Kanzlerkandidat Peer Steinbrück: Der tapfere Sozialdemokrat
Peer Steinbrück wird im nächsten Jahr Angela Merkel herausfordern. Die Wähler wollen das bisher offenbar nicht. Kann der Kandidat das ändern?
BERLIN taz | Am Freitagnachmittag war alles klar. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel erklärte in der Parteizentrale, er werde am Montag dem Parteivorstand Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten vorschlagen. Das Ziel laute ab jetzt Rot-Grün im Bund. Nun gut, diese Neuigkeit war bereits seit dem Morgen bekannt und bestätigt. Spannend war jedoch die Frage, wie der Vorsitzende die Personalie den Fraktions- und Parteilinken schmackhaft machen würde.
Und tatsächlich, schon in seinem zweiten Satz warf Gabriel die Angel aus. Man werde, sagte er, am Montag auch „einen Vorschlag vorlegen, wie die SPD in den kommenden Jahren ein weiteres Absinken des Rentenniveaus bis 2030 auf 43 Prozent verhindern wird“. Der Streit über die Rentenhöhe war zuletzt eng an die Kandidatenfrage gekoppelt worden. Nun also Steinbrück, der Agenda-2010-Mann.
Dass die wichtige Personalie doch schon bekannt gegeben wurde, darf man getrost mutig nennen. Mutig gegenüber den eigenen Parteimitgliedern, von denen nicht wenige den Kandidaten in einer Linie mit dem grandiosen Vertrauensverlust der Wähler in sozialdemokratische Politik verbinden. Mutig, gemessen an dem langen Wahlkampf, der für Peer Steinbrück exakt jetzt beginnt. Und mutig gegenüber Schwarz-Gelb, denn nie saß die Kanzlerin Angela Merkel so fest im Sattel wie derzeit.
Nur in den seltensten Fällen ist der SPD bisher gelungen, aus einem Kanzlerkandidaten auch einen Kanzler zu machen. Es scheiterten Kurt Schumacher gegen Konrad Adenauer (1949), Erich Ollenhauer gegen Konrad Adenauer (1953 und 1957), Willy Brandt schon wieder gegen Adenauer (1961), zudem gegen Ludwig Erhard (1965) und Kurt Georg Kiesinger (1969), Hans-Jochen Vogel gegen Helmut Kohl (1983), Johannes Rau gegen Helmut Kohl (1987), Oskar Lafontaine schon wieder gegen Kohl (1990), Rudolf Scharping nochmals gegen Kohl (1994), Frank-Walter Steinmeier gegen Angela Merkel (2009). SPD-Kanzler wurden nur Willy Brandt (1969-1974), Helmut Schmidt (1974-1982) und Gerhard Schröder (1998-2005). (klh)
„Erst klären wir die Programmatik, dann die Kandidatenfrage.“ Diesen Satz hat Sigmar Gabriel in den zurückliegenden Wochen ständig wiederholt. Nun läuft es genau andersherum. Statt wie angekündigt erst die inhaltlichen Leitlinien abzustimmen, mit denen die Partei die Wählerinnen und Wähler überzeugen könnte, schieben die Sozialdemokraten doch erst den Kandidaten nach vorn.
Politischer Ziehsohn von Altkanzler Helmut Schmidt
Eigentlich, hatte es noch im Sommer geheißen, wolle man nach der Niedersachsen-Wahl im Januar den Kanzlerkandidaten küren. Dann hieß es, frühestens nach dem Parteikonvent Ende November sei mit der Entscheidung zu rechnen, man wolle erst … die Inhalte, genau. Nun, am Ende jener Woche, in der sich der SPD-Vorstand nicht auf ein vollständiges Rentenkonzept einigen konnte, ist die Kandidatenfrage plötzlich entschieden. Peer Steinbrück soll es machen.
Der 65 Jahre alte politische Ziehsohn und Schachpartner von Altkanzler Helmut Schmidt (93) ist vielen noch in Erinnerung als Finanzminister der großen Koalition. Gemeinsam mit Angela Merkel hatte er sich 2008 für die Rettung der Pleitebank Hypo Real Estate eingesetzt, mit dem Ergebnis, dass der Staat für deren Milliardenverluste haftete.
Bei den Genossen an der SPD-Basis hält sich die Beliebtheit des kühlen Rechners in Grenzen. Als Steinbrück, 2002 ins Amt gekommen, 2005 als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen zur „Schickalswahl“ über Rot-Grün im Bund antrat, holte er im Land der Sozis mit 37 Prozent ein miserables Ergebnis.
Danach fand sich Steinbrück am Kabinettstisch von Angela Merkel wieder. Vor zwei Wochen beim Zukunftskongress in Berlin sagte er über diese Zeit, die SPD habe bis 2009 „mehr richtig gemacht, als wir uns gelegentlich als Sozialdemokraten selber eingestehen“. Und tags zuvor hatte er bei seiner Bewerbung als Bundestagskandidat erklärt: „Peer Steinbrück wird nie wieder in einem Kabinett von Frau Merkel zu finden sein.“
Keine Chance im direkten Vergleich gegen Merkel
Folgt man den Umfragen, ist es im Moment fast egal, wer von den Sozialdemokraten im nächsten Jahr gegen Angela Merkel verliert. Weder Steinmeier noch Gabriel oder Steinbrück hätten im direkten Vergleich eine Chance gegen sie. Nur 36 Prozent der Befragten favorisieren Steinbrück als Kanzler. 53 Prozent würden laut ZDF für die Amtsinhaberin stimmen.
Der Politikwissenschaftler Matthias Micus vom Göttinger Institut für Demokratieforschung schließt einen Kanzler Steinbrück dennoch nicht aus. Zwar sei der von den Mitgliedern der Troika „am weitesten von der linken SPD-Linie entfernt“, aber er sei auch eine echte Option für Leute, die die Agenda-2010-Politik prinzipiell richtig fanden.
Diese Leute, sagt Micus, „sind zwar nicht die Delegierten auf den Parteitagen, aber die Wähler“. Gleichwohl sei die Entscheidung für Steinbrück die „mutloseste“; sie zeige überdeutlich, dass die SPD „selbst nicht mehr an eine linke Mehrheit glaubt“. Steinbrück mache die Partei stattdessen „wieder ansprechbar für die FDP“.
Die SPD-Linke guckt sich den Kandidaten schön
Tatsächlich sagte Steinbrücks Freund, Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki: „Steinbrück ist derjenige, mit dem die Liberalen am ehesten reden können.“ Die Kanzlerin ließ über ihren Sprecher ausrichten, sie habe „überhaupt keine Vorlieben, was ihren Gegenkandidaten betrifft“.
Und Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: „Der Wechsel ist hiermit eingeläutet.“ Von der Linken meldete sich Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn zu Wort: man sei gespannt, ob Steinbrück „mit den Lebenslügen der Agenda-SPD brechen“ werde.
Unterdessen guckt sich die SPD-Linke den Kandidaten schon mal schön. Ernst Dieter Rossmann, Wortführer der Parlamentarischen Linken im Bundestag, erklärte: „Peer Steinbrück soll Kanzler für Deutschland werden, nicht Kanzler für die Parlamentarische Linke.“ Auch Bayerns Landeschef Florian Pronold sagte: „Steinbrück kann Kanzler.“
Nur Ralf Stegner, Vertreter der Linken im Parteivorstand, mahnte, Steinbrück könne nur erfolgreich sein, wenn er mit einem Team aus Leuten antrete, „die das Profil der linken Volkspartei SPD glaubwürdig repräsentieren“. Dafür brauche er die Unterstützung der gesamten Partei. Die zu organisieren – das wird Steinbrücks erste Prüfung.
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