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Kampf um Fotos von Schanzen-DemoKein guter Tag für die Polizei

Dem Verbot zum Trotz: Netzwerk „Recht auf Stadt“ hält im Schanzenviertel „Talkshow“ gegen Zwangsräumungen ab. Versuchter Polizei-Übergriff auf taz-Fotografen.

Ohne Bühne, aber nicht ohne Erkenntniswert: "Talkshow" zu Zwangsräumungen und deren Verhinderung. Bild: Hendrik Doose

Es war nicht der Tag der Polizei: Einem zuvor ausgesprochenen Verbot zum Trotz hat das Netzwerk „Recht auf Stadt“ am Samstag eine angekündigte „Talkshow“ zum Thema Zwangsräumungen wie geplant auf der Schanzenstraße durchgeführt. Die Polizei erlitt noch eine weitere Niederlage – beim Versuch, dabei entstandene Pressefotos zu beschlagnahmen.

Die Versammlung gegen Zwangsräumung wegen Mietrückstands war von der Polizei nicht genehmigt worden. Dietrich Wunder, Chef der Versammlungsbehörde, hatte vergangene Woche die Auffassung vertreten, das Aufstellen einer Bühne sowie von Stühlen mit der dazugehörigen Beschallung sei in diesem Fall nicht „versammlungsimmanent“. Erlauben wollte er lediglich eine 15-minütige Kundgebung. Daraufhin zogen die Veranstalter ihre Anmeldung zurück – und kündigten an, sie erwarten nun die erste Wahlkampfkundgebung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unter freien Himmel nur mit einem Megaphon.

Dennoch fanden sich 300 Menschen mit Bänken und Klappstühlen auf der Schanzenstraße ein, um über die Vertreibung von Mietern aus ihren Wohnungen zu diskutieren. Mit dabei hatten sie Transparente mit der Aufschift „Zwangsräumungen verhindern“ oder „Stop Eviction“. Auch die eingeladenen Talk-Gäste vom Berliner Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ erschienen – unter ihnen der zwangsräumungserfahrene Ali Gülbol. Bald rückte die Polizei an – in Gestalt einiger eher irritiert wirkender Beamter.

„Obwohl wir Recht haben, haben wir Unrecht bekommen“, erzählte Gülbol. Inzwischen müssten in Berlin bei Zwangsräumungen bis zu 800 Polizisten und Hubschrauber eingesetzt werden. Schuld an den Mietrückständen, die dazu führten, sei das System, in dem der soziale Wohnungsbau eingestellt worden sei und die Job-Center Hartz-IV-Betroffenen die Zahlung der steigenden Mieten verweigerten.

Simone Borgstede aus der Hamburger Hafenstraße verwies auf den erfolgreichen Kampf im spanischen Sevilla, wo Eigentümer von Wohnungen sich gegen die Banken mit der Besetzung ihres Domizils zur Wehr setzen. Auch in Hamburg habe es im vorigen Jahr 1.600 Zwangsräumungen gegeben – nahezu unbemerkt.

Die Kampagne „Mietenwahnsinn stoppen“ versucht nun, dagegen ein Netzwerk aufzubauen. „Wir wollen keine Sozialarbeit, sondern eine politische Arbeit machen“, sagt Sprecher Martin Reiter. Das bedeute nicht, dass man nicht auch Hilfe anbiete.

Gegen 19.30 Uhr, zwei Stunden nach Ende der Talkshow wäre es dann beinahe doch noch zur Eskalation gekommen. Polizisten des Lerchenreviers wollten vom Fotografen Hendrik Doose, für die taz im Einsatz, Fotos beschlagnahmen. Doose hatte Stunden zuvor eine Gruppe Zivilfahnder fotografiert. Vor dem „Dschungel“ in der Schanzenstraße kam zu Rempeleien zwischen Polizisten und herbeigeeilten Personen. Erst als Polizeisprecher Andreas Schöpflin ans taz-Handy zu bekommen war, brachen seine Kollegen ihr Vorgehen ab: Polizisten im Einsatz haben kein Recht am eigenen Bild.

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10 Kommentare

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  • J
    Jurist

    Das Urteil zu den Polizistenfotos: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. März 2012, Aktenzeichen 6 C 12.11; veröffentlicht in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 2012, 2676-2679).

  • A
    anonym43

    @Wurzelkoch

    "Polizisten im Einsatz haben kein Recht am eigenen Bild."

    Wessen Einschätzung ist das?

     

    Such mal auf Udo Vetters lawblog "Polizisten müssen sich fotografieren lassen".

     

    Sämtliche Polizeikäfte im Einsatz können laut Auffassung des BVerfG kein Recht am eigenen Bild reklamieren. Lediglich "Spezialkräfte" (darunter wohl auch Zivilpolizei) können aber auch nur "darauf hinwirken", dass ihre Bilder nicht veröffentlicht werden. Sich fotografieren lassen müssen sie trotzdem - so wie sich das Urteil anhört, auch von Menschen ohne Presseausweis. Dürfte sich auf jeden Fall lohnen, sich das Urteil und Aktenzeichen zu merken

  • W
    Wurzelkoch

    "Polizisten im Einsatz haben kein Recht am eigenen Bild."

    Wessen Einschätzung ist das? Kann man das als belastbare Referenzentscheidung bekommen? Bisher waren mir nur engegenlautende Entscheidungen bekannt.

  • HM
    hanne Miehl

    In der Tat wrüde ich die Fotos auch gerne sehen

  • G
    Gaffer

    Es wäre schön, wenn man die diskutierten Bilder auch sehen könnte.

  • HH
    Hergen Hillen

    Im Prinzip sind sich die Schauplätze sehr ähnlich: Wenn es hart auf hart kommt, wird überall mit derselben Konsequenz gegen Demostranten vorgegangen, egal, ob in Hamburg, Istanbul, Frankfurt, Moskau, Stuttgart oder sonstwo. In Hamburg sind die Demonstrationen ja noch harmlos. Würden die Menschen wie in Istanbul mobilisiert, würde die Hamburger Polizei wahrscheinlich genauso hart gegen die Demonstranten vorgehen. Der Sprachgebrauch wäre vielleicht ein anderer: Hier ist nicht von "Terroristen" und "Gesindel" die Rede, sondern etwas akademischer von "gewaltbereiten Choten" und "Linsradikalen", mit dem letztlich das Gleiche meint ist. Selbst die Ausrüstung der Polizei ist identisch. Wahrscheinlich liefern der Daimler-Konzern seine Wasserwerfer, die Siemens AG die Sicherheitstechnik und Heckler und Koch die Polizeiwaffen in alle Länder

  • F
    FranKee (Pirat)

    Polizeiliche Übergriffe (und illegale Beschlagname) gegen Pressefotografen werden wohl langsam zur Regel?

     

    Vielleicht sollte man sich als Hamburger Pressefotograf generell die Nummer von Andreas Schöpflin ins Handy speichern? Als letzten Strohhalm gegen uhm ...intellektuell ganz unterschiedlich ausgestattete Zivilbeamte... (und ich sage jetzt bewusst nichts über 'das Mentale' von Einsatzhundertschaften aus den neuen Bundesländern, die gerne mal 'fürs Grobe' herbeigekarrt werden...)

     

    Daneben sollte man woll eine mini-SD-Cam in seinem Kameragurt durchgehend laufen lassen wie mir scheint. Zum persönlichen Schutz.

     

    Wer war in Hamburg nochmal gerade an der Macht?

    "Sozial"-"Demokraten", oder verwechsel ich da was?

  • A
    Altonaerin

    Seit wann, heißt der Leiter der Versammlungsbehörde

    Dietrich?

     

    Artur....von König Artur.

     

    Und der König bestimmt.

     

    Aber nur vielleicht.

  • ML
    Michael Landfried

    Ich habe keine Hoffnung auf Einsicht durch die Verbrecherdiktatur in der Türkei!

    Und in Deutschland: gibt es niemanden in der Politik, der hier die Demokratie verteidigt, die u.a. durch unsere uniformierten Terroristen der Bereitschaftpolizeien der Länder gefährdet wird. (Stuttgart 21, 1.Mai-Krawalle-Berlin und Schanzenfest-Hamburg, wo in beiden Städten, wo tagsüber schon mal Kampftruppen von den kriegslüsternen und herrschsüchtigen Polizeioffizieren der Bereitschaftpolizei durch die Massen zum Rempeln und Aufstacheln losgeschickt wurden und abends dann fallen die Provokationen ausgiebieger aus, wie belegt durch anwesende Senatsmitglieder, sonstige Zeugen und Reporter belegt, bzw. in Berlin durch ein Polizeivideo das der Tagesschau "peinlicherweise" damals zugespielt wurde) hat irgendjemand "aus den Regierungen" diese Schlägerbanden unter Kontrolle? NEIN!!!

    Weder die Staatsgewalt ist unter demokratischer Kontrolle, noch die Bundes- und Landes-Regierungen sind es: sie lassen sich durch die Mafiöse, schwerstkriminelle und asoziale Großwirtschaft der deutschen DAX-Unternehmen (Banken, Versicherungen, Großkonzerne) als Mrionetten führen und dazu werden die Geheimverträge genutzt, die die Parlamentsabgeordneten nur unter schwersten Bedingungen einsehen dürfen. Die Abgeordneten werden dann ausgenutzt zum nachträglichen Abstimmen über die ihnen unbekannten Verträge.

    DAS WAR´S MIT UNSERER DEMOKRATIE!!!

    Ob sich da auch nur ein Politiker für schämt, was hier abläuft?

    Oder einer der Gesellschafter und Aktionäre der Groß-Wirtschaft?

    Nichts gegen Anzug und Krawatte, hab ich auch, aber wenn mir so Jemand begegnet, löst das bei mir unendliches Fremdschämen aus!!!

  • T
    Tarzan

    ... und der Dschungel muss nach fast einem Vierteljahrhundert auch raus, da weitaus mehr als das Doppelte für das "neue Ladengeschäft" verlangt werden kann. Auch eine Art Zwangsräumung.