Karen Ullmann: Juristische Beraterin für Notfälle
Im Wendland geriet sie in Polizeikessel bei Castor-Protesten. Seitdem kämpft die heute 32-Jährige für Freiheitsrechte. Sie ist Anwältin im Notdienst.
Karen Ullmann war fünf Jahre alt, als sich der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein gründete. "Das Recht als Waffe verstehen, es für Schwächere gegen Herrschaft einsetzen", lautete 1979 eins der Motive der politischen Organisation, die sich als Teil der Bürgerrechtsbewegung versteht. Ullmann trat dem etwa 800 Mitglieder zählenden Verein bei, nachdem sie 2002 ihr Jurastudium beendet hatte. "Mir ist eine friedliche, freiheitliche Gesellschaft sehr wichtig", sagt sie, "und ich bin überzeugt, dass Freiheitsrechte immer erkämpft werden müssen." Deshalb gehört die 32-jährige Hamburgerin auch zu dem Dutzend aktiver Anwälte und Anwältinnen, die sich im anwaltlichen Notdienst engagieren.
Ullmann ist quasi in den Widerstand hineingewachsen. Ihre Eltern haben eine Ferienwohnung im Wendland, und mehr oder weniger freiwillig geriet sie in jeden größeren Polizeikessel bei Castor-Protesten. Vor gut zehn Jahren war sie die erste Klägerin gegen die massiven Freiheitsentziehungsmaßnahmen. Noch heute streitet sie sich mit dem Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz über die Einträge ihrer Freiheitsentziehungen.
Die Tochter einer Psychologin und eines Arztes studierte Jura, weil der Beruf "so vielseitig ist" und sie "schon als Kind ein ziemliches Gerechtigkeitsbedürfnis" hatte. Mit 15 Jahren sah sie Dokumentarfilme über das Apartheidregime in Südafrika und saß danach heulend auf den Kinostufen. Einen Teil ihres Referendariats verbrachte sie in Israel, 2004 war sie in Ruanda, um sich über die Aufarbeitung des Völkermords zu informieren. Apartheid, Faschismus, Bürgerkrieg, G8-Gipfel - Karen Ullmann will "mutige Menschen unterstützen". Für die Vorgehensweise der Polizei in Rostock findet sie klare Worte: "Mit Rechtsstaat hat das nichts zu tun. Die Polizei hat systematisch gelogen." Doch vieles, was dort passiert ist, sei im Wendland an der Tagesordnung. "Deshalb müssen wir Heiligendamm aufarbeiten. Sonst werden sich die bestehenden Standards verfestigen."
Noch verdient Ullmann ihren Lebensunterhalt als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Hans-Böckler-Stiftung. Doch in wenigen Tagen läuft die Stelle aus. Theoretisch könnte sie als Taxifahrerin arbeiten. Während ihres Studiums, als sie noch Rastalocken trug, fuhr sie als eine der jüngsten Fahrerinnen Nachttaxi bei einem alternativen Fuhrunternehmen. Nach wie vor verlängert sie ihren Taxischein. "Man kann ja nie wissen." Doch hinters Steuer wird sie sich nicht setzen. Die Mutter eines anderthalbjährigen Kindes will sich mit der juristischen Beratung von sozialwissenschaftlichen Projekten selbstständig machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!