Karneval der Kulturen: Vernarrt in Kreuzberg
Der 13. Karneval der Kulturen ist in der Stadt. Mit Kostümen, Instrumenten und Kunstwerken wollen die Teilnehmer Eindruck schinden. Die taz präsentiert vier besonders skurril-schöne Beispiele.
Müllmode
Menschen aus rund 80 Nationen versammeln sich beim diesjährigen Karneval der Kulturen, um ihre Kunst, ihre Traditionen und ihre Musik in die Stadt zu tragen. Eine Plattform bietet das Straßenfest mit seinen vier Bühnen und 380 Ständen. Und zwar am Blücherplatz, dem Waterlooufer, in der Zossener und der Blücherstraße. Samstag und Sonntag von 11 bis 24 Uhr, am Montag von 11 bis 19 Uhr. Das Herzstück des 13. Kulturkarnevals ist der Straßenumzug. Die Karawane besteht aus 102 Formationen, startet am Sonntag um 12.30 Uhr am Hermannplatz und verläuft von der Hasenheide über die Gneisenau- bis zur Yorckstraße.
Berlin wird zu einem großen, trüben Tümpel, 2050 wird die Stadt unter Wasser stehen. Dieses Szenario entfaltete die spanische Künstlerin Miss Lata vor zwanzig Modeschülerinnen des Oberstufenzentrums Kreuzberg, um sie auf das gemeinsame Projekt einzustimmen: eine Kleiderkollektion für die Klimakatastrophe. Das Ergebnis wird auf dem Karneval der Kulturen präsentiert, heißt "Fastfertig" und ist kritisch und karnevalesk zugleich.
Was einst Superhelden vorbehalten war, kommt bei den Klamotten der Zukunft serienmäßig: Schuhe mit Wasserskioption, flugfähige Westen mit Satellitenempfang. Geschneidert ist die Mode aus alten Fahrradschläuchen und leeren Tetra Paks. Denn in der Wahrnehmung der Mentorin Miss Lata (Fräulein Schrott) gibt es keinen Müll. Verschrumpelte Teebeutel, ausgequetschte Zahnpastatuben, zerkratzte Diapositive - das alles hat Potenzial, ist Material, spannender als teure Farbpigmente. Es stapelt sich in ihrem Atelier, in kunstvolle Dosen verpackt, bis zur Decke. Bereits seit 15 Jahren, seit Miss Lata nach Berlin kam, adelt sie Müll zu Mode. "Wir haben das Wiederverwerten und Reparieren nicht gut drauf", sagt sie, "und kaufen alles neu, was uns die Konzerne anbieten."
Dass das nicht sein muss, findet auch das an "FastFertig" beteiligte Schülerinnenteam. Die Frauen werden ihre Entwürfe zur Musik des brasilianischen Perkussionisten Dada und Trommlern der Adolf-Glasbrenner-Schule vorstellen.
"FastFertig" laufen beim Umzug mit den Startnummern 4 und 5. Modenschau Samstag um 12.30 Uhr, Latinauta-Bühne
Hula-Joop
Hula-Hoop-Reifen waren etwa zur selben Zeit aufregend wie Jojos. Also lange her. Sie sind zu Unrecht vergessen, finden die Britin Rachel Catton (29) und der Ungar Ari Balazs (38). Die haben ihr Glück innerhalb des rotierenden Plastikrings gefunden, sich zu "HoopLaBerlin" zusammengeschlossen und bieten hier seit drei Jahren allerhand Trainingseinheiten und selbst gebaute Reifen an. Mit 18 Mitstreitern wollen sie beim Karneval der Kulturen die Renaissance des Reifens in die Wege leiten.
In den USA, vor allem in Kalifornien, existiert bereits eine lebendige, gut organisierte Hoop-Szene, die ihre Philosophie unter die Leute bringt. "Im Hula-Hoop verbinden sich Fitness und Tanz", sagt Rachel. "Und irgendwie markiert der Reifen auch eine Grenze zwischen dir und den anderen. Er macht deinen ganz eigenen Raum auf." Die Kulturtechnik des Hula-Hooping passt also bestens in unsere Zeit: Alles dreht sich ohnehin ständig um einen selbst, meint man zumindest - warum also nicht auch noch das Sportgerät? "Manche benutzen den Reifen auch als Meditationshilfe", so Rachel.
Dreieinhalb Kilometer Strecke werden die HoopLas bei der Parade zurücklegen und dabei pausenlos die bunten Reifen an ihren Körpern auf und ab wandern lassen. Auf eine durchgängige Choreografie verzichten sie. "Jeder bewegt sich in seinem individuellen Stil und braucht dafür zwei Meter Platz um sich herum", sagt Balazs.
HoopLaBerlin starten beim Umzug mit der Nummer 38. Training für alle Montag, 12. Mai, 13 Uhr, Blücherplatz
Chumm sässässää!
"Chumm sässässää" ist ein Ausruf, mit dem man in der Schweiz Kühe, Ziegen und Schafe zusammentreibt. Er dient aber auch dazu, menschliches Getier anzulocken und Gleichgesinnte zu finden. In Berlin haben sich, wahrscheinlich auch durch diesen Ruf, einige Exilschweizer gefunden. Sie nennen sich schlicht "Schwiizlis". Pia Fischer, eine der Initiatoren, hilft gerne bei lautmalerischen Defiziten: "Chumm wird mit rauem ch ausgesprochen, genau wie Chuchichäschtli." Das leuchtet ein.
Auf dem Karneval der Kulturen setzten sie ein Zeichen gegen ausgrenzendes Schwarz-Weiß-Denken. "Wir denken bunt, weil wir in einer bunten Republik sind", sagt Fischer.
Mit Glockengeläut und Alphorngebläse wollen sie allerlei schräge Vögel, komische Käuze und sonstiges Getier herbeiholen. Diesen Gedanken illustrieren mehr als 20 farbig gestaltete Holzschafe. Sie sollen aufräumen mit dem Gleichnis von schwarzen und weißen Schafen, der Aus- und Eingrenzung.
Diese Botschaft hat auch einen konkreten politischen Hintergrund. Die Idee dafür entstand als Reaktion auf die Wahlkampagne der Schweizerischen Volkspartei 2007. Da kickten auf Plakaten und in Onlinespielen die weißen Schafe die schwarzen aus dem Land. Die Ironie der Geschichte: Der verantwortliche Oberhirte ist mittlerweile selbst aus dem Schweizer Bundesrat gekickt worden.
Die Schwiizlis starten beim Umzug mit der Nummer 23. Im Internet präsentieren sich die Exilanten auf www.schwiizli.de
Die Buchstaben gehen um
Zwölf Buchstaben ragen in den Kreuzberger Himmel, so groß wie Basketballspieler. Wie eine Karawane ziehen sie durch die Stadt. Es handelt sich nicht um eine Kelle Buchstabensuppe, die sich über den Tellerrand gewagt hat. Sie demonstrieren auch nicht für Gleichberechtigung unter Selbst- und Mitlauten.
Dahinter stecken natürlich echte Menschen. Sie schieben zwölf Buchstaben auf kleinen Rollwagen durch die Straßen. Damit wollen sie die Besucher auffordern, selbst aktiv zu werden und die Lettern künstlerisch zu gestalten. Damit es möglichst einfach wird, steht eine breite Palette von Materialien zur Verfügung: Farben, Filz und Papier laden dazu ein, das schlichte Weiß der Holzbuchstaben aufzumotzen. So obliegt es der Kreativität der Besucher, ihnen ein neues Kostüm oder eine schicke Frisur zu verleihen.
"Breitenkunst" heißt der gemeinnützige Verein, der sich diese Herausforderung ausgedacht hat. "Menschen durch Kunst zusammenzubringen ist unser Ziel", sagt Christian Misch, einer der Initiatoren.
Bei aller Freiheit der Gestaltung - was zu lesen sein wird, steht fest. "Breitenkunst" soll es heißen, ein bisschen Eigenwerbung kann ja nicht schaden. Dabei würden sich bei den zwölf Buchstaben ja weitere Kombinationen anbieten, "Trieben Stunk" zum Beispiel. Die Macher freuen sich jedenfalls auf den "kreativen Erguss" am Ende der Reise.
Breitenkunst startet beim Umzug mit der Nummer 30. Im Internet unter www.breitenkunst.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen