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Kanzlerin vor der Sommerpause„Irgendwie war ich beschäftigt“

Fast zwei Stunden stellt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel den Fragen der Hauptstadt-Presse. Nur wenig kann sie noch aufregen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte auf alles eine Antwort. Bild: reuters

BERLIN taz | Freitagmittag in Berlin. Seit mehr als einer Stunde beantwortet Angela Merkel Journalistenfragen, da werden plötzlich die Emotionen in ihr geweckt. Die Bundeskanzlerin ist wie jedes Jahr zum Beginn der parlamentarischen Sommerpause ins Haus der Bundespressekonferenz gekommen. Anders als bei anderen Terminen, wo allenfalls ein paar Fragen möglich sind, bevor Merkel zum nächsten Termin rauscht, hat sie diesmal Zeit mitgebracht.

Erstaunlich wach pariert sie sämtliche Themen. Immerhin hatte sie am Abend zuvor ihren 60. Geburtstag in der CDU-Parteizentrale gefeiert. Reden und Shakehands bis in den späten Abend. Aber ob Fragen zu Philipp Lahms Rücktritt als Kapitän der Fußballnationalmannschaft, zur Spionage-Krise mit den USA oder zum (hierzulande weitgehend unbemerkt verlaufenden) Streit darüber, wie der mazedonische Staat künftig heißen soll – Merkel hat auf alles eine Antwort. Die „Sommer-PK“ verläuft so reibungslos, dass Regierungssprecher Seibert, der vorn neben Merkel sitzt, immer mal wieder den Eindruck vermittelt, als sei er eingenickt.

Doch dann stellt ein Journalist diese Frage, die die Kanzlerin nervt. Was in den zurückliegenden Monaten denn bitte sehr ihr innenpolitischer Beitrag zur Leistung der Großen Koalition gewesen sei, möchte der Journalist wissen. Merkel zögert erst. Dann legt sie den Kopf schief und schaut den Journalisten an, als wolle sie zurückfragen, ob seine Frage ernst gemeint sei. Ihr innenpolitischer Beitrag? „Vielleicht fällt Ihnen was ein“, sagt sie dann spitz. Und: „Irgendwie war ich beschäftigt.“

Ja, irgendwie war die Kanzlerin beschäftigt im zurückliegenden Dreivierteljahr. Im Herbst letzten Jahres hatten die Bürger Merkels Koalitionspartner FDP aus dem Parlament gewählt. Anschließend versuchte sie, die Grünen in die Regierungsverantwortung zu locken. Das misslang. Und seit Mitte Dezember nun regiert sie mit den Sozialdemokraten. Die legen seither ein Tempo vor, das Merkels CDU/CSU-Fraktion aus FDP-Zeiten nicht mehr gewohnt war. Rente mit 63, Mindestlohn, EEG – zack, zack wurden die Gesetze auf den Weg gebracht. Und auf allen prangte der Stempel der SPD. Die Zwischenbilanz der Konservativen in der Regierung ist gelinde gesagt durchwachsen.

Eine Menge außenpolitische Baustellen

Doch Merkels Genervtheit könnte auch daran liegen, dass sie auch noch ein paar andere Dinge regelt. Wichtigere Dinge – aber so würde sie es nie sagen. Was viele ja erst in zweiter Linie interessiert, ist die Außenpolitik. Die Europawahl, die Krimkrise, die TTIP-Verhandlungen, die Vertrauenskrise mit Washington sind da nur die augenfälligsten Baustellen.

Gerade war Merkel drei lange Tage in China und schaute sich an, wie so ein Wirtschaftswachstum im zweistelligen Bereich funktioniert. Gleich danach reiste sie nach Rio de Janeiro zum Endspiel der Fußball-WM, dann nach Dubrovnik zur Westbalkan-Konferenz und anschließend zum EU-Gipfel nach Brüssel. Dazwischen Telefonate und Gespräche mit Wladimir Putin und Barack Obama. Am Donnerstag, dem Abend von Merkels 60. Geburtstag, wurde über der Ostukraine ein Passagierflugzeug vom Himmel geschossen und in Israel ordnete der Regierungschef den Bodenangriff auf Gaza an.

Und an diesem Freitag, in Berlin, will man nun von ihr wissen, was sie zu Philipp Lahm meint, wie sie die Pkw-Maut rechtfertigt und ob sie darüber nachdenkt, in absehbarer Zeit zurückzutreten. Bei so viel Fallhöhe kann einem schon mal das Gesicht verrutschen. Und dann kommt eben auch solch ein Satz: „Irgendwie war ich beschäftigt.“

Am Abend zuvor, bei Angela Merkels Geburtstagsfeier im Konrad-Adenauer-Haus, wurden allerlei Reden gehalten. Ein Historiker hielt einen ziemlich komplizierten Vortrag über „Zeithorizonte“. CDU-Fraktionschef Volker Kauder, Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt priesen die Jubilarin. Im Publikum saßen Angela Merkels Ehemann Joachim Sauer und ihre Mutter Herlind Kasner. Wolf Biermann war unter den Gästen, auch Otto Rehhagel und Erika Steinbach.

Die Frage nach dem Rücktritt

Es war auf jene ausgefallene Weise anregend, die Angela Merkel schätzt. Gegen Ende, bevor die Gratulanten antraten, sagte sie auch noch etwas. Sie dankte allen für ihr Kommen. An Tagen wie diesem wisse sie: „Wir leben in glücklichen Breiten.“

Und tags darauf wird sie dann gefragt, wann sie eigentlich zurückzutreten gedenkt.

Aber auch auf diese Frage hat sie eine Antwort. Sie sei „gerne wieder angetreten“ als Bundeskanzlerin. Und zwar für die ganze Legislatur. „Das, was ich gesagt habe, werde ich auch tun. Alles Weitere später.“

Seit einer Woche wird Merkel mit der Frage nach ihrem Rücktritt konfrontiert. Wann kommt er, wer folgt ihr nach, was macht sie danach? Könnte sie nicht UN-Generalsekretärin werden? Derlei. Einmal abgesehen davon, dass es fahrlässig wäre, vom Koalitionspartner SPD zu erwarten, gemeinsam mit der Union einen weiteren CDU-Kanzler oder eine -Kanzlerin ins Amt zu hieven – scheint es eine Art medialer Reflex zu sein, eine sechzigjährige Frau kaum verhohlen zum Gehen aufzufordern.

Groteske Rechtfertigung der Pkw-Maut

Statt näher auf derlei Begehr einzugehen, legt Angela Merkel dar, was nach der Sommerpause die Themen der Großen Koalition sein werden. Möglichkeiten für Steuerentlastungen sieht sie nicht, auch nicht für den Abbau der kalten Progression. Falls die Wirtschaft wachsen sollte, sagt sie, könne man erneut darüber reden.

Ihrer Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sichert sie „volle Unterstützung“ beim Thema Drohnen zu. Außerdem erklärt sie, sie sei offen für eine bessere Ausstattung der deutschen Geheimdienste. Wenn nachgewiesen werde, dass etwas „von unabweisbarer Bedeutung“ sei, werde man dem „auch in den Haushaltsberatungen Rechnung tragen“. Sowohl Bundesverfassungsschutz als auch Bundesnachrichtendienst hatten im Zusammenhang mit der NSA-Affäre mehr Geld gefordert.

Eine heftige Debatte erwartet Angela Merkel im Herbst bei der anstehenden Energiewende-Reform. Man müsse klären, welche fossilen Anlagen als versorgungssichernd bewertet werden sollen, sagt sie. „Nehme ich da die modernsten, nehme ich da die lokal am wichtigsten, frage ich alle, ob sie wollen, dass ihre Kraftwerke in so eine Reserve hineinkommen“. Das werde noch „eine sehr ambitionierte Diskussion“.

Geradezu grotesk wird es, als Merkel die Einführung der Pkw-Maut rechtfertigt. Sie habe immer gesagt, Pkw-Halter im Inland dürften nicht zusätzlich belastet werden. Insofern seien die Maut-Pläne von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) „voll auf der Koalitionslinie“. Im Wahlkampf hatte sie noch gesagt, mit ihr werde es keine Maut geben. Nun ja, es ist ja nur ein Inlandsthema. Aber immerhin: Angela Merkel hat eine Antwort.

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1 Kommentar

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  • "Und auf allen prangte der Stempel der SPD."

    Das ist zwar sachlich richtig, begreift der unpolitische Durchschnittswähler aber nicht, sondern sieht ganz im Gegenteil alles als große Leistung der heiligen Angela und ihrer wunderbaren CDU an.

     

    Gerade der Mindestlohn, der es tatsächlich nur auf Druck der SPD und der Vermittlungsarbeit von Frau Nahles überhaupt in Gesetzesform geschafft hat, wird von der Mehrheit zu unrecht als Errungenschaft von Mutti und den Konservativen gefeiert - die Abstriche dagegen, die man als Kompromisse für die CDU eingehen musste, damit diese überhaupt zustimmt, wird ausschließlich der SPD angehängt.

     

    Glaubt denn jemand, dass der Mindestlohnn auch nur in abgeschwächer Form in einer Schwarz-Gelben oder reinen Schwarzen Regierung ohne die SPD jemals gekommen wäre? Nein, natürlich niemals! Aber niemand würde das der SPD und insbesondere Nahles anerkennen, die dafür monatelang gekämpft und geschuftet hat, wie kein anderer Arbeitsminister in den letzten 60 Jahren zuvor. Stattdessen wird jeder CDU-Kompromiss ausschließlich der SPD angekreidet. So geht Arbeitsteilung in der großen Koalition: Die CDU gewinnt immer.