Kampf gegen ein rätselhaftes Geräusch: Das Brummen von der Elbe
In Hamburgs Elbvororten brummt es. Jedenfalls glauben das einige Anwohner. Anne Krischok hat sich an die Spitze der Bewegung gegen den Brummton gesetzt. Und findet keine Ruhe.
HAMBURG taz | Irgendwann im Leben eines Politikers, da packt einen ein Thema und lässt nicht mehr los. Bei Edmund Stoiber war es der Transrapid, jene Magnetschwebebahn zwischen dem Hauptbahnhof in der Münchner Innenstadt und dem Flughafen "Franz Josef Strauß", die nie gebaut wurde. Oder nehmen wir die ostfriesische Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann von der CDU. Die kämpft seit Jahren gegen Schönheitsoperationen bei Teenagern. Dabei ist sie eigentlich Kulturpolitikerin.
Insofern ist das Thema, das die Hamburger SPD-Politikerin Anne Krischok gepackt hat, vielleicht gar nicht so merkwürdig, wie es klingt. Krischoks Thema ist das Brummen.
Es gibt nicht viele Hamburger, die den ominösen Brummton hören können, vielleicht zwei, drei Dutzend. Sie wohnen vor allem im Westen der Hansestadt, in noblen Elbvororten wie Blankenese, Rissen oder Iserbrook. Das ist der Wahlkreis der Bürgerschaftsabgeordneten Anne Krischok, 54.
Krischok findet, sie ist es den Wählern schuldig, der Quelle des Brummens nachzugehen. Aber das ist es nicht allein. Sie kann den Brummton in ihrer Wohnung nämlich auch selbst hören. Im Sommer ist es ihr aufgefallen, als sie nachts mal wieder am Rechner saß und an ihrer Homepage bastelte. Ein Brummen wie das Geräusch von einem Aggregat, sagt sie. Nicht sehr angenehm.
Krischok klickt sich durchs Internet. Sie liest von Brummtonbeschwerden in Taos, New Mexico, im Jahr 1989. Und in Stuttgart um die Jahrtausendwende. Sie erfährt von einer Interessengemeinschaft zur Aufklärung des Brummtons. Das Thema lässt sie nicht mehr los. Auch wenn Kollegen sie jetzt regelmäßig hochnehmen und spotten: "Das ist doch bestimmt nur dein Freund, der da bei dir brummt."
Fünf kleine Anfragen wegen des Brummtons hat Krischok inzwischen an den Hamburger Senat geschickt. Die Antworten sind kompliziert, viel ist dort die Rede von Pegeldifferenzen, Hertz- und Terzwerten. Aber im Prinzip sagt der Senat: Es ist nichts - zumindest nichts oberhalb der gesetzlichen Grenzen. Eine Antwort, mit der sich Krischok nicht abfinden will. "Das ist Wischiwaschi", sagt sie.
Lästiger Lärm: Für die Deutschen ist Lärm eine der am stärksten empfundenen Umweltbeeinträchtigungen. Das geht aus einer Umfrage des Umweltbundesamts hervor. 59 Prozent der Befragten fühlen sich vom Lärm des Straßenverkehrs gestört, 12 Prozent sogar "äußerst" oder "stark". Fast jeder Dritte fühlt sich von Fluglärm belästigt, knapp die Hälfte stören die Geräusche der Nachbarn.
Tiefe Töne: Von einem tieffrequenten Geräusch, im Volksmund: Brummton, spricht man von einem Geräusch unterhalb einer Frequenz von 90 Hertz. Betroffene klagen oft über ein Dröhn- oder Druckgefühl im Kopf. Bei Frequenzen unter 20 Hertz spricht man auch von Infraschall.
Unklare Ursache: In Baden-Württemberg gab es vor neun Jahren rund 300 Beschwerden über einen angeblichen Brummton. Eine mehrmonatige Untersuchung des Landesamts für Umweltschutz konnte jedoch keine Erklärung oder gar eine gemeinsame Ursache des Phänomens ausmachen. WOS
Krischok sitzt in ihrem roten Fiat 500 und fährt in Richtung Stadtgrenze. HH-AK steht auf dem Nummernschild. AK wie Anne Krischok.
Krischok hält an einem Zaun vor einer Wiese und steigt aus. Ein langer schwarzer Mantel schützt sie vor dem nasskalten Wetter, die rotbraunen Haare flattern im Wind. Es ist schon dunkel an diesem Mittwochabend. Hinter der Wiese sieht man die Lichter an den beiden 150 Meter hohen Schornsteinen leuchten. Sie gehören zum Heizkraftwerk Wedel, das direkt an der Elbe liegt. Betreiber ist der Energieriese Vattenfall.
Das Kraftwerk ist nur eine von vielen Anlagen, die verdächtigt werden, das Brummen zu verursachen. Anne Krischok und die anderen Brummtonbetroffenen hatten auch schon den Teilchenbeschleuniger "Petra III" im Visier. Außerdem Mobilfunknetze, einen Saugbagger auf der Elbe und die Airbus-Werkshallen. Eine Radaranlage auf dem Gelände der Führungsakademie der Bundeswehr kann aber inzwischen ausgeschlossen werden. Es gibt dort nämlich gar keine Radaranlage.
"Ich stochere im Moment noch im Nebel", sagt Krischok. Neulich kam eine Frau nach der Bürgersprechstunde zu ihr. Sie vermutete, dass die CIA oder Außerirdische hinter dem Brummen stecken könnten. Das war Krischok dann doch zu abgedreht.
Seit Anne Krischok die Bürger dazu aufruft, sich wegen des Brummtons zu melden, hat Martina Teßloff jede Menge zu tun. Die Diplomingenieurin ist Lärmschutzexpertin beim zuständigen Bezirksamt Altona. Normalerweise muss Teßloff feststellen, ob Diskotheken oder Industrieanlagen zu laut sind. Jetzt muss sie dem Brummen nachgehen.
Rund zwanzig neue Beschwerden wegen eines angeblichen Brummtons waren es in den vergangenen Wochen, kurz davor hatte die Lokalpresse über das Geräusch berichtet. Teßloff muss dann ihren großen schwarzen Rucksack mit den Messinstrumenten packen und rausfahren. Vor wenigen Tagen erst war sie um drei Uhr nachts bei einem angeblichen Brummtonbetroffenen. Denn erst wenn die Stadt ruhig wird, nehmen viele Leute die Geräusche in ihren Wohnungen wahr.
Teßloff sitzt im fünften Stock des Technischen Rathauses in Altona, eines Verwaltungsbaus mit Granitfassade in der Nähe des Bahnhofs. Sie trägt einen Hosenanzug und einen weißen Rollkragenpullover. Auf dem Konferenztisch vor ihr liegt ein Schallpegelmessgerät Bruel & Kjær Type 2250. Es sieht aus wie eine schwarze Plastikflasche mit Display und einem großen Mikrofonmöppel obendrauf.
Man ahnt es schon: Es gibt tatsächlich Vorschriften in Deutschland, die besagen, was ein Brummton ist und wie er festzustellen ist. Das ist zum einen die "Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm". Und zum anderen die DIN 45680 zur "Messung und Bewertung tieffrequenter Geräuschimmissionen in der Nachbarschaft". Daran halten sich die Behörden. Daran hält sich Teßloff.
Teßloff zeigt auf eine Karte, auf der die Häuser der Beschwerdeführer eingezeichnet sind, wie das im Behördendeutsch heißt. Sie zeigt auf einen der blauen Punkte. Dort konnte sie ein Geräusch messen. Aber es war kein Brummton. Es war das Geräusch der Heizung. Sie zeigt auf einen zweiten Punkt, ganz in der Nähe des Vattenfall-Kraftwerks. Auch dort konnte sie ein Geräusch messen. Aber das lag unterhalb der Grenzwerte. Und es war auch kein Brummton.
"Es gibt keinen Brummton im Hamburger Westen", sagt Teßloff. Fachamtsleiter Jürgen Langbehn, der auf dem Stuhl neben ihr sitzt, drückt es etwas diplomatischer aus: "Zumindest haben wir ihn messtechnisch noch nicht nachweisen können."
Anne Krischoks roter Fiat hält vor einem weißen Doppelhaus im Stadtteil Rissen. Dort wohnt der Softwareentwickler Schweitzer, 40. Durch die Panoramafenster sieht man ihn schon von draußen auf dem braunen Ledersofa im Wohnzimmer sitzen. Er trägt ein schwarzes Hemd, Sakko, Jeans und Sneaker, als er die Haustür öffnet.
Schweitzer ist der Mann, der sich am hartnäckigsten über den Brummton beklagt. Fast eine Million Euro habe sein Haus gekostet, sagt er. Jetzt überlegt er sich, ob er nach nur zwei Jahren wieder auszuziehen soll. Ein Kätzchen kratzt an der Tür. Schweitzer lässt es herein und füttert es mit Garnelen.
"Hören Sie es gerade?", fragt Krischok ihn. "Nein, im Moment ist nix", sagt Schweitzer. Er hat das Geräusch aber per Computer simuliert. Schweitzer drückt auf eine Fernbedienung. Plötzlich brummt es aus den Lautsprechern seiner Dolby-Surround-Anlage. Wummawummawumma. Es klingt ein bisschen wie die Rückkoppelung, die eine Bassgitarre erzeugt, wenn man sie an die Lautsprecherbox hält.
Krischok sitzt auf dem Sofa neben Schweitzer. Klingt das Brummen bei ihr zu Hause auch so? "Ja, irgendwie so", sagt sie. "Vielleicht ein bisschen pumpender." Achtundvierzig Stunden könne er manchmal am Stück nicht schlafen, sagt Schweitzer. Er hat Papiere vom Umweltbundesamt auf dem Tisch vor sich liegen. Dort steht etwas von möglichem Ohrendruck, Kopfdröhnen und Angstgefühlen bei tieffrequentem Schall. Es klingt bedrohlich.
Die Sache ist nur die: Die Behörden haben bei Schweitzer schon gemessen. Einmal haben sie ihm sogar ein Gerät dagelassen. Schweitzer sollte immer dann auf einen Knopf drücken, wenn er das Brummen hört. Das Ergebnis: Alles unterhalb der gesetzlichen Grenzen.
Die messen falsch, sagt Schweitzer.
Wir messen nicht falsch, sagt Lärmexpertin Teßloff vom Bezirksamt Altona.
Es ist so, wie es oft ist, wenn Bürger und Behörden streiten. Die Fronten sind verhärtet, die Wahrheit ist schwer zu ermitteln.
Vielleicht gibt es im Hamburger Westen tatsächlich ein tieffrequentes Brummen, dessen Ursache nur noch nicht gefunden wurde. Vielleicht ist es aber auch wie in Franz Kafkas Prosaskizze "Großer Lärm". Dort glaubt der geräuschempfindliche Ich-Erzähler im "Hauptquartier des Lärms" zu sitzen. Er empfindet auch noch das kleinste Knistern als quälenden Krach.
Auf dem Weg nach Blankenese fährt Anne Krischok an Villen und Landhäusern vorbei. Ein letztes Mal an diesem Abend stoppt sie das Auto. Vor einem Hochspannungsmast hält sie an und lässt das Fenster herunter.
Die Leitungen hatte sie auch schon im Verdacht. Sie können es aber nicht sein, sagt sie nun. Hochspannungsleitungen brummen nicht. Sie surren. Und das nur bei Regen oder Schnee.
"Was mein Ziel ist? Ich will, dass die Verwaltung diesen Ton ausfindig macht und abstellt."
Anne Krischok hat ihr Thema gefunden.
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