Kapitalismuskongress des DGB: Leiden an "intellektueller Verdünnung"
DGB-Chef Sommer verurteilt den Ruf nach einer Schuldenbremse. Stattdessen fordern die Gewerkschafte mehr Mitbestimmung - und kritisieren eigene Fehler.
BERLIN taz | Mit der kämpferischen Ansage, eine wirkliche Alternative zum Neoliberalismus durchsetzen zu wollen, hat DGB-Chef Michael Sommer den Kapitalismuskongress in Berlin beendet. Zwei Tage lang diskutierten mehr als 500 Gewerkschafter und Vertreter aus Verbänden und Politik über Gewerkschaftsstrategien und politische Forderungen im Angesicht der Wirtschaftskrise.
"Es gibt unglaublich viele Anzeichen dafür, dass in Wahrheit nicht viel geändert wird", kritisierte Sommer die Krisenantworten der Regierung und auf internationaler Ebene, "das dürfen wir nicht zulassen." Scharf verurteilte er politische Forderungen nach einer Schuldenbremse: "Das ist verantwortungslos."
Im Mittelpunkt des Kongresses stand die Forderung nach einer umfassenden Demokratisierung der Wirtschaftsordnung: es brauche mehr Mitbestimmung in den Betrieben, forderte IG-Metall-Vorstand Peter Donath, flächendeckend müssten Branchen- und regionale Wirtschaftsräte eingeführt und die Gewerkschaften mit mehr Entscheidungsbefugnissen in der Unternehmensstruktur ausgestattet werden. Alex Demirovic von der TU Berlin warnte vor einer Abkopplung der "Unternehmer-Etagen". Die Entdemokratisierung der Gesellschaft schreite voran, es sei auch Aufgabe der Gewerkschaft, das Wissen über die Wirtschaft zu demokratisieren und der "neuen Wucht des Eigentums" etwas entgegenzusetzen. Ratingagenturen müssten zum Beispiel öffentlich eingerichtet und demokratisch kontrolliert werden.
Auch Kritik an der eigenen Arbeit wurde laut: es brauche mehr politische Bildung und Vermittlung in den Betrieben, forderten Gewerkschaftsmitglieder, die Arbeitnehmervertretungen müssten über den Betrieb hinaus in die Gesellschaft wirken und Druck von unten aufbauen. Der DGB müsse zudem endlich wieder gesamtgesellschaftliche Diskussionen prägen, er leide an einer "intellektuellen Verdünnung".
Man streite für ein wirkungsvolles "fiskal- und umverteilungspolitisches Gegensteuern", sagte Sommer am Freitag. Zugleich versprach er, im Juni die "politisch-praktische Auswertung" des Kongresses vorzulegen. Man müsse nun Diskussionen bis auf die regionale Ebene anstoßen. Das "Fenster der Möglichkeiten zum Umsteuern", betonte er mehrfach, stehe nur kurz offen. EVA VÖLPEL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier