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Kampf der Minderheiten in LibyenDer Krieg ist nicht vorbei

Toubou, Tuareg, Berber: Nur wenige Libyer wissen etwas über die Minderheiten in ihrem Land. Sie kämpfen nach dem Sturz von Gaddafi um Einfluss im Staat.

Sie wollen mehr Einfluss: Ein Kämpfer der islamistischen „Derra-Libya"-Brigade in Zuwara. Bild: Mirco Keilberth

LIBYEN taz | Die einzige Straße in die Kufra-Oase führt über eine tausend Kilometer lange öde Straße von der Küstenstadt Adschdabiya durch das riesige Sandmeer der Sahara. Auf dem wie neu aussehenden Asphalt haben Panzerketten ihre Abrücke hinterlassen. Vor und nach jeder Siedlung markieren Checkpoints die Herrschaftsgebiete der lokalen Milizen hier in Libyen. Es ist das neue Libyen, knapp ein Jahr nach dem Sturz des Diktators Muammar Gaddafi.

Die Revolutionäre wirken in ihren gebügelten Uniformen professioneller als noch vor wenigen Monaten. Die strengen Blicke an den Kontrollen und der ausgebrannte Militärschrott der Gaddafi-Armee links und rechts der Straße machen schnell klar: Hier ist der Krieg noch nicht vorbei. Der Wüstensturm Gibli lässt die Temperatur in Minuten auf Backofenniveau steigen.

Dutzende Bohrtürme internationaler Ölkonzerne stehen wie Pokale in der Sahara, die hier bei Jalu flach wie eine Tischtennisplatte ist. Nach zwei Tagen und unzähligen Kontrollen erscheint Kufra wie ein Westerndorf im Sandsturm. „Wir Toubou in Kufra hatten uns als erste Volksgruppe in Südlibyen der Revolution angeschlossen. Wir leben seit Jahrhunderten in der Sahara und konnten die Gaddafi-Armee mit einer Handvoll Waffen vom Nachschub abschneiden“, sagt Toubou-Aktivist Yunis Essa stolz. „Die arabischstämmigen Zuweia ließen sich während der Revolution ihre Solidarität mit Gaddafi hingegen teuer bezahlen.“

Der stolze Yunis Essa. Bild: Mirco Keilberth

In dem Konflikt zwischen den Zuweia und den Toubou in Kufra gehe es eigentlich um den Grenzschmuggel, meint er. Der Toubou-Aktivist hatte dies noch in Tripolis erzählt, er begleitet uns bis nach Kufra.

Trotz ihrer Hilfe für den gestürzten Diktator: Gewinner der Revolution sind zweifellos die Milizionäre der Zuweia. Vermummte junge Männer jagen zusammen mit der neuen libyschen Armee in Pick-ups durch Kufra. Die schlecht ausgerüsteten Toubou sind in ihrem Stadtteil eingekreist. Die Revolutionäre der Toubou sind vom Nachschub abgeschnitten. Lebensmittel sind knapp, der Strom ist rationiert.

Die Minderheiten

■ Toubou: Etwa 350.000 Toubou, moderat muslimische Nomaden, leben in der nördlichen Sahara. Sie sind eine eigene Ethnie, die Diktator Gaddafi unterdrückte.

■ Tuareg: 1,2 Millionen Tuareg leben in Algerien, Niger, Mali, 20.000 in Libyen. Die Tuareg sind eine eigenständige muslimische Berbergruppe.

■ Berber: In den Nafusa-Bergen südlich von Tripolis und in Zuwara an der tunesischen Grenze leben über 200.000 Berber. Ihre Sprache Amazigh war unter Gaddafi verboten. (mk)

Kein Regen, aber dafür Waffen

Im Juni gab es bei einem Granatbeschuss der Toubou-Wohnviertel 180 Tote. Regen fällt hier nur alle paar Jahre, im Überfluss strömen aber Waffen, Drogen und nun auch wieder Flüchtlinge aus ganz Ostafrika über die nahe Grenze zum Tschad. Die Handelsroute von Khartum im Sudan bis nach Tripolis und Europa macht Kufra seit Jahrhunderten zu einem strategischen und umkämpften Ort.

Seit Beginn der Revolution sicherten Toubou-Revolutionäre die Grenzübergänge und organisierten Waffen aus dem Sudan. „Das wurde nun unserer Gemeinde zum Verhängnis“, sagt uns der Arzt Abdulrahman Refki vor seinem von Einschusslöchern durchsiebten Haus, „man unterstellt uns, wir wären keine echten Libyer, da wir keine Araber wie die Mehrheit in Libyen sind. Viele Toubou hier haben nicht mal einen Ausweis, obwohl sie für den Staat arbeiten.“

In der Stadt sind die Mienen angespannt. Erst kürzlich wurde der Toubou-Führer Issam Abdul Majid von Unbekannten angegriffen. Er blieb aber unverletzt.

Im Tschad wohnt die Mehrheit des Sahara-Volkes der Toubou ohne Rechte. Gaddafi unterstützte ihr Aufbegehren mit Geld und Waffen zur Destabilisierung des verhassten Nachbarregimes. Die Toubou im eigenen Land aber wollte Gaddafi im Sinne seiner Arabisierungspolitik lieber ganz loswerden.

Nur wenig ist in Libyen über die Minderheiten im Land bekannt. In Schulbüchern kamen sie nicht vor. Ihre Sprache duften Toubou, Tuareg und Berber nicht sprechen. Nun sind es die islamistisch-salafistischen Brigaden aus Bengasi, Misurata und Adschdabiya, die in der Bevölkerung verbreitete Vorurteile nutzen. Die Minderheiten leben alle an den Außengrenzen Libyens und sind durch die Revolution an Schlüsselpositionen gelangt.

Eine Armee auf dem Papier

„Die Schmuggelrouten zwischen Marokko, Mali, Algerien, Tschad und Ägypten werden zu einem islamistischen Netzwerk ausgebaut“, sagt Faraj Aboschala, Kommandeur der neuen libyschen Armee in Kufra.

Mit Verhandlungsgeschick konnte er die Islamisten der „Derra Libya“-Brigade zum geordneten Rückzug aus Kufra drängen. „Leider gibt es die Armee eigentlich nur auf dem Papier, wir sind zu wenige für die unsicheren Grenzgebiete. Jeder Zwischenfall schwächt unsere Position.“

Erste Erfolge des neuen islamistischen Sahara-Netzwerkes finden sich in Nord-Mali und auf dem Sinai. Viele der Waffen, die Extremisten in den vergangenen Wochen dort gegen die ägyptische Armee eingesetzt haben, stammen aus Libyen.

Kufra ist übersät von Spuren des Kampfes zwischen der „Derra Libya“-Einheiten und den unorganisiert wirkenden Toubou-Kämpfern, von denen einige wie Kindersoldaten aussehen. Erst seitdem die neue Armee hier ist, hält der Waffenstillstand. „Wir können wieder auf unsere Felder gehen“, hören wir auch bei den Zuweia.

„Die Waffenhändler fackeln nicht lange.“

Der Weg nach Westen in die nächstgelegene Toubou-Stadt Murzuk führt 1.200 Kilometer durch ein menschenleeres Schmugglerparadies. In der schwarzen Wüste, einer mit Findlingen übersäten Landschaft, die an Bilder der Marsoberfläche erinnert, wird es still im Wagen. „Hier werden die vom Krieg übriggebliebenen Waffen in den Tschad und nach Mali verkauft“, sagt Mohammed, der jeden Stein zu kennen scheint. Er verzichtet auf ein Navigationsgerät. „Die Waffenhändler fackeln nicht lange.“ Aber: „Wir meiden sie und sie uns“, beruhigt uns unser Begleiter Abusalam, „in der Sahara gilt das traditionelle Gesetz: Wer genug Abstand hält, wird in Ruhe gelassen.“

Beide sind Toubou, und man merkt schnell, warum die Toubou dem Islamisten-Netzwerk und den Schmugglern in der Sahara ein Dorn im Auge sind. „Unser Volk lebt hier seit Jahrhunderten“, poltert Abusalam während einer Rast an einer heißen Quelle.

„Man kann uns von hier nicht vertreiben, weil dies unsere Heimat ist“, fügt Abusalam hinzu. „Wir wollen keinen eigenen Staat, nur die gleichen Rechte wie alle anderen Bürger Libyens. Dann können wir Teil der Lösung und nicht Teil des Problems hier in der Sahara sein“, beteuert er.

Am flimmernden Horizont kreuzt eine Kolonne unbekannter Jeeps den Weg. Hier irgendwo sollen Kampfflugzeuge vor kurzem einen großen Waffenkonvoi mit einer Scud-Mittelstreckenrakete bombardiert haben. Der Vorfall bleibt wie so vieles im Draa-Sandmeer bei Murzuk Gerücht und Rätsel, über dem ein Mantel des Schweigens liegt.

Nach zwei Tagen in den Dünen erreichen wir Murzuk, die Hauptstadt der Toubou in Westlibyen. Hier wurde im Frühjahr ein über hundert Jahre ruhender Pakt wieder aktiviert. In dem Papier verpflichten sich die Toubou und Tuareg zu gegenseitiger Hilfe im Falle eines Angriffs. In Murzuk sind die arabischen Libyer in der Minderheit, 80 Familien sind nun wieder zurückgekehrt. Sie erzählen von der Furcht, wieder vertrieben zu werden – von den Toubou. Der Vertreter der arabischen Libyer, Khaled Abu Salah, war Mitte Mai von Unbekannten ermordet worden.

Tuareg sind unerwünscht

Auch die Tuareg leiden. In Alwaal bei Ghadames an der algerischen-tunesischen Grenze diskutiert eine Gruppe ihrer Stammesältesten. Die Hitze im Zelt ist unerträglich, die Versorgungslage wird immer schlechter. 500 Tuareg-Familien haben Ghadames verlassen. Es ist eine Bilderbuchstadt und seit Jahrhunderten Handelsknoten der Westsahara-Route. Die Unesco hat sie zum Weltkulturerbe erklärt. Tuareg sind hier nach Unruhen im September unerwünscht.

Jahrelang flohen Tuareg-Kämpfer aus dem Tschad und Mali nach gescheiterten Aufständen in das Länderdreieck bei Ghadames. Gaddafi verlangte für seine Gastfreundschaft Loyalität und dankte den von der Bevölkerung unerwünschten Zuwanderern mit Einbürgerung und Geld. Nach dem Sieg der Revolution zogen die zu Söldner mutierten Tuareg mit ihren Waffen wieder nach Mali. Zurück blieben Vorurteile, auch gegen die aus Ghadames stammenden Tuareg.

Alwaal, mitten im Nichts soll eine Tuareg-Stadt in der Wüste entstehen. Bild: Mirco Keilberth

„Dabei haben viele von uns nicht mitgekämpft. Doch unsere Häuser wurden niedergebrannt, und wir können noch immer nicht zurück. Nun versuchen wir, unsere eigene Stadt zu bauen.“ Abdullah Omana wirkt ratlos – verständlich bei einem Blick in die trostlose Wüste um uns herum. Außer einem üppigen Grundwasservorkommen fehlt es an allen Voraussetzungen für die Gründung einer Stadt.

„Was sollen wir machen?! Wir fühlten uns vom Nationalen Übergangsrat im Stich gelassen und werden von den Einwohnern von Ghadames immer wieder angegriffen.“ Omana will von einer Schuld der Tuareg nichts wissen. Wie in Kufra sind auch hier die Ereignisse des letzten Jahres nicht ansatzweise aufgearbeitet.

Schließlich gibt es die Berber. Am verlassen wirkenden Grenzposten zu Algerien stehen zehn junge Leute in zusammengewürfelten Uniformen Wache. In ihren Gesichtern haben sich die Erlebnisse des Krieges eingegraben.

Sie sind aus Jadu in den Nafusa-Bergen, südlich von Tripolis, eine Tagesreise entfernt. In Wochenschichten schieben sie freiwillig Dienst und versuchen, zwischen den Berbergruppen und Tuareg aus Ghadames zu schlichten. „Wir sind auch Berber“, sagt Maghid, „unter Gaddafi war unsere Sprache Amazigh verboten. Als Revolutionäre der ersten Stunde müssen uns beide Seiten akzeptieren. Sie sehen, dass wir anders als die Islamisten sind und nur helfen wollen. Ohne uns würde es hier schnell wieder zu Kämpfen kommen – und mit der Ankunft der Islamisten wohl auch.“

Ajub Sufijan ist Berber und Jungpolitiker aus Zuwara an der Mittelmeerküste. Bis zu den Wahlen gab es Kämpfe mit immer noch bewaffneten Gaddafi-Milizen aus Al-Dschamil und Regdalin. „Wir Berber in Zuwara fühlen uns zwischen Gaddafi-Loyalisten und Islamisten im Nachbarort Sabratah eingekreist. Das ist eine ungute Allianz von Leuten, die keine geordneten und demokratischen Verhältnisse, sondern eine Eskalation der Lage wollen.“ Als Ziele ihrer Strategie haben sich die Gegner des neuen Libyen mit den Minderheiten die Sollbruchstelle der libyschen Gesellschaft gesucht.

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4 Kommentare

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  • G
    garfield

    ähm, und das schreibt die taz erst jetzt? seit nem jahr nix neues...

  • P
    pauli

    amazigh bezeichnet keine sprache, sondern ist der politisch korrektere begriff für "berber"!

  • P
    pauli

    die sprachen der "berber" heißen u.a. tamazight, tamasheq und nafusi, nicht amazigh. amazigh ist der politisch korrektere name für einen "berber".

    triviales wissen, aber offensichtlich nicht trivial genug...

  • NM
    n. michels

    Ich war damals gegen den westlichen Libyen-Krieg ("Flugverbotszone"). Warum überrascht mich das hier gezeichnete Bild jetzt nicht?

     

    Aber was sich jetzt in Libyen abzeichnet, wird noch als reines Friedensfest erscheinen, wenn man es mit dem vergleicht, was aus Syrien wird, wenn es dem Westen gelingt, Assads Regime durch eines seiner eigenen Vasallen zu ersetzen:

     

    Wenn man den einen Diktator, der das Land zusammenhalten kann, ersetzt durch einen unnützen Haufen anderer, die keinen anderen Machtfaktor hinter sich haben als den guten Willen des Westens und seiner aalglatten Propagandapresse.

     

    He, Ihr (pseudo-)idealistischen Demokratieverbreiter: aus Geschichte lernen wird wohl nichts bei Euch ... Hauptsache, die Tagesschau sagt weiterhin, dass alles gut läuft und schon richtig so ist.

     

    PS. Jetzt gibt es ja offenbar auch Biowaffen in Syrien ... Hier ein schöner Artikel dazu: http://www.der-postillon.com/2012/08/abc-waffenarsenal-von-schurkenstaaten.html

     

    Also, nix wie rein. Heute Krieg, morgen "demokratische Wahlen", und übermorgen irakische Zustände. Dieses "Morgen" hat Libyen ja jetzt schon hinter sich. Immerhin, taz: schön, dass Dir dieses abgehakte Land noch einen Artikel wert ist. Muss man anerkennen ...