Kapitalismus in Nordkorea: Visionen hinter Stacheldraht

In Kaesong, der streng abgeschirmten kapitalistischen Enklave, wächst ein Industriepark. Südkoreanische Firmen lassen hier produzieren, bislang vor allem aus politischen Gründen.

Stoffproduktion für den Weltmarkt, "Made in Nordkorea". Bild: ap

"Von hier aus werden wir die ganze Welt beliefern", sagt Ryu Jinmi und drückt auf ein Knöpfchen, das die Landkarte an der Wand zum Leuchten bringt: "Mit der Eisenbahn bringen wir unsere Produkte bis nach Europa und alle anderen Märkte erreichen wir per Seefracht."

An der Wand erscheinen Bahntrassen und Schifffahrtsrouten. Sternförmig strahlen sie von der koreanischen Halbinsel in alle Richtungen. In der Mitte liegt Kaesong. "Dies ist", sagt die 24jährige, "der ideale Industriestandort in Nordostasien". Willkommen in der Wirtschaftssonderzone Kaesong, der kapitalistischen Enklave im kommunistischen Nordkorea des Machthabers Kim Jong-il.

Wovon die junge Nordkoreanerin Ryu in den vergangenen Monaten träumte, soll der Wirklichkeit in diesen Tagen ein Stückchen näher gebracht werden, wenn es nach dem Willen des südkoreanischen Präsidenten Roh Moo-hyun geht: Zum historischen zweiten Nord-Süd-Gipfeltreffen ist Roh am Dienstag in den Norden gereist, wo er bis zum 4. Oktober bleiben will. Der "Große Führer" Kim Jong-il empfing ihn in der Hauptstadt Pjöngjang. Begleitet wird der Präsident unter anderem von den Bossen der großen südkoreanischen Konzerne, die in den vergangenen Jahren Milliarden in die Wirtschaft des Nordens gesteckt haben.

Das gilt besonders für das Industriegebiet Kaesong: Es liegt direkt an der streng bewachten Grenze, unweit des berühmten Ortes Panmunjon, an dem Roh am Dienstag Vormittag zu Fuß in den Norden lief.

Ein grüner Zaun trennt das Gelände mit seinen hochmodernen Fabriken von den ausgelaugten Feldern, ärmlichen Siedlungen und heruntergekommenen Werkhallen der Umgebung. Hier produzieren nordkoreanische Arbeiter - überwiegend Frauen - für südkoreanische Firmen Schuhe, Kleider, Autoteile und Kabel.

Ryu trägt einen Pferdeschwanz. Sie ist eine Nordkoreanerin im Dienste des Kapitalismus, angestellt vom südkoreanischen Konzern Hyundai-Asan, der die Enklave managt. Ryu trägt wie die meisten ihrer Landsleute an der Brust den Anstecker mit dem Porträt des verstorbenen "Präsidenten auf Ewigkeit" Kim Il-sung.

Trotz Expansionsphantasien schmückt der verstorbene Diktator Kim Il Sung die Brust: Kaesong-Promoterin Ryu Jinmi. Bild: jutta lietsch

Ihre Aufgabe ist es nicht nur, Besucher zu empfangen und ihnen die Vorzüge der einzigartigen Kombination von billiger nordkoreanischer Arbeitskraft und südkoreanischem Geld zu verkaufen. Es geht um mehr: Sie malt die Vision einer wunderbaren Zukunft aus, in der Kaesong zum Herzen eines geeinten, starken Korea wird.

"Opening the Way" steht über dem Namenszug des südkoreanischen Großkonzerns Hyundai Asan auf dem Verwaltungsgebäude - "den Weg bereiten". Von der Dachterrasse aus sieht man Fabrikhallen und Baustellen. Bulldozer ebnen Hügel ein, mächtige Hyundai-Lastwagen rollen über breite Straßen, die von frisch gesetzten Bäumen, Ampeln, futuristischen Laternen und südkoreanischen Verkehrsschildern gesäumt sind.

Hyundai Asan pachtet zusammen mit anderen - zum Teil staatlichen - südkoreanischen Unternehmen seit vier Jahren die 66 Quadratkilometer an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea. Für die Firmen des Südens ist die Investition von mehr als einer Milliarde Dollar in die Kaesong-Zone Teil eines großen Plans: die Grenze, die ihre Heimat seit dem Koreakrieg zerschneidet, durch wirtschaftliche Hilfe und durch gemeinsame Geschäfte allmählich durchlässig zu machen.

Von der nördlichen Hauptstadt Pjöngjang dauerte die Fahrt auf der schnurgeraden und leeren Autobahn nach Süden nicht viel mehr als zwei Stunden. Trotzdem ist es nicht leicht, in die Industriezone zu gelangen: Sondergenehmigungen sind nötig, wenn man sie besuchen will. Nur eine Handvoll privilegierter nordkoreanischer Funktionäre darf hinein.

Für die rund 13.000 Arbeiter, die jeden Tag mit Bussen aus der benachbarten 200.000-Einwohner-Stadt Kaesong in die Fabriken gebracht werden, ist der Job in der Wirtschaftszone wohl eine große Chance. Die hellen, pieksauberen Werkhallen mit Plastikblümchen-Schmuck und das gute Essen in den freundlichen Kantinen - all das verkündet die Botschaft der Südkoreaner an ihre Landsleute im Norden: Unser Kapitalismus ist viel schöner und sozialer als die graue Armut bei Euch.

62 Dollar Einheitslohn monatlich zahlen die Firmen den nordkoreanischen Beschäftigten. Das ist etwas weniger, als die Arbeiter in den Fabriken in China erhalten. In Südkorea sind die Löhne zehn- bis fünfzehnmal so hoch.

Bringen Dollars fürs Regime: Näherinnen bei Shinwon. Bild: ap

Für Nordkoreaner aber ist es ein Spitzenlohn - zumindest theoretisch. Es bleibt ein Geheimnis, wie viel die Arbeiterinnen davon behalten dürfen. Die Dollars kassiert eine nordkoreanische Agentur, die den Lohn in heimischen Won auszahlt - zu welchem Kurs ist ebenso unklar wie die Summe, die für den Staat abgezweigt wird.

23 Firmen produzieren derzeit im Industriepark oder sind noch dabei, ihre Fabriken zu bauen. Aber "schon bald werden es 300 Unternehmen und 70.000 bis 100.000 Arbeiter sein", verspricht Frau Ryu. "Wir haben Platz für 2.000 Firmen!"

Auf einem Modell zeigt sie, wo neben den heute schon geplanten und gebauten Fabriken in den nächsten Jahren neue IT- und Handels-Bezirke mit weiteren Werkhallen, Hochhäusern und Geschäftszentren entstehen sollen. Die alte Königsstadt Kaesong soll sich dann in ein Touristenzentrum verwandeln, das Südkoreaner und Reisende aus der ganzen Welt anziehen wird.

Weitsicht oder Fantasterei? Bislang sind es vorwiegend patriotische Gefühle, die Südkoreas Geschäftsleute dazu bewegen, in Kaesong zu investieren: "Wir verdienen nichts daran. Wenn wir Glück haben, machen wir in fünf Jahren Gewinn", erklärte Chong Yun-kyo, Manager der Firma GS Bucheon, deren 544 Mitarbeiterinnen Elektrodrähte zu Kabelbäumen Zusammenstecken, bei einem Besuch im Juni.

Sein Kollege Hwang Won Seong, Manager beim Kleiderfabrikanten Shinwon ein paar Hundert Meter weiter, freute sich vor allem darüber, dass "wir hier gut arbeiten können, weil wir eine Sprache sprechen und uns als Koreaner gut verstehen". Dies alles sind, betonte er, "kleine Schritte auf dem Weg zu einer zukünftigen Wiedervereinigung."

Allerdings: Private Kontakte zwischen Nord- und Südkoreanern darf es nach dem Willen Pjöngjangs nicht geben. In Kaesong - wie überall in Nordkorea - dürfen sich Touristen nicht frei bewegen.

Ganz offenkundig haben sich die Südkoreaner damit eingerichtet, dass sie einen langen Atem haben müssen. Die unberechenbaren Reaktionen des Regimes in Pjöngjang, der Streit um das nordkoreanische Atomprogramm, die amerikanischen Sanktionen - das alles macht die Arbeit hier nicht eben leicht.

Viele Südkoreaner ärgern sich darüber, dass ihre Politiker und Konzerne wie Hyundai Asan immer wieder bereit sind, jeden kleinen Schritt der Annäherung teuer zu erkaufen. Andere sehen dies als Investition, die sich auszahlen wird. Behalten sie Recht, könnte der heute so absurd klingende Traum, die Industriezone Kaesong in eine Drehscheibe Ostasiens zu verwandeln, am Ende doch noch wahr werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.