Kampf gegen Klimakrise in der Sackgasse : 2023? Ein Riesenscheiß
Wenn wir, fixiert auf unerreichbare Gradziele, so weiterschlurfen, werden die Folgen der Erderhitzung vielerorts nicht zu managen sein. Wir brauchen einen Denk- und Strategiewechsel. Jetzt.
taz FUTURZWEI | 2023 ist ein schlechtes Jahr für Zukunftspolitik geworden, ein „Riesenscheiß“, wie ein ziemlich bekannter Politiker mir sagte, politisch und gesellschaftlich. Angriffskrieg gegen Europa, Terrorkrieg gegen Israel, die Krisen kumulieren sich. Obwohl der deutschen Alltag einem meist normal zu sein scheint, ist nichts mehr, wie es war. Nicht nur in Deutschland haben Retroparteien und Rechtspopulisten mit Polemik gegen Menschenschutz (früher sagte man fälschlich „Klimaschutz“) Stimmen und Wahlen gewonnen. Sogar in den bisher so progressiven Niederlanden.
Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlt nun der Bundesregierung erstmal auch noch das Geld, mit dem die Kommunen die Wärmewende und anderes voranbringen wollten und mit dem eine postfossile Wirtschaft gefördert werden sollte. Nicht gut. Aber die noch schlechtere Nachricht lautet: Wir sollten uns darauf einstellen, dass es erst einmal nicht besser wird. Auf jeden Fall nicht von selbst. Bei und mit der EU-Wahl 2024 werden Rechtspopulisten und ungemäßigte Konservative versuchen, Ursula von der Leyens Green Deal abzuwürgen. Das – und nicht, wieviel Prozent die AfD bei Ostlandtagswahlen gewinnt – ist die zentrale Wahlfrage des Jahres. Die EU war bisher vor allem in der Gesetzgebung noch ein Anker für die Mitgliedsstaaten, die ansonsten in alle Richtungen treiben würden.
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Die Weltklimakonferenz COP28 ist wichtig, weil sie der Ort ist, an dem eine nicht existierende Weltgesellschaft zumindest eine Ahnung davon bekommt, wie globale Politik und internationale Verrechtlichung aussehen müsste, um die Erderwärmung mit ihren katastrophalen Folgen einigermaßen einzudämmen. Und gleichzeitig gibt es einen Eindruck, wie unterschiedlich die Interessen und Zukunftsvorstellungen sind – der Chinesen, der Inder, der Russen, aller Öl- und Gasvorrätebesitzer, der Länder mit wirtschaftlichem Nachholungsbedarf, aber auch des Westens und selbst der Europäer untereinander. Diese Konferenz kann etwas potentiell Hilfreiches beschließen – aber es gibt eben niemanden, der mit aller Macht dafür sorgen könnte, dass die Beschlüsse in den einzelnen Ländern auch umgesetzt werden. Das ist andererseits auch gut, denn als sozialökologischer Liberaldemokrat kann man keine autoritäre Zentralweltregierung wollen.
Überhaupt sitzen die Verlierer der postfossilen Transformation am Tisch, und auch sie müssen zustimmen. Soviel zu den jedesmal aufs Neue überzogenen Erwartungen.
Das Pariser Abkommen kann nicht eingehalten werden
Das Pariser Abkommen (möglichst 1,5 Grad, auf keinen Fall mehr als 2) wird zwar in jeder Politikpredigt beschworen, aber kaum einer tut etwas oder genug dafür. Das betrifft nicht nur die bösen anderen, wir Deutsche und Europäer kriegen es ja auch nicht annähernd hin. Als Biden und Xi sich dieses Jahr trafen, versicherten beide, das gehe schon klar mit dem Paris-Abkommen. Aber wie genau? Kein Wort dazu. Die nationalen Fahrpläne passen in jedem Fall nicht dazu. Der Ausbau der Erneuerbaren in China kommt offenbar sehr voran, doch auch in Dubai wird man kein Abkommen zum sofortigen Ende des Neubaus von Kohlekraftwerken schließen können. Nur mal als Beispiel. Der Inflation Reduction Act ist immerhin die Konkretion, die den USA vorher völlig fehlte und wird die US-amerikanischen Emissionen stark senken, aber nicht von heute auf morgen.
So haben zwar viele Länder Ausstiegsjahre benannt (2045, 2050, 2060), aber es gibt in fast keinem Land einen Plan, damit das verlässlich klappen könnte. Die EU-Mitgliedstaaten haben mit dem Emissionshandel und dem sogenannten Effort-Sharing die Leitlinien sogar in einem Climate Law aufgeschrieben, auf der nationalen Ebene ist allerdings – wie das deutsche Beispiel zeigt – kein Verlass auf eine konsistente Umsetzung. Bekanntlich werden die notwendigen postfossilen Weiterentwicklungen nicht konsequent vorangetrieben, etwa bei Mobilität und Gebäudeenergie. Beim Gebäude-Energie-Gesetz wurde es erstmals halbernst, worauf die Gesellschaft aus verschiedenen Gründen hysterisch wurde. Statt sich klarzumachen, dass es um die Beschleunigung einer technischen Innovation geht, wurde ausgerechnet von den Technologie-Hurraparteien Union und FDP der Kulturkampf der AfD in die demokratische Gesellschaft getragen.
Selbst wenn die Emissionen in allen drei entscheidenden Weltmächten China, USA, EU sänken: Der Klimawissenschaftler Anders Levermann weist in der neuen Ausgabe von taz FUTURZWEI (erschienen am 12. Dezember 2023) nochmal darauf hin, dass selbst weitgehende Reduktionen die Erhitzung nicht stoppen. Die Null muss stehen! Nur das totale Ende fossiler Verbrennung führt zu einem Stopp des Erwärmungsprozesses. Weshalb ja längst in allen Szenarien eingepreist ist, dass CO2 der Atmosphäre wieder entzogen werden wird. Der Aufbau von CO2-Senken und vor allem die CCS-Technik ist allerdings sehr, sehr teuer und das Werben für ihren Einsatz führt und dient eben auch dazu, dass weiter fossile Energie verbrannt werden kann, die Erneuerbaren nicht entschlossen genug ausgebaut und auch Einsparungs-Techniken nicht in größtmöglichem Umfang vorangebracht werden.
taz FUTURZWEI N°27: Verbrauchte Ziele
Das 1,5 Grad-Ziel ist verloren, das 2 Grad-Ziel wohl auch. Braucht es einen Strategiewechsel und wie sieht der aus?
Wir machen Ernst IV, Schwerpunkt: Klimaziele
Mit Lea Bonasera, Kirsten Fehrs, Dana Giesecke, Jonathan Franzen, Anders Levermann, Wolf Lotter, Belit Onay, Katja Riemann – und natürlich Harald Welzer.
Alles wird ganz schnell viel schlechter werden
Irgendwann wird jedenfalls das Beschwören der Paris-Ziele und dem damit verbundenen weitgehenden Erhalt der bisherigen Lebensgrundlagen zu magischem Denken. 2023 betrug der Temperaturanstieg gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter 1,4 Grad. Das alles weist darauf hin, dass ein Stopp bei 1,5 Grad vollkommen illusorisch ist. Und 1,5 Grad bedeutet eben nicht, dass alles gut ist, es bedeutet, dass die Veränderungen nur in einigen Teilen der Erde katastrophale Folgen haben und in den meisten Gegenden einigermaßen managebar und erträglich ablaufen könnten.
Deshalb ist es höchste Zeit, finden wir von taz FUTURZWEI, unseren Focus nicht mehr auf ein abstraktes Grad-Ziel zu reduzieren, das erstens illusionär ist, da wir zweitens dafür zu wenig tun, und das drittens bequem ist, weil wir dann auch sonst nichts tun und denken müssen. Oder wie Jonathan Franzen es in der neuen taz-FUTIRZWEI-Ausgabe „Verbrauchte Ziele“ formuliert: „Können wir mal aufhören, so zu tun, also ob die Dinge wie durch ein Wunder besser werden und zugeben, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die Dinge ganz schnell viel schlechter werden?“ Das bedeutet nicht, gar nichts mehr zu tun, sondern künftig differenzierter zu denken und in verschiedenen Bereichen zu handeln.
Erstens: volle Konzentration auf den kompletten Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien. Wir werden nicht alle Ungerechtigkeiten der Welt lösen können – wir müssen Nullemissionen hinkriegen, damit wir überhaupt eine planetarische Basis für Gerechtigkeitsausbau haben.
Zweitens: mit der Anpassung an die sich verändernde Welt Ernst machen und zwar konkret und lokal.
Ein Ende des Selbstbetrugs
Was heißt das? Der Schriftsteller Franzen lebt in einem kalifornischen Collegetown, das unlängst von einem klimawandelbedingt besonders desaströsen Feuer getroffen wurde. Daraufhin kam der Gouverneur, erzählt Franzen, und sagte, jetzt sehe man, wie schlimm der Klimawandel werde und deshalb würden in Kalifornien bis 2035 nur noch Elektroautos fahren. Das ist tatsächlich zentral, was den Weg zu Nullemissionen angeht. Aber es hilft halt überhaupt nichts gegen das kommende nächste Feuer, das dann vielleicht noch mehr als 1.500 Gebäude und 97 Prozent der Bäume eines nahgelegenen Stateparks niederbrennt, wie es das letzte tat.
Es braucht also drei Dinge: Das Ende des gesellschaftlichen und politischen Selbstbetrugs, das werde schon irgendwie werden und wir konzentrieren uns auf unser business as usual. Stattdessen die volle Konzentration auf Nullemissionen, um noch einigermaßen den 2-Komma-Bereich und damit Zukunft zu schaffen. Und als Drittes die Beschäftigung damit, was wir JETZT und HIER brauchen, damit, nur mal als Beispiel, in der Sommerhitze in Großstädten alle Leute rausgehen und überleben können.
Und noch etwas: Das Jahr war nicht nur politisch desaströs, sondern auch zivilgesellschaftlich. Während Fridays for Future einen echten Fortschritt des gesellschaftspolitischen Druckmittels Protest markieren, indem sie alle möglichen Milieus für die Sache mobilisierten, hat die Letzte Generation mit ihrem Apokalypse-Gestus, ihren klimareligiösen Schuld-Zuweisungen an die Gesellschaft und ihren Demokratie-kann-das-nicht-Tiraden diese Entwicklung radikal zurückgeworfen. Gut für uns Medien, da gab es ordentlich was zu berichten. Schlecht für die Sache.
Es wird Verlierer geben
Es braucht daher künftig wohl noch eine weitere Erkenntnis und den Abschied von einer weiteren Illusion von unsereins: Eine ordentliche Zukunft wird nicht durch Protest und schon gar nicht durch Klimakleber kommen. Auch nicht durch einen „Kulturkampf“, wie Luisa Neubauer gerade in der taz sagte. Und übrigens, falls das ernsthaft jemand denken sollte. auch nicht durch autoritäre Staatswirtschaft. Hermann Scheer, der größte Sozialdemokrat nach 1974, hat das schon vor Jahrzehnten gesagt: Der vollständige Wechsel von fossilen zu erneuerbaren Energien kommt nicht durch politische und schon gar nicht durch globalpolitische Beschlüsse zustande, weil die kommenden Verlierer ja mit am Verhandlungstisch sitzen und daran nun überhaupt keine Interese haben. Es braucht Technologien, Business-Modelle und gesellschaftliche Routinen, die sich auf den Märkten und in sehr unterschiedlichen Gesellschaften weltweit durchsetzen.
Da wird es Verlierer geben, richtige Verlierer, so wie die Schreibmaschine gegen den PC verloren hat, Tonträger gegen Spotify, gedruckte Zeitungen gegen Smartphones. Und es wird gesellschaftliche Härten geben, die auch konsequent mit Blick auf die Schwächeren abgefedert werden müssen. Die Aufgabe der Politik besteht darin, den Markt und die Sozialsysteme so zu designen, dass die fossilen Energien und jede Art von Energieverschwendung entschlossen zurückgedrängt werden.
Und unsere erste Aufgabe als Mensch 2024 ist es, so es in unseren Möglichkeiten steht, Solarpanele auf dem Dach zu installieren oder wegen mir auch auf dem Balkon. Hauptsache jetzt.
Wir machen Ernst.
Lesen Sie weiter: Die neue Ausgabe von taz FUTURZWEI „Verbrauchte Ziele“ nimmt Abschied vom Erreichen des Pariser Klimabkommens und stellt die Frage nach einem Strategiewechsel, der Städte, Gemeinden, Infrastrukturen katastrophenresilient macht. Jetzt abonnieren.