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Kampfsport im SO36Für Rojava in den Ring

Die Kampfsportveranstaltung „Thirtysix Fights“ will die autonome kurdische Bewegung stärken. Die Einnahmen gehen an ein Frauenprojekt in Syrien.

High Kick im So36 Foto: Thirtysix Fights

Berlin taz | Vom Schweiß schwere und drückende Luft ist im Musik-Club SO36 mitten auf Kreuzbergs Oranienstraße nicht ungewöhnlich. Doch dieses Mal sind nicht Punk-Konzerte oder 80er-Jahre-Partys im Berliner Szeneladen dafür verantwortlich, sondern eine Kampfsportveranstaltung. Anstelle der Bühne füllt den Club ein großer Boxring aus, die Seile sind straff gezogen. Das Licht im Saal ist gedimmt, der Ring hell erleuchtet. Drumherum drängt sich dicht an dicht das Publikum.

Der Tag beginnt mit einem Muay-Thai-Kampf, bei dem die Kämp­fe­r*in­nen neben Fäusten auch Ellbogen, Knie und Beine einsetzen. Franek Staya steht bereit. Der Kampfsportler kam für den Kampf extra aus Poznan in Polen nach Berlin. Die Gemeinschaft der Kämp­fe­r*in­nen reizt ihn, sagt er. In Poznan trainiert er als Laie. Bei der Veranstaltung in Kreuzberg kann er nun vor größerem Publikum kämpfen – und dies abseits von kommerziellen Kampfsport-Verbänden, die Staya ablehnt.

„Hier geht es nicht darum, mit dem Kampfsport Geld zu machen, sondern hier ist alles selbst organisiert und man kann sich in einer schönen Atmosphäre vor Publikum selbst herausfordern“, sagt er. Staya – tätowiert am gesamten Körper, mit Vokuhila und Oberlippenbart – verliert zwar nach den angesetzten drei Runden seinen Kampf und kann danach nur humpelnd zum Gespräch kommen. Aber dennoch ist er froh, dabei gewesen zu sein. So wie er suchen auch alle anderen, die an diesem Tag gekommen sind, mehr als nur Kampfsport.

„Thirtysix Fights“ ist ein Kampfsportevent, das politische Solidarität mit Rojava in den Ring trägt. Zwölf Kämpfe stehen auf dem Programm, im Boxen, dem Kickbox-Stil K1 und in der traditionellen thailändischen Kampfkunst Muay Thai. 24 Kämp­fe­r*in­nen treten an, die Hälfte von ihnen sind Flinta, also Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen.

Diverse Ama­teu­er­kämp­fe­r:in­nen

Die Kämp­fe­r*in­nen sind alle Laien und Amateure. Die meisten kommen aus Deutschland, aber auch aus dem europäischen Ausland. Manche haben erste Wettkampferfahrungen, andere stehen zum allerersten Mal im Ring. In ihren Studios trainieren sie ohne Öffentlichkeit, hier haben sie die Chance, sich vor größerem Publikum zu beweisen.

„Bei der Auswahl der Kämp­fe­r*in­nen haben wir auf Diversität geachtet und auch darauf, anspruchsvolle und interessante Kämpfe zu bieten“, erklärt Hannah L. vom Organisationsteam. Tatsächlich bleibt die Spannung im Saal bis zum letzten Kampf hoch ebenso wie die Qualität der Kämpfe.

Die Kämp­fe­r*in­nen haben jeweils ihre ganz eigene Motivation: Für Frank Staya war es die Kultur der Gemeinschaft. Von Rojava habe er erst durch die Veranstaltung erfahren, sagt er und fügt an, dass er das Anliegen unterstützt. „Umso schöner, wenn man durch so ein Sport-Event auch noch etwas bewirken kann“, sagt er. Für andere war das Engagement für Rojava der Hauptantrieb, mitzumachen.

Titel oder Preisgelder gibt es an diesem Tag für die Kämp­fe­r*in­nen nicht. Es geht um den Sport und die Gemeinschaft. Dies wird auch hinter dem Ring deutlich, wo sich die Kämp­fe­r*in­nen aufwärmen, sich gegenseitig vor den Kämpfen Mut zusprechen und danach freundlich empfangen werden und die Kämpfe noch weiter diskutieren.

Gesundheitsversorgung in Syrien

Neben dem Sport geht es aber auch um konkrete Solidarität, ergänzt die 25-jährige Hannah L. Denn die Einnahmen der Veranstaltung gehen an die „Stiftung der freien Frau in Syrien“ (WJAS). Die Organisation wurde 2014 in den kurdisch geprägten Gebieten Nordsyriens gegründet. Heute beschäftigt sie mehrere Hundert Menschen und organisiert vor allem für Frauen und Kinder medizinische Nothilfe, Gesundheitsversorgung, Ausbildung für medizinisches Personal sowie psychosoziale Angebote für Frauen.

Neben medizinischen Angeboten gibt es auch Berufsausbildungen, Genossenschaften und Seminare, die Frauen ökonomische Unabhängigkeit verschaffen sollen, erklärt Sultan Khuschu, die Leiterin der Stiftung in der nordsyrischen Stadt Qamishlo, im Gespräch mit der taz. „Unser Hauptziel ist es, Frauen und Kinder in jeder Hinsicht zu unterstützen und so ihre Stellung in der Gesellschaft zu stärken“, sagt Khuschu. In der Zentrale in Qamishlo arbeiten Frauen an Nähmaschinen, produzieren Kleidung für Kinder oder verkaufen selbstgefertigte Produkte.

Ebenso betreibt die Stiftung die „Ari-Klinik“ in der Stadt Hesekê. Dort werden Geburten begleitet, Vorsorgeuntersuchungen für Frauen und Kinder durchgeführt und chronische Erkrankungen untersucht – Leistungen, die in einer Region, weiterhin von Krieg und Terror gezeichnet, nicht selbstverständlich sind. Mit den Spenden der Kampfsportveranstaltung werden Medikamente und Miete bezahlt, Gehälter für Ärztinnen und Pfleger. „Jede Unterstützung hilft uns, unsere Strukturen hier vor Ort zu stabilisieren“, erklärt Khuschu. Pro Monat koste der Betrieb der „Ari-Klinik“ in Hesekê rund 1.500 Euro.

Krankenhaus der „Stiftung der freien Frau in Syrien“ Foto: WJAS

Hesekê liegt in der „Autonomen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien“, die auch als Rojava bekannt ist. Seit über zehn Jahren verwalten sich die Menschen in Rojava auf den Prinzipien von Basisdemokratie, Geschlechtergerechtigkeit und multiethnischem Zusammenleben selbst. Doch seit dem Sturz des Diktators Bashar al-Assad ist die Lage in ganz Syrien äußerst angespannt.

Probleme im neuen Staat

Minderheiten wie die Kur­d*in­nen oder die Drus*­in­nen fordern ihre Autonomie, sind jedoch mit dem zunehmend zentralistischen und repressiven Staatsapparat des neuen Machthabers Ahmed al-Scharaa konfrontiert. Es laufen intensive, aber fragile Verhandlungen über eine mögliche Integration der Selbstverwaltung in den syrischen Staat – beide Seiten berichteten von Fortschritten, zugleich gibt es noch viele offene Fragen. Aktuell liegen die Gespräche auf Eis. Zudem bleibt die Sicherheitslage angespannt: vor Ort kommt es weiterhin zu Gefechten sowie zu Anschlägen.

Im Saal in Kreuzberg wird währenddessen weitergekämpft. Sarah Konig steht nicht zum ersten Mal im Ring. Sie war bereits im letzten Jahr im SO36 dabei und bestritt damals sogar den Hauptkampf. „Kampfsport ist meine große Leidenschaft“, sagt die Mannheimerin, die auf zahlreiche Kämpfe im Muay Thai zurückblicken kann. „Ich brenne einfach für den Sport“, sagt sie. „Thirtysix Fights“ lege besonderen Wert auf einen wertschätzenden Umgang – auch zwischen den Kämp­fe­r*in­nen. Insbesondere die Beteiligung von Flinta-Personen an diesem Tag trage dazu bei, findet sie.

Zwischen den Runden gibt es daher auch immer wieder Umarmungen zwischen den Kämp­fe­r*in­nen und gegenseitige Anerkennung bei gleichzeitig harten Kämpfen.

Und welche Rolle spielt Rojava dabei für die Kampfsportlerin Konig? „Es ist super, dass man mit dem, was einem Spaß macht, Einfluss hat und gesellschaftlich und international etwas bewirken kann“, erklärt die rund 30-Jährige. Während ihr der Kampfsport persönlich Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein vermittle, freut sie sich, an einer Veranstaltung beteiligt zu sein, die insbesondere die Frauenrevolution in Rojava unterstützt und über die dortigen Errungenschaften aufkläre und informiere.

Linker Kampfsport und Rojava-Soli

Hinter den Kulissen läuft an diesem Tag alles auf freiwilliger Basis: Vier Menschen bilden das Kernteam, weitere kümmern sich um Einlass, Betreuung der Kämp­fe­r*in­nen oder Sicherheit, erzählt Hannah L. zwischen den Kämpfen. Niemand der Freiwilligen verdient an diesem Abend etwas, alle Einnahmen werden nach Rojava gespendet.

„Thirtysix Fights“ hat sich in den vergangenen Jahren aus der selbstorganisierten linken Kampfsportszene sowie der Kurdistan-Solidarität entwickelt. Man wollte mit dem Abend weg von etablierten Verbandsstrukturen des Kampfsports, hin zu einem Format, das Politik, Community-Arbeit und Sport miteinander verbindet, ergänzt ihr Kollege Baran M.

Dass ausgerechnet Kampfsport die Brücke nach Rojava schlägt, ist kein Zufall. „Die Idee ist aus einer Mischung aus politischer Überzeugung und praktischer Erfahrung entstanden“, sagt der 39-Jährige. Ein Teil des Orgateams ist selbst seit Jahren im Kampfsport aktiv und hatte kleinere Veranstaltungen organisiert – aber meist intern, ohne Öffentlichkeit. „Was alle verbindet, ist die Motivation, mit der Veranstaltung konkrete Solidarität zu organisieren – und dabei eine politische Kampfsportplattform zu schaffen, die über die eigene Bubble hinausstrahlt“, fasst Hannah L. ihr Engagement zusammen.

Mittlerweile haben sie sich etabliert. Bereits zum vierten Mal findet das Event im Berliner Club SO36 statt. Im letzten Jahr kamen knapp 10.000 Euro durch die Veranstaltung zusammen, die damals einem Frauenhaus in Rojava zur Verfügung gestellt werden konnten. Auch dieses Mal könnte eine ähnliche Summe zusammenkommen, die 350 Tickets waren in nur einer Woche ausverkauft.

Doch es geht nicht nur um die Spenden, ergänzt Hannah L. noch zum Schluss. „Neben der finanziellen Unterstützung für die Ari-Klinik möchten wir vor allem die Aufmerksamkeit auf die politische Situation in Nord- und Ostsyrien und die Errungenschaften der Rojava-Revolution lenken“, sagt sie. „Kampfsport und revolutionäre Politik gehören für uns zusammen, uns ist es wichtig, dass es sich um eine explizit politische Veranstaltung handelt.“

Zwischen dem lautstarken Applaus, den alle Kämp­fe­r*in­nen erhalten, schallen immer wieder auch politische Parolen durch den Saal. Das Publikum ruft „Jin, Jiyan, Azadî“. Der kurdische Slogan, der „Frau, Leben, Freiheit“ bedeutet und seinen Ursprung in der kurdischen Frauenbewegung hat, bestimmt den Tag. Diesen Slogan hören auch die beiden Vertreterinnen von WJAS und der „Ari-Klinik“ in Hesekê, die in kurzen Live-Schalten direkt aus Rojava berichten. Die schweißgetränkte Luft, die nach knapp sechs Stunden im SO36 noch schwerer durch den Raum wabert, dürften sie kaum vermisst haben.

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