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Karlsruhe stärkt Kirche gegen Konfessionslose

Die Diakonie wollte eine Bewerberin nicht einstellen, die nicht Kirchenmitglied ist. Sie klagte. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht neue Regeln aufgestellt

Ohne Ungläubige sähe die Pflege alt aus: Kirchliche Heime wie hier in Neu-Isenburg können sich gar nicht mehr leisten, konfessions­lose Mitarbeitende abzulehnen Foto: Tim Wegner/epd

Von Christian Rath

Das Bundesverfassungsgericht hat im Konflikt um das Sonderarbeitsrecht der Kirchen einen Kompromiss gefunden. Die kirchliche Selbstbestimmung soll in der Abwägung mit den Rechten der Beschäftigten zwar „besonderes Gewicht“ haben, wie es in dem am Donnerstag veröffentlichten Urteil heißt. Letztlich sollen aber staatliche Gerichte entscheiden, ob die Anforderungen der Kirchen an ihre Mit­ar­bei­te­r:in­nen verhältnismäßig sind.

Geklagt hatte die Sozialpädagogin Vera Egenberger. Sie hatte sich 2012 für eine Projektstelle bei der Diakonie beworben. Es ging um die Erstellung eines Antirassismus-Berichts. Egenberger war fachlich gut qualifiziert, wurde aber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Pädagogin sah als Konfes­sionslose darin eine Dis­kriminierung und verlangte 10.000 Euro Schadensersatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Seit 13 Jahren wird nun darüber gestritten, ob die zur Evangelischen Kirche gehörende Diakonie für diese Stelle eine Kirchenmitgliedschaft voraussetzen durfte oder nicht. Dahinter stand die grundsätzliche Frage, wie weit das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen geht.

In Deutschland war lange Zeit das Selbstverständnis der Kirchen maßgeblich dafür, welche Anforderungen sie an ihre Beschäftigten stellen dürfen. Müssen die Mit­ar­bei­te­r:in­nen Kirchenmitglieder sein? Dürfen sie sich scheiden lassen? Führt ein Kirchenaustritt zur Entlassung? Eine gerichtliche Überprüfung war grundsätzlich nicht vorgesehen. Das gab auch die sehr kirchenfreundliche Rechtsprechung aus Karlsruhe vor.

Für einen anderen Wind sorgte jedoch 2018 der Europäische Gerichtshof (EuGH). Dieser entschied aufgrund des EU-Antidiskriminierungsrechts, dass bei Konflikten Gerichte prüfen müssen, ob die Kirchenmitgliedschaft für eine konkrete Arbeit „objektiv geboten“ ist.

Einige Monate später urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass Vera Egenberger Anspruch auf Entschädigung hat. Für das Verfassen eines Antirassimus-Berichts sei keine Kirchenmitgliedschaft erforderlich.

Dagegen erhob die Diakonie Verfassungsbeschwerde. Seitdem lag der Fall in Karlsruhe. Zunächst war der streitlustige Richter Peter Müller zuständig (ehemaliger CDU-Ministerpräsident des Saarlands), der sich mit dem EuGH anlegen wollte. Damit konnte er sich im Gericht jedoch nicht durchsetzen. Inzwischen hat die eher ausgleichende Richterin Christine Langenfeld (auch von der CDU nominiert) den Fall übernommen – und entschärft.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kam nun zum Schluss, dass der EuGH seine Kompetenzen nicht verletzt hat, dass EU-Recht Vorrang hat und dass sich die Luxemburger Vorgaben zum kirchlichen Arbeitsrecht hervorragend in die Karlsruher Rechtsprechung einbauen lassen.

Danach gilt der bereits 2014 vom BVerfG eingeführte Zwei-Stufen-Test künftig in folgender Form: Zunächst muss die Kirche plausibel darlegen, warum für eine Stelle besondere Anforderungen verlangt werden. Ob dieser Zusammenhang wirklich besteht, sollen staatliche Arbeitsgerichte prüfen können. In der zweiten Stufe sollen die Gerichte dann eine „Gesamtabwägung“ zwischen den Rechten der Kirche und denen der Beschäftigten vornehmen.

In dieser Abwägung soll das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen „besonderes Gewicht“ haben. Die Rich­te­r:in­nen verweisen aber – anders als früher – auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Je größer die Bedeutung der Stelle für die religiöse Identität der Religionsgemeinschaft ist, desto eher kann von Beschäftigten eine Kirchenmitgliedschaft gefordert werden. Und umgekehrt: Je weniger Relevanz die jeweilige Position für die „Verwirklichung des religiösen Ethos“ hat, desto eher müssen die Gerichte dem Diskriminierungsschutz den Vorzug geben. Auch dieser Schutz habe „hohe verfassungsrechtliche Bedeutung“, so Karlsruhe.

Das Bundesverfassungsgericht hob nun das Urteil des BAG auf, das Egenberger Entschädigung zugesprochen hatte. Das BAG habe das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht genügend beachtet. Schließlich könne es in einem Antirassismus-Bericht auch um die Einstellungspraxis der Kirchen selbst gehen; dann sei verständlich, dass die Diakonie eine kirchennahe Au­to­r:in suche. Das BAG muss nun neu entscheiden und wird eine Entschädigung dann wohl ablehnen.

Der Streit hat sich in den letzten Jahren auch dadurch entschärft, dass Kirchen von sich aus immer seltener eine Mitgliedschaft verlangen – auch weil sie sonst gar nicht genug Personal für ihre Krankenhäuser und Kitas finden würden.

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