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Archiv-Artikel

Kaputt in Hongkong

TRAUMATHRILLER In Dante Lams „The Stool Pigeon“ beuten arme Teufel noch ärmere Teufel aus (Forum)

Lams Helden erleben kurze Momente des Aufatmens, der Flucht aus dem Gefängnis der Gegenwart

Die letzte Verfolgungsjagd des Films endet in einer Abstellkammer, in einem ausrangierten, nicht länger funktionalen Raum. Dutzende Stühle liegen herum, voller harter Kanten und Spitzen, es tut beim Zusehen fast körperlich weh, wenn die geschundenen Kontrahenten sich wieder und wieder gegenseitig zwischen die Möbelstücke werfen.

Dass „The Stool Pigeon“ auf diesen denkbar unspektakulären Ort, gewissermaßen auf die profane Rückseite der High-Tech-Metropole Hongkong, zusteuert, ist kein Zufall. Der Regisseur Dante Lam zelebriert, anders als seine Kollegen Johnnie To oder John Woo, kein elegantes Genreballett. Seine Polizeifilme – im Forum war zuletzt 2009 „The Beast Stalker“ zu sehen – sind schmutzige Großstadtthriller, die nicht an technischer Brillanz interessiert sind.

Man kann an die düsteren Film noirs des klassischen Hollywood denken: Lams Kino ist eines, in dem alle Figuren auf sehr grundsätzliche Art kaputt sind. Die multiplen Traumata, die der Regisseur und sein Lieblingsdrehbuchautor Ng Wai Lun ihren Helden aufbürden, dringen in Rückblenden in die Filme ein und springen in der Gegenwart als Narben auf die Stargesichter über. Besonders hart trifft es in „The Stool Pigeon“ Don Lee, einen Polizisten, der im Laufe seiner Karriere sowohl seine Ehe ruiniert als auch das Leben eines Informanten zerstört hat. Jetzt muss er wieder einen Spitzel betreuen, einen reumütigen Kleinkriminellen namens Ghost Jr., der wie ein geprügelter Hund dreinschaut, wenn er durch die Straßen Hongkongs schleicht, um die Crew des Juwelendiebs Barbarian auszukundschaften. Eine Frau mit dunkler Vergangenheit taucht auch noch auf, zum ungünstigsten Zeitpunkt natürlich.

Dante Lam dreht keine perfekten Filme. Auch „The Stool Pigeon“ hat unnötige Längen und Nebenhandlungen, die ins Nirgendwo führen. Noch dazu kauft man dem ewigen Milchbuben Nick Cheung die charakterlichen Untiefen, die er Don Lee verleihen soll, nie so recht ab. Aber das nihilistisch-melancholische Gesamtgefüge ist stimmig. Arme Teufel, die noch ärmere Teufel ausbeuten und sich dabei selbst so schäbig vorkommen, dass sie ihre zynische Fassade nicht lange aufrechterhalten können. Dazwischen kurze Momente des Aufatmens, der Flucht aus dem Gefängnis der Gegenwart: die Erinnerung an bessere Zeiten bei dem gemeinsamen Besäufnis oder eine fast surreal entschleunigte, traumartig inszenierte Autoverfolgungsjagd, über der auf der Tonspur „White Christmas“ zu hören ist. LUKAS FOERSTER

■ Heute, 22.15 Uhr, CineStar 8; 12. 2., 22.15 Uhr, Cubix 9; 20. 2., 20 Uhr, Colosseum 1