Karlsruhe zum Werkstorprinzip: Gericht urteilt über Pendlerpauschale
Ist die Fahrt zur Arbeit Privatsache? Die große Koalition hat die Pendlerpauschale 2006 massiv gekürzt. Am Dienstag entscheidet Karlsruhe, ob die Sparmaßnahme rechtens war.
FREIBURG taz Das Bundesverfassungsgericht wird am Dienstag sein lang erwartetes Urteil zur massiven Reduzierung der Pendlerpauschale verkünden. Karlsruhe muss entscheiden, ob diese 2006 beschlossene Sparmaßnahme verfassungswidrig war.
Früher konnten Berufspendler ihre Steuerlast reduzieren, indem sie die Kosten für die Fahrt zur Arbeitsstelle von ihren Einnahmen abzogen. Dabei galt zuletzt eine Entfernungspauschale von 30 Cent ab dem ersten Kilometer. Mit Wirkung ab 2007 hat die große Koalition aber das Werkstorprinzip eingeführt. Alles, was vor dem Werkstor passiert, soll nun als privat gelten und für die Einkommenssteuer irrelevant sein. Die Pendlerpauschale wird nur noch ab dem 21. Kilometer gewährt und auch das nur als sozialpolitische Härtefallregelung.
Mehrere Gerichte, unter anderem der Bundesfinanzhof, hielten die Neuregelung für verfassungswidrig. Das Werkstorprinzip verstoße gegen das Grundgesetz, das eine Besteuerung nach der jeweiligen Leistungsfähigkeit garantiert. Fahrtkosten seien eindeutig beruflich bedingt und minderten die Leistungsfähigkeit, so die Kritiker.
Das sieht die Bundesregierung jedoch anders. Weil viele Menschen ihren Wohnort frei wählen können, sei die Fahrt zur Arbeit sowohl privat als auch beruflich bestimmt. Der Gesetzgeber könne deshalb frei entscheiden, ob er Fahrtkosten als steuermindernd anerkenne oder nicht. Bei der mündlichen Verhandlung im September warnte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Richter vor zu viel Einmischung in die Politik: "Man sollte nicht steuerliche Detailfragen als Verfassungsrecht zementieren." Anwälte von Pendlern betonten jedoch den eindeutig beruflichen Charakter der Fahrt zum Arbeitsplatz: "Wenn Mann und Frau in verschiedenen Städten arbeiten, können sie doch nicht an beide Arbeitsorte gleichzeitig ziehen", sagt etwa Anwalt Reiner Odenthal. Auf der Richterbank bildete sich in der Verhandlung noch keine klare Mehrheit heraus. Es fiel aber auf, dass die Fronten im zuständigen Zweiten Senat quer zur politischen Herkunft der Verfassungsrichter verliefen. Das passte ganz gut zur ebenso unübersichtlichen politischen Diskussion, bei der CSU, Linke und Gewerkschaften die Rückkehr der Pendlerpauschale fordern, während die große Koalition aus CDU und SPD die Kürzung verteidigt.
Sollte Karlsruhe die Sparmaßnahme beanstanden, dann tritt nicht automatisch die alte Pauschale wieder in Kraft. Vielmehr könnte der Gesetzgeber auch eine neue, niedrigere Pauschale beschließen, zum Beispiel 20 Cent - statt einst 30 Cent - ab dem ersten Kilometer.
CHRISTIAN RATH
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