: Kampf am Kiosk
■ Auf dem Berliner Zeitungsmarkt hat ein gnadenlpser Konkurrenzkampf begonnen. West- wie Ost-Blätter stehen vor dem gleichen Problem: Sie müssen neue Leser gewinnen und zugleich die alten halten. Ein gewagter Spagatschritt...
Auf dem Berliner Zeitungsmarkt hat ein gnadenloser Konkurrenzkampf begonnen. West- wie Ost-Blätter stehen vor dem gleichen Problem: Sie müssen neue Leser gewinnen und zugleich die alten halten. Ein gewagter Spagatschritt, mit dem schon jetzt einige ihre Schwierigkeiten haben.
VON KARL-HEINZ STAMM
K
laus Liedtke, der ehemalige Chefkorrespondent der Hamburger Illustrierten 'Stern‘, kam kurz nach dem Fall der Mauer nach Ost-Berlin. Als sogenannter Berater leistete er bei der 'Neuen Berliner Illustrierten‘ Entwicklungshilfe. Nachdem er das dürre Ost- Blatt umgestylt und mit viel nackter Haut zum 'Extra-Magazin‘ umgemodelt hatte, wurde er dort Chefredakteur. Von Montag bis Freitag wohnte er im Hotel, an Wochenenden fuhr er nach Hamburg zu seiner Familie.
Die Geschichte von Klaus Liedtke ist typisch für das, was sich auf dem Medienmarkt der Hauptstadt tut. Denn der Großraum Berlin mit seinen 6 Millionen Menschen und 23 Stadtbezirken, manche davon in der Größe von westdeutschen Groß- und Mittelstädten, gilt den Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern als Medienmarkt der Zukunft. Wer diesen Markt beherrscht, der hat den Zugriff auf den Osten. Aber am Beispiel Liedtkes zeigt sich auch die neueste Schrumpfungstendenz auf dem ostdeutschen Markt: Seine Illustrierte, der kleine 'Stern‘ des Ostens, wurde vor einem Monat von den beiden Verlagshäusern Gruner + Jahr in Hamburg und dem britischen Medienmogul Robert Maxwell eingestellt. Während Liedtke nach der Aufgabe des Blattes wieder zu Frau und Kind und zu seinem Hamburger Verlagshaus zurückkehrte, stehen seine Mitarbeiter auf der Straße. Die massive Investitionswelle von 1990, als die großen Verlagshäuser, die internationalen Medien-Multis auf den ostdeutschen Zeitungsmarkt drängten, ist schon lange vorbei.
Die Schlachten sind inzwischen geschlagen, die Claims abgesteckt. Jetzt regiert wieder der Rotstift. Die großen Häuser machen den Eindruck, als verlasse sie der Mut zum verlegerischen Risiko. „Wer zu früh aufgibt, den bestraft das Leben“, kommentierte denn auch Liedtke die Entscheidung seines Verlagshauses.
Obwohl der Markt heftig umkämpft ist, geben sich die Verlagsbosse von Burda, Springer, Gruner + Jahr und der WAZ-Gruppe optimistisch. Erst unlängst äußerten sie übereinstimmend die Erwartung, daß die derzeitigen verlustreichen Verteilungskämpfe in drei Jahren beendet sind. Danach soll dann der große Reibach beginnen.
Weniger optimistisch als für die früheren Regionalzeitungen der DDR, die ohne große Verluste den Sprung von der SED in die Hände westlicher Großverlage schafften, sieht es für die überregionalen Titel aus Berlin aus. Sie verlieren zum Teil bis zu 80 Prozent ihrer Abonnenten. Das 'Extra-Magazin‘ war nicht das erste Blatt, das die Segel streichen mußte. Bereits im Juni war der 'Morgen‘ dran, ein ehemaliges Organ der früheren DDR-Blockpartei LDPD, das der Springer-Verlag aufgekauft hatte. Die Redaktionsmannschaft hatte sich zwar Respekt erschrieben, doch dem Springer-Verlag waren bei einer Auflage von 19.000 Exemplaren die Verluste einfach zu groß. Jetzt munkelt man, der 'Morgen‘ habe der 'Welt‘ Platz machen müssen, weil das in Hamburg produzierte Aushängeschild des Verlags mittelfristig an die Spree kommen soll. Schließlich: Konkurrenz im eigenen Haus kann man nicht gebrauchen.
Ende September erwischte es die zweite überregionale ostdeutsche Tageszeitung, die 'Tribüne‘. Sie war einst mit einer stolzen Auflage von 400.000 Exemplaren das Organ der DDR-Einheitsgewerkschaft FDGB gewesen. Noch im April dieses Jahres hatte der Hauptgesellschafter des Blattes, der Bauunternehmer Hartmut Lehmann, vollmundig erklärt: „Die Zeitung macht weiter.“ Heute werden die Abonnenten der 'Tribüne‘ mit der 'Neuen Zeit‘ beliefert, hinter der sich der FAZ-Verlag versteckt. Sie hatte flugs die Abo- Kartei der 'Tribüne‘ übernommen.
Nächstes Opfer wird wohl das 'Neue Deutschland‘ werden. Die Chancen des ehemaligen Zentralorgans der SED, das inzwischen zum Parteiblatt der PDS mutierte, stehen schlecht. Während es in der DDR auf eine tägliche Auflage von 1,5 Millionen Exemplaren kam, sind es heute noch gerade 110.000, davon allein 90.000 Abonnenten. Und die weitere Zukunft sieht düster aus: denn die Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR hat gerade die Zahlung weiterer 6 Millionen Mark aus der unter treuhänderischer Verwaltung stehenden Parteikasse verweigert. Die 15,5 Millionen Mark, die im letzten Sommer bereits an den Verlag flossen, werden Anfang November aufgebraucht sein.
Es ist keine Frage, der Zeitungsmarkt boomt. Aber die Kontrahenten müssen schon harte Bandagen anlegen, um im Verdrängungswettbewerb zu überleben. Nehmen wir nur einige der 14 Tageszeitungen, die auf dem Berliner Markt erscheinen: Da ist einmal der 'Tagesspiegel‘. Er galt immer als ein wenig hausbacken und verstaubt. Als die Mauer fiel, da waren die Träume groß; eine „Hauptstadt-Zeitung mit überregionaler Bedeutung“ (Geschäftsführer Lothar C. Poll) wollte man sein und sich als „die 'Süddeutsche‘ vom Norden“ positionieren. Rund 100 Millionen Mark wurden investiert, das Haus an der Potsdamer Straße erneuert, veraltete Druckmaschinen ersetzt und die Redaktion personell aufgestockt. Schließlich wurde im April das Format umgestellt und das Layout geliftet. Für die Berichterstattung aus dem Umland wurden neue Stellen geschaffen und im Blatt dafür ein Regionalteil Potsdam/Brandenburg eingerichtet. Und der Erfolg? Eine gut informierende Zeitung auf hohem Niveau, ohne Zweifel. Nur, der Leser goutiert es nicht. Im Gegenteil: Im Vergleich zum dritten Quartal 1990 ist die verkaufte Auflage (Dienstag bis Samstag) von 135.616 auf 132.606 gesunken. Und das, obwohl der Osten dazugekommen ist.
Jetzt soll der Markt optimal ausgeschöpft werden, indem der 'Tagesspiegel‘ auch am Montag am Kiosk zu kaufen ist. Es war eine Eigenart des Berliner Marktes, daß nicht nur der 'Tagesspiegel‘, sondern auch die 'Morgenpost‘ am Montag nicht erschien. Doch der Schuß könnte nach hinten losgehen. Denn es müssen nicht nur neue Leute eingestellt werden, auch der Konkurrent vom Springer-Verlag hat nicht geschlafen: Ab 2. November gibt es auch die 'Morgenpost‘ täglich.
Die Mühsal des 'Tagesspiegels‘ scheint vergebens, schließlich weht ihm auch aus dem Osten der Wind frontal ins Gesicht. Denn seit April dieses Jahres ist auch die 'Berliner Zeitung‘ im Westteil der Stadt zu kaufen. Mit der 'Berliner‘ — die nur 60 Pfennig kostet — ist aber ein Titel in den Markt eingebrochen, der so manche Wilmersdorfer Witwe von ihrem 'Tagesspiegel‘ abgebracht hat. Der 'Tagesspiegel‘ ist damit vom zweiten auf den dritten Platz verdrängt worden. Zwar wagt die 'Berliner Zeitung‘ den Spagat zwischen dem Ost- und dem Westteil Berlins, der aber geht nur so lange gut, wie der Dumpingpreis gehalten werden kann. Sie lebt momentan ohnehin von ihrem Herausgeber Erich Böhme, dem ehemaligen Chefredakteur des 'Spiegels‘, der nicht nur für Sat.1 im Turm talkt, sondern der Redaktionsmannschaft auch den Rücken gegenüber dem Verleger (Gruner + Jahr/Maxwell) freihält. Nach einigen Einbußen soll die 'Berliner Zeitung‘ inzwischen wieder schwarze Zahlen schreiben, was wohl vor allem am großen Anzeigenaufkommen liegt. Denn die derzeitige Auflage von 286.597 Exemplaren ist nicht gerade ein Rekord.
Zwar liegt die Zeitung mit dem gängigen Titel noch immer an der Spitze — doch wie lange noch? Der absolute Gewinner der deutsch-deutschen Vereinigung bleibt die 'Berliner Morgenpost‘. Im Vergleich mit dem dritten Quartal 1990 hat sie ein Plus von 50.631 Exemplaren erzielt und präsentiert sich jetzt mit einer Auflage von 228.742 Exemplaren (nur Di. bis So.).
Und die taz? Auch sie hatte hochfliegende Träume und war auch kurzfristig schon in die Nähe einer 100.000er-Auflage gekommen. Doch der rapide Rückgang der Ostauflage hat den Höhenflug gestoppt. Nimmt man als Vergleich die Zahlen vom dritten Quartal 89, also unmittelbar vor der Maueröffnung, dann kann allerdings von einer fast stabilen Auflage gesprochen werden (3.Quartal 91: 60.692).
Am heftigsten umkämpft ist natürlich der Markt der Boulevardblätter, den früher Springers 'BZ‘ mit der eher kleinen 'Bild‘ im Westen der Stadt unter sich aufteilte. Hinzugekommen ist nun im Berliner Raum der 'Kurier am Abend‘ — ein 30-Pfennig-Blatt aus dem Hause Gruner + Jahr/Mawell. Das schmalbrüstige Blatt erscheint gleich zweimal am Tag: morgens und abends. Auch auf dem Boulevardmarkt gibt es bereits den ersten Verblichenen. Schon nach kurzer Zeit scheiterte der schillernde Verleger Helfrid Schreib mit 'Super-Ossi‘
An vorderster Front kämpft seit einigen Monaten der Offenburger Verleger Hubert Burda, der zusammen mit dem australisch-englischen Großverleger Rupert Murdoch die 'Super‘ und das wöchentlich erscheinende Pendant 'Super Illu‘ auf den ostdeutschen Markt geworfen hat. Die 170 Millionen Mark Verluste, die seine beiden Ost-Titel bisher gekostet haben, sind für Burda nur preisgünstige Investitionen in die Zukunft. Mit einem Kampfpreis von 30 Pfennig ist die täglich außer sonntags erscheinende 'Super‘ vor allem gegen Springers 'Bild‘ gerichtet. Eine Auflage von 500.000 scheinen dem Verleger recht zu geben.
Mit marktschreierischen Billigprodukten, mit viel Blut, Brüsten und einer dumpfen Rammelprosa wird hier Tag für Tag ein Massenpublikum befriedigt, das an nichts anderem als an der Bestätigung der eigenen Vorurteile interessiert ist. Der düstere Alltag der einstigen DDR-Bürger, ihre ungewisse Zukunft, aber auch die Sehnsüchte und Träume, wie banal sie auch immer sein mögen, werden durch diese Produkte auf das trefflichste befriedigt.
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