im Unterschied zur Vorbereitung eines Angriffskrieges, nur die lebenslange Freiheitsstrafe und beim Mord gibt es auch keinen „minder schweren Fall“. Die meisten Vorschriften kennen aber Strafzumessungsregeln des „minder schweren Falles“. Diese umfassend einzuführen, zum Beispiel auch bei der Bandenhehlerei, wäre einfacher und sachgerechter als eine flächendeckende Kronzeugenregelung.
Dies gilt jedenfalls, wenn es wirklich darum ginge, „klare Grenzen“ zu ziehen oder „Phänomene, die es in der Gerichtsbarkeit gibt, gesetzlich zu regeln“. Das sind aber auch gar nicht wirklich die Ziele der Kronzeugenregelung. Es geht nur darum, dem Beschuldigten eine Karotte vor die Nase zu halten, von ihm Informationen zu bekommen und die Gegenleistung auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben. Die Kronzeugenregelung ist damit nichts anderes als eine psychische Form der Festplattenausspähung.
LEO TEUTER, Rechtsanwalt, Frankfurt am Main
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen