Kampf gegen den Verfall: Die Hertie-Ruinen
Vor zwei Jahre schlossen die Hertie-Häuser in der ganze Republik. Die sieben in Schleswig-Holstein stehen seitdem leer, doch die Bürgermeister wollen sich wehren
RENDSBURG taz| Die Menschen, die in dem kleinen Bereich gleich rechts neben dem Haupteingang gearbeitet haben, haben ihren Kunden das Verschwinden aus dem Alltag verkauft. Und jetzt sind sie selbst nicht mehr da, verschwunden aus dem Alltag der Menschen. Eine Tastatur und ein Telefon stehen auf dem Tisch in dem alten Reisebüro des ehemaligen Hertie-Kaufhauses in der Rendsburger Innenstadt. Die Verkaufsräume des Warenhauses sind vermutlich leer, doch so genau sieht man das nicht, an den vielen Fenster hängen Aufkleber, hinter den anderen stehen Sichtblenden.
Vor rund zwei Jahren schlossen die letzten Hertie-Häuser in Deutschland. Durch die Insolvenz der Warenhauskette mussten insgesamt 74 Filialen schließen, 18 davon in Norddeutschland. Keines der sieben Häuser in Schleswig-Holstein ist verkauft. Fast alle stehen leer.
In Rendsburg war die zentrale Marienkirche für viele der Einfachheit halber "die Kirche bei Karstadt" oder eben später "bei Hertie". Nun ist das Gebäude an ein paar Ecken besprüht, der Bereich vor dem Haupteingang wurde schon lange nicht mehr gereinigt.
Schleswig-Holstein: Unverkauft: Elmshorn, Husum, Itzehoe, Mölln, Niebüll, Rendsburg, Schleswig
Niedersachsen: Unverkauft: Cuxhaven, Delmenhorst, Stade, Peine, Wilhelmshaven. Verkauft: Hameln, Laatzen, Wolfenbüttel
Hamburg: Unverkauft: Barmbek. Verkauft: Bramfeld, Langenhorn
Das ärgert Kommunalpolitiker und Geschäftsinhaber: Ungepflegter Leerstand ist ein Problem für ihre Innenstädte, zumal in Rendsburg einige weitere Ladenlokale leer stehen.
Die sieben Bürgermeister der Ex-Hertie-Städte haben sich zusammen geschlossen, ihr Sprecher ist der Rendsburger Verwaltungschef Andreas Breitner (SPD). Das Haus in seiner Stadt verstrahle einen "morbiden Charme" sagt er. Aus Breitners Sicht stehen die alten Herties in Schleswig-Holstein vor dem Verfall, viele seien in einem "schlimmen Zustand".
Darüber würden sie gerne mit den Eigentümern reden, doch das ist gar nicht so einfach: Der britische Investor Dawnay Day, der sowohl Anteile am Hertie-Unternehmen als auch viele Häuser erworben hat, ist selbst im Insolvenzverfahren. Er hat für jedes Hertie-Haus eine eigenen niederländische Gesellschaft gegründet, das Haus in Rendsburg gehört der HIDD Rendsburg B.V. mit Sitz in S-Hertogenbosch, etwa vergleichbar mit einer deutschen GmbH. Es sind Briefkastenfirmen mit Postfach. Die Stadtverwaltungen haben keinen Dialog hinbekommen, sagt Breitner. Nun haben sie einen Anwalt eingeschaltet, der nach Möglichkeiten sucht, die Besitzer zur Pflege ihrer Gebäude zu zwingen.
"Wir merken den Wegfall von Hertie sehr deutlich", sagt der Rendsburger Optiker Volker Nitzsche, der im Vorstand des Standort-Vereins RD Marketing sitzt. Seit der Hertie-Pleite seien die Umsätze in der Innenstadt zurückgegangen.
Optisch waren die Warenhäuser noch nie ein Grund zu übermäßigem Stolz: Keine niedlichen Kleinstadtkaufhäuser, sondern Betonklötze. Aber leer sehen sie noch schlechter aus. In Husum hat ein Händler die Initiative ergriffen: Bis das Haus verkauft ist, hat er das Erdgeschoss gemietet und dort ein kleines Kaufhaus eingerichtet. In Rendsburg und Schleswig hat das keiner nachgemacht.
Der Verkauf der Hertie-Häuser läuft so schleppend, "weil für jedes Haus eine einzelne Lösung gefunden werden muss", sagt Christoph Meyer vom Makler BNP Paribas Real Estate. Meyer betreut mit vier Mitarbeitern 64 ehemalige Hertie-Standorte. Investoren und Projektentwickler müssten mit Architekten, Juristen und Financiers Ideen entwickeln, sagt Meyer - und den Preis bezahlen wollen, den die Gläubiger der britischen Investorengruppe fordern.
27 Häuser hat Meyer schon verkauft - darunter viele Großstadt-Lagen. Doch in Schleswig-Holstein kam es bisher nicht zum Zuschlag. "Ich habe große Hoffnung, dass wir diesen Monat zum Notar gehen mit einem Interessenten für das Haus in Elmshorn", sagt Meyer. Doch noch auf dem Weg dorthin, gibt er zu, seien schon potentielle Käufer abgesprungen.
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