Kampf um syrische Kurden-Bastion: „Kobane ist dabei zu fallen“
Die Terrormiliz IS steht vor der Einnahme von Kobane. Bei Protesten in der Türkei sterben mehrere Menschen. Auch in Hamburg kommt es zu Ausschreitungen.
KOBANE/ANKARA/HAMBURG dpa/afp | Die Einnahme von Kobane scheint nur noch eine Frage der Zeit. Trotz Luftangriffen der USA und arabischer Verbündeter und massiver Gegenwehr kurdischer Kämpfer rückten die Terrormilizen des Islamischen Staates am Dienstag weiter in die strategisch wichtige Stadt an der Grenze zur Türkei ein. Jenseits der Grenze beobachteten türkische Truppen das Geschehen.
Der UN-Syrienvermittler Staffan de Mistura hat die Weltgemeinschaft zur Hilfe bei der Verteidigung Kobanes gegen den IS aufgerufen. „Wir alle werden es zutiefst bereuen, wenn der IS in der Lage ist, eine Stadt zu übernehmen, die sich selbst mit so viel Tapferkeit verteidigt hat, das aber bald nicht mehr kann. Wir müssen jetzt handeln“, sagte de Mistura laut Mitteilung der Vereinten Nationen in Genf.
Die kurdischen Kämpfer würden sich mit großem Mut selbst verteidigen, jedoch seien die Terroristen weitaus besser ausgerüstet. Die Kurden kämpften mit normalen Waffen, während die IS-Angreifer Panzer und Granatwerfer hätten, argumentiert de Mistura. Zuvor hatte schon UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mehr Hilfe zum Schutz der Zivilbevölkerung erbeten.
„Kobane ist dabei zu fallen“, sagte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vor syrischen Flüchtlingen. Die Luftunterstützung für die kurdischen Verteidiger reiche nicht aus. „Nur durch Luftangriffe können Sie diesem Terror kein Ende setzen“, sagte Erdogan laut der Nachrichtenagentur Anadolu.
Erdogan forderte erneut eine Flugverbotszone in Syrien. Gemäßigte Kämpfer der Opposition müssten gestärkt werden. Diese Forderungen richten sich allerdings kaum gegen den IS, der keine Luftwaffe besitzt, sondern eher gegen die vom IS bekämpfte syrische Regierung von Präsident Baschar al-Assad. Zuvor hatten IS-Kämpfer laut syrischen und kurdischen Aktivisten mindestens drei östliche Stadtteile von Kobane eingenommen. Sollten die Dschihadisten die ganze Stadt erobern, hätten sie einen langen, durchgängigen Grenzstreifen zum Nato-Land Türkei unter Kontrolle.
Mandat für Einsatz gegen IS und PKK
Das türkische Parlament hatte der Regierung in Ankara am Donnerstag das Mandat erteilt, militärisch gegen Terrorgruppen in Syrien und im Irak vorzugehen. Das richtet sich nicht ausdrücklich gegen den IS, sondern auch gegen kurdische Gruppen wie die PKK, die von der Türkei als terroristisch eingestuft werden. Bislang griffen die an der Grenze stationierten türkischen Truppen nicht in die Kämpfe ein.
Der Organisator der Verteidigung von Kobane, Ismet Hassan, sagte, nur wenige Zivilisten seien in Kobane geblieben. Die Kurden hätten mehrere Geländewagen mit aufmontierten Maschinengewehren erbeutet. Nach Angaben der syrischen Menschenrechtsbeobachter wurden seit Beginn der IS-Offensive vor drei Wochen mehr als 400 Menschen getötet.
Kobane ist die letzte Bastion in einer Enklave, die bisher von den kurdischen Volksschutzeinheiten kontrolliert wurde. IS-Dschihadisten haben dort seit September mehr als 300 Dörfer eingenommen, 185.000 Menschen flohen in die Türkei.
Demonstranten getötet
Bei den Kurdenprotesten in der Türkei gegen Ankaras Syrien-Politik hat sich die Opferzahl auf 14 erhöht. Allein in der südöstlichen Großstadt Diyarbakir seien acht Demonstranten getötet worden, berichtete die Zeitung Hürriyet am Mittwoch. In der Kurdenhauptstadt gab es Zusammenstöße mit der Polizei, aber auch mit Anhängern der islamistischen Partei Huda-Par. Ein Vertreter der Sicherheitskräfte bestätigte die Presseberichte zur Opferzahl. Zuvor war von zwölf Toten die Rede gewesen.
Die Demonstranten werfen Ankara vor, dem drohenden Fall Kobanes tatenlos zuzusehen. Die Kurdenpartei HDP hatte deshalb zu den landesweiten Protesten am Dienstag aufgerufen, tausende Menschen folgten dem Appell. In Diyarbakir und anderen kurdischen Städten im Südosten der Türkei wurden Regierungs- und Parteigebäude beschädigt, Fahrzeuge in Brand gesetzt sowie Banken und Geschäfte geplündert.
Mindestens drei Tote wurden aus der Stadt Mardin gemeldet, zwei aus Siirt sowie jeweils einer aus den Städten Batman und Mus. In den kurdischen Provinzen Diyarbakir, Mardin, Siirt und Van wurden Ausgangssperren verhängt. Die Armee wurde erstmals seit Aufhebung des Ausnahmezustands vor zwölf Jahren wieder auf den Straßen eingesetzt.
Die Polizei setzte auch in der Metropole Istanbul und der Hauptstadt Ankara Tränengas und Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein. In Istanbul wurde ein Demonstranten durch einen Schuss in den Kopf schwer verletzt. Mindestens 98 Menschen wurden laut der Nachrichtenagentur Dogan festgenommen. Proteste gab es auch in der Küstenstadt Antalya sowie in Mersin und Adana im Süden des Landes.
Innenminister Efkan Ala forderte die Demonstranten am Abend zum Rückzug auf und warnte vor „unvorhersehbaren Folgen“. Die PKK drohte, sollte Ankara nicht den Fall der Stadt Kobane an die IS-Dschihadisten verhindern, werde sie die seit zwei Jahren laufenden Friedensverhandlungen abbrechen.
Verletzte in Hamburg
Derweil sind bei Zusammenstößen zwischen Kurden und radikalen Muslimen in Hamburg nach Feuerwehrangaben acht Menschen verletzt worden. Sie wurden mit Rettungswagen in umliegende Krankenhäuser gebracht, sagte ein Feuerwehrsprecher am Mittwoch. Etwa 400 Kurden hatten sich nach einer Demonstration gegen die IS-Terrormiliz am Dienstagabend im Stadtteil St. Georg in der Nähe einer Moschee versammelt, wie ein Sprecher der Polizei am Mittwochmorgen sagte.
Dort stellten sich ihnen den Angaben zufolge etwa 400 radikale Muslime entgegen. Dabei handelte es sich nach Erkenntnissen der Polizei vermutlich um Salafisten. Zwischen einzelnen Mitgliedern der beiden Gruppen habe es „gewalttätige körperliche Auseinandersetzungen“ gegeben.
Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, um die Parteien zu trennen. Der Einsatz dauerte bis zum frühen Morgen an. Ein dpa-Fotograf vor Ort berichtete in der Nacht, die Polizei habe die Zufahrtstraßen zu der Moschee komplett abgesperrt. Einsatzwagen blockierten den Sichtkontakt zwischen den Gruppen. Dann habe es Angriffe bewaffneter Salafisten auf Kurden gegeben, die ebenfalls Waffen bei sich trugen. Bei den Waffen handelte es sich demnach um Metallstangen, Macheten und spitzigen Gegenständen aus Eisen. Die Lage sei „ausgesprochen gewalttätig“ gewesen.
Zuvor hatten etwa 500 Kurden in der Hamburger Innenstadt friedlich Solidarität mit den vom IS bedrängten Menschen in Kobane gefordert. Anschließend blockierte aber eine Gruppe von etwa 80 Kurden für etwa eine Stunde bis gegen 18.00 Uhr mehrere Gleise am Hamburger Bahnhof.
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