Karaleev auf der Fashion Week: „Mode ist Evolution“
Am Mittwoch beginnen die Schauen auf der Berliner Fashion Week. Der experimentierfreudige Vladimir Karaleev über die tollsten Partys, Mode als Industrie und mehr Ruhe.
taz: Herr Karaleev, Sie hätten als Modedesigner nach Paris oder Mailand gehen können. Warum ausgerechnet Berlin?
Vladimir Karaleev: Ich sprach vorher schon ein bisschen deutsch, weil ich in Sofia auf dem deutschen Gymnasium war. Und es war ziemlich einfach, nach Deutschland zu kommen. Berlin war damals vor elf Jahren auch super hip, vor allem für Raver wie mich. Und seit ich 1999 zum Schüleraustausch hier war, war für mich klar: Hier gibt es die tollsten Partys und viele, viele Freiräume.
Und studiert haben Sie nebenbei?
Ja, ich war damals 19 und bin gleich nach der Schule nach Berlin gezogen, um an der Hochschule für Technik und Wirtschaft zu studieren. Aber das Allerwichtigste waren die Menschen, die Partys, und es gab einfach tolle Dinge zu tun.
Viele Designer erzählen, wie sehr die Stadt, in der sie leben, ihre Arbeit beeinflusst. Was ist da tatsächlich dran?
Ich muss schon in einer Großstadt sein für den kreativen Prozess, da gibt es mehr Impulse aus meiner Umwelt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich in einer Hütte auf dem Dorf Sachen entwerfe. Obwohl – jetzt schon eher als früher.
Zur Person: Jahrgang 1981, ist in der bulgarischen Hauptstadt Sofia geboren und aufgewachsen.
Zur Mode: Mit 19 Jahren zog er nach Berlin und gründete 2005 sein Modelabel "Vladimir Karaleev". Der Designer studierte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft.
Zur Fashion Week: Karaleev zeigt zum ersten Mal nicht im Zelt am Brandenburger Tor, sondern heute in einer "Offsite"-Location.
Weil Sie jetzt professioneller arbeiten?
Ich merke einfach, dass ich mehr Ruhe brauche. Manchmal stresst mich das Ganze.
Sie haben sich relativ schnell selbstständig gemacht. 2005 gründeten Sie Ihr eigenes Label. War das in einer armen Stadt wie Berlin ein Problem?
Die Selbstständigkeit lief von Anfang an richtig gut. Ich habe meine erste Kollektion nur gemacht, weil ich Lust darauf hatte. Damals gab es keine Fashion Week, sondern nur Messen wie die Bread and Butter und Premium.
Sie haben in einen Hinterhof in Mitte Ihre erste Kollektion „Cut 210“ gezeigt.
Irgendwie war alles ein bisschen unorganisiert. Ich wollte einfach mal Mode machen und habe gleich nach der Show Einkäufer aus Japan gefunden, die mir in Tokio einen Showroom organisiert haben.
Vom Hinterhof zum eigenen Showroom. Wieso haben gerade Japaner Ihr Talent entdeckt?
Die Japaner wussten, dass es in Berlin voll was zu sehen gibt. Die waren verrückt nach Berliner Mode. Berlin war so ungebranded, man konnte neue Dinge finden, und das fanden die Japaner super.
War für Sie immer klar, dass Sie Mode machen wollten?
Ja. Die ganzen Strukturen waren mir aber unklar, also wie man zum Beispiel Preise macht und wie man Rechnungen schreibt. Ich habe immer meine Kunden gefragt, das hat irgendwie gepasst.
Und heute gelten Sie als ein großer Hoffnungsträger in der deutschen Mode.
Ich finde das schwierig, weil irgendwann kommt die Enttäuschung. Die Leute haben zu große Erwartungen.
Ist für Sie Mode Ausdruck von Gesellschaft?
Für mich schon, ja.
Und wie ist das in Deutschland?
Die Mode hat in Deutschland keine Tradition wie in Frankreich oder in Italien. Deutsche Mode war nie ein Kulturgut, sondern immer eine Industrie, so wie die Autoindustrie.
Wie arbeiten Sie?
Ich bin eher am Experiment interessiert, als auf der sicheren Seite zu sein. Ich arbeite direkt an der Puppe mit Originalstoff. Ich bin immer richtig aufgeregt, wenn ich was Neues entwerfe, weil ich so richtig ungeduldig bin. In Berlin kann man sich so was leisten, auch finanziell. Natürlich muss ich Sachen verkaufen, will aber im Endeffekt glücklich mit meinen Sachen sein.
Warum haben Ihre Modelle oft so etwas Unfertiges, zum Beispiel ungenähte Säume?
Das ist ein Gestaltungselement, so, als ob man immer eine rote Sohle für Schuhe nehmen würde. Das ist eine Ästhetik, die ich schön finde. Ich kann meine Idee darin ausdrücken.
Und worin besteht diese Idee?
Na ja, es ist die Idee vom Spontanen. Ich messe nicht mit dem Maßband, wie ich etwas ausschneide. Ich mach es einfach an der Puppe und schneide nach Augenmaß. Es ist ein wenig wie mit einer Skizze. Der Strich ist einfach da, damit wird grob was skizziert, und man weiß sofort, was es ist. Das Andeuten und Nicht-zu-Ende-Bringen finde ich spannend. Und vom Technischen her: Wenn man was absäumt, hat man eine Naht, und die ist einfach da. Das ist jetzt kein Skandal mehr wie vor dreißig Jahren. Das ist will ich auch gar nicht. Es ist auch nicht mein Markenzeichen. Ich denke nicht: Scheiße, das man muss jetzt abschneiden, weil sonst keiner erkennt, dass es von mir ist.
In Ihrer letzten Kollektion sind Sie mit diesem Gestaltungselement sehr vorsichtig umgegangen. Hatten Sie genau diese Angst, dass es ein Markenzeichen wird?
Nein, es muss so sein, Mode muss sich weiterentwickeln. Mode ist keine Revolution, sondern eine Evolution. Es muss jede Saison weiterführen.
Vor allem auf der Berliner Fashion Week herrscht aber eine Rückbesinnung auf feminine Schnitte und Formen. Warum?
Das hat mit der Tradition in der Mode zu tun. Mode musste historisch immer der Frau schmeicheln und den Körperformen folgen. Und dann kamen Ende der Siebziger und Achtziger die Japaner, da ging es darum, wie Kleidung fällt und sich bewegt – auf andere Weise als im klassischen Rahmen. Aber diese Antiform gab es in Deutschland gar nicht.
Wie wichtig ist es Ihnen, dass Ihre Mode als tragbar gilt?
Wenn ich Blogs oder so über mich lese, steht da oft, dass meine Sachen untragbar seien. Das ist ein sehr wichtiger Faktor in Deutschland, wo Mode eben als Industrie und Geschäft gilt.
Warum zeigen Sie dieses Jahr bei der Berlin Fashion Week nicht im Zelt am Brandenburger Tor?
Ich wollte Abwechslung. Ich hab dreimal hintereinander im Zelt gezeigt, und dieses Mal habe ich einen wunderbaren Theaterraum gefunden und wollte keine Laufstegshow machen, sondern eher eine Installation.
Wieso?
Ich zeige diesmal nicht die volle Kollektion, sondern eine Pre Collection, also eine vorläufige Sommer/Frühling-2013-Kollektion. Diese Kollektion ist auch ein bisschen anders, ich würde fast schon sagen: kommerzieller.
Was meinen Sie damit?
Ich habe zum ersten Mal Prints selbst entwickelt und auf Stoffe gedruckt. Solche Prints werden vom Publikum eher angenommen als meine ganz experimentellen Sachen.
Wo produzieren Sie?
In Berlin und Bulgarien.
Werden Sie eigentlich in Bulgarien wahrgenommen?
Ja, eigentlich schon. Als ich jetzt im Dezember da war, hat mich sogar der Präsident angerufen.
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