Kampf gegen Gentrifizierung: Groko soll Mieter schützen
Ein parteiübergreifendes Bündnis aus Mieterbewegung und Stadträten fordert von der künftigen Bundesregierung Maßnahmen gegen Verdrängung.

Eigenbedarfskündigungen wie die von Sebastian stehen oft am Ende eines Verwertungsprozesses, der mit der Aufteilung von Mietshäusern in einzelne Eigentumswohnungen beginnt. Ende des Jahres läuft das 2021 auf Bundesebene erlassene Umwandlungsverbot aus. Das Bündnis „Wohnungsnot stoppen“, das bislang aus Berliner Baustadträten und mehreren Mietervereinen besteht, fordert von der künftigen Bundesregierung umfassende Maßnahmen für den Mieterschutz.
Die Umwandlung von Mietshäusern und Eigenbedarfskündigungen hängen dabei eng zusammen, erklärt der Pankower Baustadtrat Cornelius Bechtler (Grüne): „Es ist Geschäftsmodell der Immobilienkonzerne.“ Einzelne Wohnungen bringen zusammen mehr Ertrag als ganze Häuser. Sobald der Kauf vollzogen ist, kann die neue Eigentümerin den Wert noch einmal steigern, in dem sie die bisherigen Mieter:innen per Eigenbedarfskündigung rauswirft.
Dafür reicht meist eine kurze Begründung, zum Beispiel, dass ein Neffe der Eigentümerin die Wohnung benötigt. Doch statt des Verwandten ziehen nach Rauswurf der Altmieter:innen in den meisten Fällen gänzlich andere Personen ein. „Eigenbedarf wird oft vorgetäuscht, um bei Neuvermietung höhere Miete zu kassieren“, sagt Bechtler.
Dunkelziffer unbekannt
„Berlinweit sind vermutlich mehr als 10.000 Haushalte pro Jahr betroffen“, schätzt Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Eine genaue Zahl gebe es nicht, weil es aufgrund der schlechten Erfolgsaussichten oft nicht zu einer Verhandlung kommt. „Viele nehmen die Eigenbedarfskündigung hin oder nehmen eine Entschädigung des Vermieters an“, sagt Bartels.
Von der Umwandlung bis zur Verdrängung dauert es oft Jahre. Die Eigenbedarfskündigungen von heute sind das Ergebnis der Umwandlungen der letzten Jahrzehnte. Ein Auslaufen des 2021 von CDU und SPD beschlossenen Umwandlungsverbots könnte die Eigenbedarfskündigungen in den nächsten Jahren deutlich erhöhen.
Der Paragraf im Baugesetzbuch ermöglicht es den Ländern, die Aufteilung von Mehrfamilienhäusern genehmigungspflichtig zu machen. Berlin, Hamburg und München wandten die Verordnung an, die Zahl der Umwandlungen ging deutlich zurück.
Das im Januar gegründete Bündnis fordert daher neben der Verlängerung des Umwandlungsverbots auch eine deutliche Verschärfung der Voraussetzungen für Eigenbedarfskündigungen. Außerdem soll das kommunale Vorkaufsrecht wieder funktionsfähig gemacht werden.
CDU auch mit im Boot
Beteiligt am Bündnis sind auch Parteimitglieder der zukünftigen Koalitionäre, wie Berlin-Mittes SPD-Baustadtrat Ephraim Gothe und sein Amtskollege von Charlottenburg-Wilmersdorf, Christoph Brzezinski (CDU). Letzterer plädiert dafür, parteipolitische Differenzen zu überwinden. „Wir haben eine dramatische Wohnungslage“, sagt er.
In den kommenden Monaten plant das Bündnis zu expandieren. „Wir wollen in die Kieze reingehen“, sagt Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne). Bislang seien Eigenbedarfskündigungen ein sehr individualisiertes Thema, mit dem sich betroffene alleine fühlen. Initiativen wie Pankow gegen Verdrängung sind da ein gutes Beispiel für Vernetzungen.
Auch die Vernetzung mit anderen Städten läuft bereits an. Mit dabei sind bereits Dependenzen des Mietervereins aus Hamburg und München, etliche Kommunalpolitiker:innen hätten bereits Interesse angemeldet. „In Berlin ist die Lage sehr dramatisch, in anderen Städten aber auch“, sagt Baustadtrat Schmidt.
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